Zwei der Anwesenden, die unmittelbar links und rechts neben dem Eingang standen, zerrten je eine Kiste, die sich hinter ihnen befand, vor und öffneten diese. Jeder der Anwesenden wusste nun was zu tun war. Die Männer bildeten zwei Reihen, wobei sich in jeder Reihe 49 Mann befanden. Auch David Parker stellte sich an, um einen Gegenstand aus einer der Kisten zu erhalten. Nur einer der Männer blieb regungslos in der Mitte des Raumes, er stand direkt vor einem Sarkophag und schloss die Augen während er etwas rezitierte. Die zwei Herren vom Eingang, gingen nun, die Kisten hinter sich herziehend, zu jedem der aufgereihten Teilnehmer. Aus den Kisten kam ein ägyptisches Kreuz hervor, das allen der Reihe nach ehrfurchtsvoll überreicht wurde. Das ägyptische Angh sieht aus, wie das Kreuz, das den Christen heilig ist. Im Gegensatz zum christlichen Kreuz hat es aber noch eine Schlaufe im oberen Teil. Es bestand aus einem merkwürdigen Material, welches zwar wie Glas aussah, jedoch kalt und für seine Größe von etwa 15 Zentimeter, sehr schwer war. Parker hatte das Ding bisher nur auf schwarzweißen Fotos gesehen, die direkt bei den Ausgrabungen dieser Pyramide gemacht wurden.
Als nun alle so ein Angh erhalten hatten, setzte man sich mit überkreuzten Beinen hin, und der Mann in der Mitte, der neben dem Sarkophag aus massiven Stein stand, offensichtlich ein Zeremonien Meister, begann zu sprechen:
„Brüder ich danke euch für euer zahlreiches Erscheinen.“ Dieser Satz schien Parker überflüssig, denn er wusste, dass jeder in diesem Raum alles dafür geben würde hier dabei sein zu dürfen. Doch der Mann fuhr fort:
„Jeder von uns hat große Opfer gebracht um hier und jetzt das zu erfahren, was wir zu erfahren wünschen. Wir haben uns 90 Tage lang allen weltlichen Vergnügens enthalten, wir haben auf Alkohol verzichtet, wir haben kein Fleisch verzehrt und keinen Geschlechtsverkehr gehabt. Des Weiteren waren die letzten neun Tage besonders hart für uns alle. Wir haben uns von jeglichem Essen ferngehalten, alles was die Schrift verlangt, haben wir erfüllt.“
Der Zeremonien Meister machte eine lange Pause und blickte in die Gesichter seiner Brüder, so als ob er prüfen würde, ob auch wirklich jeder die 81+9 Tage lang die Weisungen befolgt hatte und sich unter Kontrolle gehabt hat. Zufrieden sprach er schließlich mit einer ruhigen Stimme weiter.
„Und das alles für den heutigen Abend. Heute Abend werden wir das erlangen wonach wir alle schon sehr lange auf der Suche sind: Weisheit!“
Er beugte sich vor und tastete nach etwas auf dem Boden. Als er die Stelle gefunden hatte hob er einen kleineren Stein hoch, der als Abdeckung für eine Nische diente, die sich direkt beim Sarkophag befand. In dieser Nische befanden sich zwei merkwürdige Steinchen, Zylinderförmig, 5 Zentimeter im Durchmesser und milchig-durchsichtig. Keiner außer dem Zeremonien Meister konnte die schemenhaften Linien die sich im Stein befanden und die zackigen Einkerbungen auf der Oberfläche des Steins sehen. Er nahm die Steine vorsichtig in seine Hände, schloss die Nische und hob sein Bein um in den Sarkophag zu steigen. Darauf folgte das andere Bein und der Mann setzte sich im Sarkophag aufrecht hin, je ein Steinchen in einer Hand haltend. Alle Brüder schauten ehrfürchtig zu ihm als einer der Anwesenden eine schwarze Flüssigkeit über den im Sarg sitzenden Zeremonien Meister goss und dieser sich hinlegte. Das war das Zeichen. Die Männer, die sich hier versammelt hatten, fingen an etwas in einer unbekannten Sprache zu rezitieren und hoben das zuvor ausgeteilte Angh vor die Stirn – vor das Auge der Weisheit,- erklärte Parker sich selbst den Vorgang. Im Sarkophag zischte es. Jeder der Anwesenden wusste was zu tun war, jeder war vorbereitet, hoffentlich würde es funktionieren! Dies würde eine lange Nacht werden.
