»Morgen soll das Wetter aber besser werden«, wandte Juana ein.
»Hoffentlich«, sagte Sebastian. »Verregnete Sommerferien wären nämlich blöde.«
Die Haustür stand weit offen, deshalb konnte Niko hereinspazieren, und er brüllte, als er ins Wohnzimmer trat: »Hallo, Freunde! Auf geht's in ein Ferienabenteuer.«
»Mensch, Scheiße, Niko«, fluchte Lars, der regelrecht in sich zusammenfuhr. »Ich hab mich vielleicht erschrocken.«
Sebastian und Juana erging es nicht anderes.
»Verdammt«, fluchte auch Juana.
»Schön dich zu sehen, Niko«, lächelte Sebastian.
»Na, wenigstens einer der sich freut, mich zu sehen«, brummte Niko.
Niko setzte die Tasche ab und schwang sich in den Sessel neben Lars. »Gemütlich«, sagte er und fasste mit beiden Händen auf die Armlehnen. »Captain James Kirk an Lieutenant Sulu, hören sie mich?«, sagte Niko im hektischen Ton und wandte sich Sebastian zu. »Lieutenant Sulu, bitte melden Sie sich, die Lage ist sehr ernst«, wiederholte Niko.
»Commander Scott, hören Sie mich?«, fragte Niko und sah zu Lars.
»Ja, hier ist Scotty, Captain, ich höre Sie klar und deutlich.«
»Wissen Sie, wo Lieutenant Sulu ist, Scotty?«
»Er arbeitet im Maschinenraum am Fluxkompensator«, sagte Lars mit verstellter Stimme.
Juana zog die Augenbrauen hoch.
»Fluxkompensator?«, sagte sie mit lehrerhaftem Blick. »Hast du da nicht etwas verwechselt, Lars? Ein Raumschiff fliegt mit Warpantrieb«, klärte sie ihn auf.
Niko verzog mürrisch die Mundwinkel.
»Ist doch völlig egal, Juana. Sei locker, es sind Ferien, und außerdem ist es doch nur ein Spiel«, wandte Niko ein.
Juana zuckte nur mit den Schultern.
»Ja, hier Lieutenant Sulu, ich höre Sie Captain«, grinste Sebastian, und Niko fuhr mit der rechten Hand über die Armlehne, so als ob er einige Regler am einstellen wäre.
»Tagchen, Mr. Addams«, schreckte Niko hoch und sprang mit einem Satz aus dem Sessel.
»Guten Morgen, Captain James Tiberius Kirk«, empfing William ihn, und dies war seit langer Zeit das erste Mal, das Sebastian seinen Vater lächeln sah.
»So, können wir los, Lieutenant Sulu?«, fragte William an seinen Sohn gewandt.
»Ja, Vater«, nickte Sebastian und fügte schnell hinzu: »Wir sind dann soweit.«
Juana stellte das Buch ins Regal zurück, Lars trank sein Glas aus, und Niko schnappte sich seine Tasche.
Sebastians Vater blickte hinüber zu Lars und sagte im ernsten Ton: »Commander Scotty, Sie können mir bei der Warp-Maschine helfen, es muss noch etwas Treibstoff nachgefüllt werden.«
»Jawohl, Sir«, grinste Lars.
Sebastian stand startklar im Flur. William hatte schon die Tür geöffnet, als er sich Sebastian zuwandte und ihn fragte: »Was ist los, Sohn? Hast du keine Lust mehr zu Großvater zu fahren?«
»Doch natürlich«, antwortete Sebastian verstört darüber, dass sein Vater gute Laune zu haben schien, »aber ich muss mich noch von Mutter verabschieden.«
Rebecca kam die Treppe herunter und blieb vor Sebastian stehen.
»Ich hab dich lieb, Mom«, sagte er.
Rebecca schloss ihn in die Arme und gab ihm einen Kuss.
»Ich dich auch, Sebastian. Ich wünsche dir und deinen Freunden viel Spaß in den Ferien«, sagte sie, »aber denke daran, dein Großvater ist schon zweiundsiebzig Jahre!«, ergänzte sie.
Sebastian nickte. »Wir werden artig sein, Mutter!«
»Die Jungs werden sich schon benehmen, Frau Addams«, kam es von Juana, »dafür werde ich schon sorgen!«
»Gut«, lächelte Rebecca, »dann bis bald, Sebastian.«
Endlich war es soweit. Sebastian und seine Freunde saßen im Van und warteten darauf, dass William endlich den Wagen startete. Als sie losfuhren, fielen die ersten Regentropfen vom Himmel herunter.
Eine Stunde Autofahrt lag vor ihnen.
***
William lenkte den Wagen durch den Stadtverkehr und nahm schließlich die Schnellstraße, die in nördlicher Richtung von London wegführte. In der Ferne blitzte es und Sekunden danach folgte ein gewaltiger Donner. Der Regen nahm zu.
