Sie saßen inzwischen in Paulas Esszimmer. Diese brühte nebenbei Tee auf und stellte ein paar Kekse auf den Tisch. Das half die Anfangsschwierigkeiten zu überbrücken. Sie wollte natürlich nicht ewig auf Anne sauer sein. Aber Versöhnungen waren manchmal schwieriger als gedacht.
„Das mit Phillip und mir… Wir haben das so nicht geplant…. Vielleicht hätte ich dich vorwarnen sollen. Ich wollte nie, dass da was zwischen uns steht.“
Es stand im Moment eine ganze Menge zwischen ihnen, aber wenn Anne das nicht selber sah, konnte sie ihr kaum helfen. Wahrscheinlich war sie gerade zu sehr auf Hormone gepolt, um einen klaren Blick auf ihre Umgebung werfen zu können. Wie konnte es sonst sein, dass in ihrem Haus Chaos herrschte und sie gleichzeitig mit einem vor lauter Verliebtheit seligen Lächeln durch die Gegend lief.
Nun entstand eine längere Pause, in der beide eifrig Kekse futterten und Tee tranken, um sie zu überbrücken.
Dann plauderten sie eine ganze Zeit lang über Belangloses. Jeder war dabei bemüht, keine Stille aufkommen zu lassen.
Endlich verabschiedete sich Anne. An der Tür drehte sie sich allerdings noch einmal um: „Also, äh… die Sache mit dem Badezimmer war weder meine, noch Phillips Idee gewesen ist. Dani ist da meiner Meinung nach zu weit gegangen. Inzwischen spricht schon der ganze Ort darüber. Mein Bruder denkt sich manchmal einfach nichts bei dem, was er tut.“
In den nächsten Tagen begegnete sie ständig irgendwelchen Leuten, die meinten, einen Kommentar abgeben zu müssen.
Der gutmütige Bauer Vollmer hielt sie sogar vor dem Schulhaus an und schüttelte ihr kräftig die Hand. „Na, da lag ich mit meim Vorschlag doch net so ganz falsch. Herzlichn Glückwunsch. Gibt’s denn schon an Hochzeitstermin?“
Paula wusste beim besten Willen nicht, was sie darauf sagen sollte.
„Na, allzu viel Zeit solltens sich net lassen, Mädel. Es is immer gscheiter, ma macht Nägel mit Köpf.“ Er lächelte breit und tätschelte ihr den Arm. Nostalgisch verklärt schüttelte er den Kopf und seufzte tief. „Wenn des de Joseph noch erlebn hätt können. Ich hab ihn immer für verrückt ghalten, als er all die Jahr unbeirrbar bhauptet hot, Gott würd sein Jungn schon irgendwann herbringn. Und nun scheint des Wunder tatsächlich wahr zu werdn, Dank Ihne, Fräulein Müller.“
Daniels Zukunftsüberlegungen hatten sich also ebenfalls durch den Ort gesprochen und wurden als beschlossene Sache gehandelt. Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktionierte bestens.
Die ältere weibliche Generation dagegen tendierte eher zu Mitleid. Frau Tannhauer zum Beispiel schaute sich vorsichtig nach allen Seiten um, ob auch keine unerwarteten Lauscher zugegen waren und lehnte sich dann nach Paulas Einkauf am Freitagabend über die Theke. „Wissens Fräulein Müller. Des is halt des Schicksal von uns Fraun: Erst is ma verliebt und dass muss mans aushalten.“
Leicht beunruhigt trat Paula den Heimweg an und überlegte, was sie wohl damit gemeint haben könnte.
Am gleichen Abend brachte Herr Tannhauer jedoch eine neue Tür und baute sie an Ort und Stelle ein. Vermutlich tat er es auf direkten Befehl seiner Frau. „Nur zur Sicherheit “, meinte er. „Mir wolln schließlich, dass sie in Zukunft wieder in aller Seelenruh badn könnet.“
Zur gleichen Zeit gab es in Lämmerbach ein weiteres konspiratives Treffen.