Der junge Mann machte einen tiefen Atemzug. –Frische Luft,- sagte er sich während sein Körper sich wieder mit Leben füllte. Nach einer etwas über 6 Stunden andauernden Fahrt von Wuhan nach Shiyan war Wu Guan Tai froh endlich wieder den stickigen Zug verlassen zu können. Als Sportler war er es einfach nicht gewöhnt so lange auf einem Platz zu sitzen. Außerdem war er auch ein bisschen hungrig. Er kramte in seiner hellen, modischen Jeans nach dem Mobiltelefon um sich nach der Uhrzeit zu erkundigen, doch dann fiel sein Blick auf eine Uhr auf dem Bahnhof und er ließ das Telefon in der Tasche. Durch eine einfache Kopfrechnung stellte er fest, dass er hier noch zwei Stunden Zeit haben würde, da der Bus, der ihn tief ins Wudang Gebirge zu seinem Ziel bringen sollte, erst dann abfahren würde. Nach einer kurzen Überlegung machte er sich auf den Weg um ein gemütliches Plätzchen zu suchen, wo er seinen Hunger stillen könnte. Er musste nicht weit laufen. In der Nähe des Bahnhofs fand er ein schlicht eingerichtetes Restaurant das ziemlich leer stand. Die Besitzer, ein älteres Ehepaar, schauten gerade Fern. Der kleine Fernseher stand einfach auf einem der Tische. Das erinnerte Wu Guan Tai an seine Großeltern, bei denen es ähnlich zuging, sie lebten förmlich in ihrem Restaurant und schauten dort auch während der Arbeit teilweise recht unsinnige Serien. Aber das Essen dort war das frischeste und beste, das er je gegessen hatte. Naja schließlich war sein Opa ja auch der Koch dort.
Als Wu Guan Tai nun das Restaurant betrat, zog er seine Sonnenbrille aus, wobei seine braunen, mandelförmigen Augen, zum Vorschein kamen. Seine Augen strahlten eine gewisse Selbstsicherheit aus und schienen fast zu leuchten. Dieses Leuchten bemerkte selbst die Wirtin, die seinen Blick gespürt hatte und sich sofort vom Fernseher wegdrehte.
„Kommen Sie, kommen Sie!“, die alte Frau stand auf und wies Guan Tai einen Tisch zu.
Der schlichte weiße Tisch nah am Fernseher wurde extra für ihn noch mit einem feuchten Lumpen abgewischt. Die freundliche ältere Dame wollte Wu Guan Tai sogleich die Speisekarte reichen, er jedoch brauchte sie nicht:
„Für mich bitte eine Portion Bao Zi mit Gemüse und eine Tasse Pu Erh Tee.“
Die Dame lächelte ihn an, nickte und verschwand in die Küche.
Bao Zi, mit Gemüse gefüllte Teigtaschen, aß er sehr gerne, ganz besonders wenn er unterwegs war, denn die lagen ihm gut im Magen. Der Pu Erh Tee ist die Teesorte, die sein Meister am liebsten trank. Dieser Tee ist ebenfalls sehr gut für den Magen. „Pu Erh Tee ist die ursprünglichste aller Teesorten“, pflegte sein Meister zu sagen. Wu Guan Tai war schon als Kind von den Geschichten des Meisters über seine Reisen nach Tibet entlang der Tee-Route sehr angetan. Über diese Route wurde der Pu Erh Tee in verschiedene tibetische Städte transportiert. Sein Meister war jedoch kein Händler, sondern ein Pilger, der sich den Händlern auf ihrer Reise anschloss. Bei diesen langen Wanderungen hatte der Meister sehr viel erlebt und gesehen. Allerdings sprach er nicht gern über Vergangenes und Guan Tai konnte ihn nur bei einer guten Tasse Tee dazu bringen diese Geschichten zu erzählen.
Wu Guan Tai ließ seinen Blick durch das Restaurant wandern, der auf dem älteren Herren, der ganz gebannt in den Fernseher starrte, eine Zeitlang stehen blieb. Dann schaute er in Richtung Küche und daraufhin aus dem Fenster. Nach der langen Zugfahrt war es Ihm unglaublich langweilig geworden. Mit einem Ohr verfolgte er, was im Fernsehen lief und das weckte schließlich doch sein Interesse.
Im Fernsehen wurde ein Nachrichtenmagazin ausgestrahlt und er hörte wiederholt das Wort Kornkreise . Guan Tai wandte sich dem Bildschirm zu.
„Seit der gestrigen Nacht wurden weltweit mittlerweile mehr als 30 Kornkreise gemeldet…“ Diesen Satzfetzen hatte er nur kurz von der Nachrichtensprecherin vernommen und da wechselte der Sender schon das Thema.
„Kornkreise?“, sagte Guan Tai und schaute dabei den alten Mann an.
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