»Falls das Wetter sich nicht bessert, Kinder, dann legen wir bei der nächsten Möglichkeit eine Pause ein«, schlug William vor.
Die Scheibenwischer liefen auf Höchstleistung, um die Wassermassen von der Windschutzscheibe zu beseitigen.
»Hier, Sebastian, nimm das Handy und ruf deine Mutter an! Bei diesem Wetter macht sie sich bestimmt schon sorgen.«
William wandte sich kurz Sebastian zu, der rechts auf dem Rücksitz neben Juana saß, und reichte ihm das Handy.
»Willst du ein Stück Schokolade, Juana?«, fragte Niko, der hinter Juana saß.
»Nein, danke.«
»Toll, so ein Van, man hat sooo vieeel Platz hier drin«, schwärmte Lars, wandte sich nach links Niko zu und nahm ihm das Stück Schokolade aus der Hand. »Danke«, sagte er kurz und stopfte sich die Schokolade schnell in den Mund.
William verließ die Schnellstraße und nahm die Landstraße, lenkte den Wagen durch eine tiefe Talsenke und bog auf der nächsten Höhe rechts ab. Die Baumkronen bewegten sich im heftigen Wind hin und her. Der starke Regen hatte zum Glück etwas nachgelassen.
Sebastian sah sich um, hinter ihnen tauchte ein Kleinbus auf, der Gas gab und bei dem Sauwetter zum Überholen ansetzte. Als der Kleinbus vorbeifuhr, schimpfte William lautstark: »Verdammter Idiot!«, und trat leicht auf die Bremsen. »So ein Bestusster ...« William schwieg.
Niko lachte, und Lars hob wutschnaubend die Hand: »Blöder-überheblicher-schwachsinniger-Sonntagsfahrer!«
»Also, Kinder«, fing William an, »es tut mir leid, das hätte ich eben nicht sagen sollen.«
»Sie hatten doch recht, Herr Addams«, sagte Niko, »bei so einem Wetter überholt man doch nicht.«
»Und das auch noch in einer leichten Kurve«, schimpfte Juana.
William verließ die Landstraße und bog in eine schmale Straße ein. In der Ferne tauchten die ersten Häuser auf. Durch das schlechte Wetter brannte in vielen Häusern Licht.
William lenkte den Wagen am Ortseingangsschild vorbei und schon bald passierten sie die ersten Häuser. Eine ältere Frau trat aus der Haustür heraus, an der Leine führte sie einen kleinen Hund.
Sebastian schüttelte den Kopf.
»Ich weiß, was du jetzt sagen willst«, kam ihm Niko zuvor.
»Sei lieber still, Niko!«, ermahnte Juana ihn.
Niko zuckte mit den Schultern und brach noch ein Stück Schokolade von der Tafel ab. »Dann eben nicht«, sagte er kauend.
Dann bog William in eine Seitenstraße ein und endlich tauchte das Herrenhaus von Sebastians Großvater auf. Das rostige Gitter der großen Toreinfahrt stand weit offen. William lenkte den Wagen durch die Einfahrt und fuhr im Schritttempo die schmale Schotterstraße entlang, die direkt zum Haus führte. Der Regen hatte fast aufgehört.
»Super cooles Haus«, schwärmte Niko immer wieder, wenn er das alte Herrenhaus sah, das noch aus dem vorigen Jahrhundert stammte.
»Ja, es ist wunderschön«, sagte William, »mein Vater hatte es extra für meine Mutter gekauft.«
»Er muss viel Kohle haben«, stellte Niko fest.
»Ja, das hat er. Ihm gehörte eine Kleiderfabrik«, erklärte William.
»Warum haben sie nicht dort gearbeitet?«, fragte Lars.
»Hey, Lars!«, sagte Juana.
»Ist schon gut, Juana«, kam es von William, »ich habe mich damals nicht sonderlich gut mit meinem Vater verstanden. Außerdem wollte ich studieren und hatte eigene Pläne für meine Zukunft. Na ja, so ist das im Leben. Es läuft nicht immer alles wie man es plant. Mein Vater hatte die Fabrik verkauft, als er in den Ruhestand ging. Damals ging es mir auch sehr gut, als ich noch eine Stelle als Ingenieur hatte.«
Sebastian hatte in diesem Moment Mitleid mit seinem Vater und erinnerte sich, wie sein Vater den Job verloren hatte und danach lange Zeit zu Hause gewesen war, bevor er endlich eine neue Stelle als Vertriebsmitarbeiter ergattern konnte. Die Firma, bei der sein Vater nun angestellt war, produzierte Staubsauger – die besten der Welt, sagte sein Vater immer dann, wenn er oder sein Bruder ihn nach seiner Arbeit fragten.
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