Bürgermeister Baum stand mit verlegen wirkender Miene kurz nach halb neun vor dem Arzthaus. „Servus Anne.“
„Servus Onkel Edwin, was machst du denn hier? Ich hoffe, du bist nicht krank?“
„Des grad net, aber ich sollt amol mit dir redn.“
Wenn die Hausherrin nicht alles täuschte, fühlte sich ihr Besucher unwohl in seiner Haut. Er wischte sogar seine Hände an der Lederhose ab bevor er ihr die Hand reichte. Allein an den lauen Abendtemperaturen konnte das kaum liegen. Hatte sein Erscheinen etwas mit den Leipold-Kindern oder deren Vater zu tun? Sie warteten schon seit Wochen auf die Stellungnahme des Fürsorgeamtes. „Komm doch rein.“
Anne begleitete den Besucher nach oben ins Esszimmer. Als ihr Vater noch gelebt hatte, war Onkel Edwin ein gern und häufig gesehener Gast gewesen. Er kam vorzugsweise montags, wenn die Gastwirtschaft geschlossen hatte. Die zwei Herren saßen dann gemeinsam am Esszimmertisch, politisierten, tranken einen Wein zusammen oder spielten Schach und manchmal, wenn Herr Schaup mittat, auch eine Runde Skat.
Im Wohnzimmer nebenan schauten gerade alle Kinder fern. Sogar Nicole saß einträchtig dabei und wirkte für ihre Verhältnisse ungewöhnlich zahm.
Der Bürgermeister wurde traditionsgemäß mit einem Glas Wein versorgt, das er, um seinen Mut zu steigern, in einem Zug leerte. Allerdings löste das keineswegs seine Zunge. Er saß einfach nur da und starrte trübselig vor sich hin. Erst als er sich immer mehr von einem blauen Augenpaar fixiert fühlte, kam etwas Leben in seine Lippen. „Du wirst dich bestimmt wundern, warum ich hier bin?“, begann er und schielte zur Weinflasche hinüber.
Die Hebamme schenkte nach. Er trank dankbar einen weiteren Schluck und schwenkte dann seinen Blick zur Tür. Es war offensichtlich, dass er sich wo anders hinsehnte. „Also, des was ich sagn soll, is net so einfach und ich hoff, du verstehsts richtig, Anne. Ich selber wollt ja gar net kommn“, beeilte er sich zu versichern, „aber die Hilde hat gmeint… und als Bürgermeister hat ma schließlich a Verantwortung.“
Annes Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn der Bürgermeister redete unbeirrt immer um den heißen Brei wie eine Katze, die sich schon einmal die Zunge verbrannt hatte. „Es is ja sonst net so mei Art, die Dinge von hintn anzugehn, aber in dem Fall, weiß ich net, ob’s anders was bringt und wenn jemand jetzt noch was bewirkn kann, dann du.“
„Um was geht es denn?“, erkundigte sich die Gastgeberin irgendwann höflich, aber doch bestimmt.
„Ach so, des weißt du ja noch gar net.“ Er räusperte sich und nahm einen weiteren Schluck, den er denkbar lange im Mund behielt, bevor er ihn ganz langsam den Hals hinunter rinnen ließ. Sein Gesicht war krebsrot und er setzte mehrfach zum Reden an bis endlich ein Ton herauskam. „Ich hoff, du bist mir net bös, Anne, und der selige Josef mag mir auch verzeihn, wenn ich des jetzt so klar und deutlich sag: Aber so was wie mit der Petra darf hier in Lämmerbach net noch amal vorkommn und schon gar net mit unserm Fräulein Müller.“
Nun folgte eine längere, ziemlich unangenehme Pause.
„Was meinst du damit, Onkel Edwin?“, fragte Anne, die noch mit ihrer Überraschung und ein paar anderen Gefühlen kämpfte.
Die Hände des Besuchers zuckten vor Erregung. Er umklammerte schutzsuchend sein Glas. „Ich mag die altn Gschichtn net aufgwärmn, aber du weißt ja, wie die Leut sind und wie schnell gschwätzt wird. Eigentlich wollt ich mit dir gar net do drüber redn, du hast schließlich gnug andere Sorgn, mit de kleine Leipolds und deim Gschäft und so. Aber mei Hilde hat de Dani angrufn.“
Seine Gesprächspartnerin riss vor lauter Schreck die Augen auf. Sie glaubte sich im ersten Moment verhört zu haben, aber die Miene des Bürgermeisters sprach Bände. „Warum um alles in der Welt das?“ Hilde Baum traute sie eine Menge zu. Und erst recht, wenn man ihr die Möglichkeit gab, Unheil zu stiften. Mehrere mögliche Varianten, von dem, was bei dem Gespräch vorgefallen sein könnte, schossen ihr gleichzeitig durch den Kopf. Keine davon hatte das Zeug zum Happy End. Daniel in Kombination mit Hilde Baum konnte eigentlich nur in einer Katastrophe enden.
„Sie hat ihm klipp und klar gsagt, dass mir net duldn, dass er mit unserer Lehrerin so umspringt, wie mit seine sonstign Weiber“, brachte der Bürgermeister heraus.
„Und wie hat Daniel darauf reagiert?“
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