Ich betrachte das Gesicht der auf dem Rücken liegenden Ajame und ich sage mir: man könnte von einer Gesichtsfläche, von einem Flächengesicht sprechen. Stirn, Augengegend, die Wangenpartien unter den Augen, all dies liegt, dem Anschein nach, wie in einer Ebene. Die Stirn nicht über dem Auge vorgewölbt, nicht vorspringend, und keine aus der Ebene hinausstrebende, hinausragende Nasenwurzel. Fläche, Flachheit! Ja, es ist überhaupt keine Nasenwurzel, kein Nasenteil zwischen den Augen zu sehen. Anstatt der Nasenwurzel nur eine flache „leere“ Stelle. Und unterhalb dieses Nichts erhebt sich wie das Näschen eines Kindes, wie ein niedliches Fleischknöspchen, das Näschen dieser Japanerin.
– Wenn man die Einzelheiten des Gesichts, eine nach der anderen, hier niederschreibt, mag das vielleicht so klingen, als hätte man's nicht eben mit Schönheiten zu tun. Indes, wie gesagt, der Gesamteindruck von Ajames Gesicht ist sehr angenehm und mancher sonderbare Einzelzug wirkt als reizvolle physiognomische Pikanterie.
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Es wird vielleicht Leute geben, welche der Meinung huldigen: O, es genügt nicht, dass die Liebesgefährtin ein fremdartiges, exotisches Menschenkind ist; durch diesen Umstand allein wird das Liebesereignis noch nicht ungewöhnlich und wunderbar. Man muss viel höhere Anforderungen stellen. Soll das Erlebnis außerordentlich sein, so müssen, vor allem die Liebesgenüsse, welche die Frau spendet, von der gewöhnlichen Form und Norm abschweifen. Eine Frau, welche sich in der Liebe so regulär und einfach benimmt, wie irgendeine biedere schlichte Frau Meier oder Schulze, kann uns doch nicht ein seltsames Liebesabenteuer bieten, und wäre sie noch so sehr japanisch. –
Gewiss, für die Leute, welche unter einem besonderen, absonderlichen erotischen Erlebnis zunächst die außernormalen Gunsterweisungen und Liebkosungen verstehen, müsste die Japanerin Ajame allerdings eine Enttäuschung sein.
Meine gute simple Ajame! Ihre Liebesbezeugungen sind nicht angekränkelt von raffinierten und überraffinierten Regungen, sie könnten vielmehr, wie erwähnt, ebenso wohl die rührend einfachen, rechtschaffenen Zärtlichkeiten einer hausbackenen Europäerin sein; zudem einer Europäerin, der auch an dem Kussgebiet des Liebeslebens nicht viel gelegen ist.
Soweit aus der kurzen Bekanntschaft ein Urteil abgeleitet werden darf, kann gesagt werden: Ajame ist das, was man als normal bezeichnet.
Der Mann, dem dergleichen unsympathisch ist, muss eben die Japanerin meiden und wenn er seine Sehnsucht nach dem Außerordentlichen befriedigen will – außerordentlich gemäß seiner Auffassung – dann wird er gut tun, sich an die Europäerin zu wenden, an eine der vorrätigen europäischen Freudendamen.
Bei den Europäerinnen dieser Gasse ist das Außergewöhnliche gar sehr gewöhnlich.
Mir fällt das europäische Freudenmädchen ein, das mich vor kurzem draußen auf der Gasse, in der Suklajistreet, angesprochen hat. Besagte Dame war reich an Jahren und Puderstaub und nachdem sie geheimnisvoll umhergeblickt, ob kein Lauscher – keine Lauscherin – in der Nähe sei, raunte sie mir zu, dass ihre Liebeswissenschaft durchaus nicht vulgär-dürftig, nicht ländlich-plump sei, sondern einen großstädtischen Zug habe, einer Hauptstadt entstamme, ja sogar der Metropole Frankreichs.
Die Europäerinnen dieses Schlages importieren nach Kamatipura ihre Gepflogenheiten, die Betätigungen, die neben der Norm dahinziehen oder sie kreuzen oder ihr zuwiderlaufen. Und wer darauf aus ist, Nicht-alltägliches zu erleben, hat allerdings die Wahl zwischen jener gepuderten, allseits gebildeten Veteranin aus Europa und dem Mädchen aus Japan, das nur über die primitiven Elementarkenntnisse der Liebe verfügt.
