Matt musste die Augen schließen, um sich beherrschen zu können. „Hör endlich auf damit! Dieses leidige Thema steht mir bis sonstwo!“
„Und weißt du, warum? Weil es die Wahrheit ist! Du kannst nicht damit leben, dass mir das Vermögen allein gehört!“
„Stell dir vor: Dass ich keinen Cent davon erben würde, war mir schon vor unserer Hochzeit klar! Du und dein Vater – ihr habt mehr voneinander, als euren Mitmenschen lieb sein kann!“
„Vater war der gütigste Mensch, den ich jemals gekannt habe!“, brauste Rachel auf und schlug erneut mit der Faust auf den Tisch, diesmal fester. Einer ihrer Fingernägel brach ab, sie registrierte es nicht. „Es ist doch wohl selbstverständlich, dass er Angst um seine Tochter hatte!“
„Natürlich“, stimmte Matthew großmütig zu. „Es ist ja auch ganz selbstverständlich, dass bis zu dem Tag, an dem er endlich unter der Erde verscharrt wurde, seine Lieblingsbeschäftigung darin bestand, seinen Schwiegersohn zu tyrannisieren!“ Gespielt entsetzt schlug er die Hände ineinander und drehte die Augen gen Decke. „Ach, Matthew, mein Sohn!“, flötete er mit verstellter Stimme. „Wirst du denn überhaupt jemals fähig sein, meiner Tochter den nötigen Lebensstandard zu bieten? Einen Arzt hatte ich mir nun wirklich nicht als zukünftigen Schwiegersohn vorgestellt!“ Matts Fäuste donnerten krachend auf die Tischplatte. „Nein! Ich hatte mir auch keinen solchen Schwiegervater vorgestellt und erst recht keine Frau, die ihm, je länger ich mit ihr verheiratet bin, ähnlich wird wie ein Zwilling!“
Empört stieß Rachel einen Schrei aus: „Niemand wagt es, ungestraft so über meinen Vater zu sprechen!“
„Oh doch! Ich! Ich wage es! Und ich wage sogar noch viel mehr! Hätte ich damals nämlich schon erkannt, was ich heute weiß, dann hätte ich dich irgendeinem Wirtschaftsboss oder Finanzheini überlassen, von dem dein Vater immer geträumt hat! Vielleicht wärst du dann zur berühmten Londoner Modeschöpferin aufgestiegen und hättest die Firma nicht an den erstbesten, reichen Konzernchef verhökert, der mit den nötigen Scheinchen unter deiner Nase gewedelt hat! Also, tu’ nicht so scheinheilig! So viel kann dir das Lebenswerk deines werten Herrn Vaters nicht bedeutet haben!“
„Gut, dass du mir jetzt endlich die Augen geöffnet hast! Dann weiß ich ja, was ich als nächstes zu tun habe!“
„Das freut mich für dich, aber lass mich dabei bitte aus dem Spiel!“
Ohne Rachel die Chance zu geben, etwas zu erwidern, lief er mit großen Schritten zur Haustür und ließ sie hinter sich offenstehen. Er rannte zur Einfahrt hinaus, quer über die Grasebene. Immer schneller trugen seine Beine ihn den Hügel hinauf, bis er völlig außer Atem stehenbleiben und verschnaufen musste. Schon nach wenigen Sekunden jedoch trieb der Zorn ihn weiter und erst, als er den Waldrand erreichte, merkte er, wie er sich innerlich wieder ein wenig beruhigte.
* * *
An diesem Donnerstagnachmittag brannte die Sonne besonders heiß und stechend auf den Landstrich zwischen der Silver Range und dem Snake River herab. Der Hochsommer drängte seinem Höhepunkt entgegen und ließ manchen der Männer sehnsüchtig vom weit entfernten Wintereinbruch träumen. Die vor wenigen Wochen noch grünen Weiden der Prärien hatten sich in ödes, eintöniges Braun verwandelt, das nur von den immergrünen Laubbaumwäldchen durchbrochen wurde. Über den Sandflächen, nahe der im Norden liegenden Felsen, flimmerte ein dünner Streifen Hitze dicht über dem Boden und das Bett des schmalen Flüsschens lag bis auf ein schmales Rinnsal ausgetrocknet.
Träge grasten die Rinder der großen, über gut eine Meile verteilten Herde die dürren Halme ab oder lagen müde von den niederbrennenden Sonnenstrahlen mit fast geschlossenen Lidern im Halbschlaf. Der schwüle Wind trug ihr Muhen und Kauen weit über die stille Ebene hinweg, fast bis hinüber nach Silvertown.