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Außer den erwähnten Mängeln besitzt die Japanerin Ajame noch ein Gebrechen. Es gebricht ihr gänzlich an der Selbstüberhebung, dergleichen manche Europäerinnen zur Schau tragen, ob sie nun infolge ihrer Vorzüge eine Berechtigung hierzu haben, wie zum Beispiel jene Veteranin, oder auch nicht. (Ajames niedliches Näschen ist übrigens von Natur aus völlig untauglich, sich hochnäsig zu überheben.)
Nein, meine liebe Ajame ist nichts weniger als anmaßend oder dünkelhaft. Sie benimmt sich gegen den Mann gemäß der ursprünglichen Frauenempfindung: Er soll dein Herr sein!
In ihrer Liebenswürdigkeit ist etwas vom Sich-beugen einer Dienerin. Nicht sklavenhafte Unterwürfigkeit – wer könnte daran Gefallen finden! – aber die deutlichen Äußerungen eines weiblichen Instinkts, der den Mann als ein Übergeordnetes fühlt.
Sie ist zuvorkommend, freundlich, gutmütig, heiter, – eine mustergültige Gefährtin der Liebe, zum mindesten der Liebe, von der hier die Rede ist.
Schauspielerei oder Natur? – Ich weiß nicht, ob dir's vom Herzen kommt, du kleines Fräulein, wenn du lieb lächelst, aber ich weiß, dass mir dein Lächeln erfreuend zu Herzen geht.
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Wieder in Indien – Fett oder nicht-fett – Die armen Inderinnen
Wieder in Indien – Fett oder nicht-fett – Die armen Inderinnen
Bombay, Mai 19..
Zum zweiten Mal in Bombay.
Diesmal mit dem Dampfer „AFRIKA“.
Jetzt ist's in Bombay tüchtig heiß, aber es ist eigentlich doch nicht so arg, wie ich erwartet habe. Man ist immerhin arbeitsfähig und arbeitslustig, die klimatischen Verhältnisse sind denn doch nicht so heillos, dass ihnen Leib und Seele schnöde erliegen müssten.
Ich habe gestern um die Mittagszeit in den Gartenanlagen von Bombay ausführlichere Spaziergänge absolviert, zu botanischen Studien-Zwecken, habe die Pflanzen und deren Namen-Täfelchen besichtigt und bin bei diesem Studium der Bombay-Flora dennoch nicht – meines Wissens – von einem Sonnenstich angefallen worden.
– – – Den billigen Übergang von der Bombay-Flora zu einer anderen Art von Bombay-Flora will ich mir nicht versagen. Da die Mädchen-Flora, die in Kamatipura, im Stadtviertel der Freudenmädchen, gedeiht, erst nach Sonnenuntergang ihre Blüten entfaltet, so wurden die botanischen Studien, die ich während der vergangenen Abende in der Suklajistreet und in den benachbarten Gassen betrieb, minder von klimatischen Schwierigkeiten behelligt.
Wenn ich das Wort „Studien“ verwende, so will ich hiermit mir gegenüber sicherlich nicht die Tendenz meiner Kamatipura-Ausflüge beschönigen. Es ist möglich, dass diese Ausflüge einen nicht „rein-wissenschaftlichen“ Charakter haben, ja ich darf überzeugt sein, dass sie einigermaßen auch von den sogenannten fleischlichen Interessen veranlasst sind. – Tut nichts! – Ich sympathisiere mit dem wackeren Satz: „homo sum, humani nihil a me alienum puto.“ (Ich bin ein Mann, ich denke nichts Fremdes für mich)
Das „nihil“ hinlänglich unterstrichen.
Es ist anzunehmen, dass das gegenseitige Stärkeverhältnis der „rein-wissenschaftlichen“ und der „fleischlichen“ Interessen ziemlichen Schwankungen unterworfen ist; das eine Mal mögen jene stärker sein, ein andermal diese. Doch wie immer sich's auch mit den Triebfedern meiner Kamatipura-Ausflüge verhalten mag, sicher ist, dass meine nächtlichen Streifzüge durch Kamatipura die angenehme Folge haben: es ergibt sich Gelegenheit, die Zustände der indischen Eingeborenenstadt kennen zu lernen, Schlupfwinkel und Geheimnisse von Bombay zu erblicken, an welche ich vielleicht nimmer herangekommen wäre, wenn mich nicht das „homo sum etc.“ zu ihnen hergeführt hätte.
Ich spaziere in irgendein enges Nebengässchen der Suklajistreet hinein, und hier eröffnet mir dann und wann ein Zufall einen Rundblick auf Bombay-Verhältnisse, die eigentlich mit Freudenmädchentum in keinem unlöslichen Zusammenhange sind.
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