Gegen Mittag frischte die Brise von Westen her auf und brachte endlich die ersehnte Abkühlung. Erschöpft nahm Trey sich den verstaubten, grauen Hut vom Kopf und wischte mit dem Ärmel seines Hemds über die mit Schweißperlen bedeckte Stirn. Von dem langgestreckten, grasbewachsenen Hügel aus hatte er einen weiten Blick über die Herde und das Land und erleichtert stellte er fest, dass die Rinder heute ausgesprochen ruhig und gehfaul waren.
Plötzlich vernahm er Hufgetrappel hinter sich und eine Stimme rief: „Na, deinen schlauen Job möchte ich auch Mal kriegen! Eben habe ich wieder eins dieser verflixten Viecher eingefangen! War schon auf dem Weg in Richtung Canyon!“
„Oho!“ Gespielt bemitleidend verzog Trey das Gesicht. „Dabei sind die lieben Tierchen heute doch so brav und anständig!“
Alec dirigierte seine Fuchsstute neben den goldfarbenen Wallach mit den vier schwarzen Beinen.
„Schläfst du, während du hier aufpassen sollst?“ Er schmunzelte. „Aber, wenn ich das richtig sehe, gibt’s jetzt erstmal Pause!“ Er deutete auf einen noch weit entfernten Punkt in der östlichen Prärie, der schnell näher kam und dabei eine große Staubwolke aufwirbelte.
„Das ist Joey mit unserem Mittagessen“, mutmaßte Trey und grinste zufrieden. „Hoffen wir, dass der Wagen es noch bis zu uns herüber schafft. Mit der Ölpumpe stimmt was nicht.“
„Hoffentlich muss ich mich nicht mit den aufgewärmten Bohnen von gestern begnügen.“ Alec trieb seine Stute an.
Trey wollte ihm schon folgen, als er hinter sich eine Bewegung wahrnahm. Im Sattel umdrehend, zügelte er seinen Wallach.
„Hey!“, rief er dem anderen Cowboy nach. „Nervensägen im Anmarsch!“
Nicht weit entfernt preschten zwei Pferde in vollem Galopp heran, das eine weiß, das andere braun-gescheckt. Ein wenig irritiert blickten die beiden jungen Männer den schnell näherkommenden Tieren entgegen.
Im Vorbeijagen schrie Amy ihnen zu: „Nicht schlafen! Mein Vater hat euch zum Arbeiten eingestellt!“ Schon waren sie und Jean vorüber und galoppierten nebeneinander den Hügel hinab, rechts an der Herde vorbei.
„Ich glaub’s ja nicht!“, brüllte Trey ihnen lachend nach und stieß einen Pfiff aus, woraufhin sein Goldbrauner mit den schwarzen Beinen augenblicklich in die Höhe stieg, um danach anzugaloppieren. Alec verstand. Die beiden jungen Männer gaben ihren Pferden die Zügel frei und nahmen die Verfolgung auf. Die beiden Mädchen hatten einigen Vorsprung gewonnen und ihre Pferde waren eben erst aus dem Stall gekommen und ausgeruht, während sich die Tiere der beiden Cowboys schon seit den Morgenstunden im Einsatz befanden. Nahe der Stelle, wo der Pickup abgestellt werden würde, zügelten Trey und Alec ihre Pferde und ließen die beiden Mädchen entkommen.
„Tja…“ Trey grinste anerkennend. „Das nennt sich Schicksal! Zuerst bringt man ihnen das Reiten bei und dann beweisen sie einem, dass sie besser sind als du!“
„Reiten beibringen?“, wiederholte Alec, wobei er verständnislos die Augen aufriss. „Wer? Du?“
„Natürlich!“, versicherte Trey mit ernstem Gesicht. „Alles, was die kleine Engländerin kann, hat sie sich doch von mir abgeschaut! Chris’ theoretische Sandplatzrunden tragen höchstens dazu bei, dass sie beim ersten Galopp nicht gleich davonfliegt!“
Im nächsten Augenblick grinste er verschmitzt und trieb sein Pferd wieder an, ehe Alecs Stiefel ihn am Oberschenkel treffen konnte.
* * *
Genüsslich zog der junge Mann an seiner Zigarette und lehnte sich mit dem Rücken an die raue Holzwand der Scheune. Er streckte die Beine aus und gähnte. Ein anstrengender Tag lag hinter ihm und er war froh, es endlich geschafft zu haben. Die Sonne schien warm auf sein Gesicht und er war kurz davor einzudösen, als eine fröhliche Stimme plötzlich über ihm sagte: „Hallo Alec! Hast du Feierabend?“
Erstaunt schlug er die Augen auf und blinzelte. „Ja, für heute bin ich fertig! Im wahrsten Sinne des Wortes!“ Er spickte die Asche seiner Zigarette in den Sand.
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