„Ach – der Ausflug, als Rachel und ich einen dreistündigen Gewaltmarsch hinter Stevie Bentley her, quer durch ganz Silvertown absolvieren durften!“ Matt lachte leise auf und probierte das teure Getränk, das ihm schon nach dem ersten Schluck im Hals brannte. „Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob Patty je erfahren hat, was das Wort Erziehung überhaupt bedeutet.“
„Damals schien sie sich jedenfalls nur dunkel daran zu erinnern“, meinte Ben ungeniert und verzog das Gesicht zu einem versöhnlichen Lächeln.
„Details solltest du mir meinen Nerven zuliebe besser ersparen!“
„Na, wenigstens hast du mit Jean ein wenig mehr Glück“, warf Ben schmunzelnd ein. „Sie passt ja irgendwie so gar nicht zum Rest deiner Familie…“
„Wahrhaftig nicht!“ Matthew seufzte tief und hörbar. „Sie hat zu viel von mir mitbekommen. Das ist in unserer Gesellschaft nicht gut. Sie hat sich dort noch nie zurechtgefunden und ich fürchte, sie wird es auch niemals ernsthaft tun.“
„Hmm...“ Bens Gedanken arbeiteten angestrengt. „Dann hat sie zumindest jetzt die Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu finden. Oder glaubst du, Patty wird sich später viel von deiner Frau unterscheiden?“
Nur ungern ging Matt auf dieses Thema ein. Es bereitete ihm häufig genug Kopfzerbrechen und er hatte sich angewöhnt, es beiseitezuschieben und bestmöglich zu verdrängen.
„Manchmal frage ich mich, wo ich da hineingeraten bin.“ Seine Stirn legte sich in tiefe Sorgenfalten. „Zu Anfang unserer Ehe war alles vollkommen anders. Damals stand Rachel hinter dem, was ich entschieden habe und sie hat mich dabei unterstützt. Sie war da, wenn ich sie brauchte und hatte nicht bloß ihre eigenen Interessen im Kopf. Wäre nur dieses verfluchte Erbe nicht gewesen!“
Fragend legte Ben den Kopf schief. Seine linke Augenbraue bog sich in gewohnter Manier nach oben, wenn er stark über etwas nachdachte.
Matthew seufzte, als er den Blick des anderen Mannes bemerkte und fuhr erläuternd fort: „Rachels Vater besaß eine nicht unbedeutende Textilfabrik. Sie war seit ihrer Jugend seine Privatsekretärin, weil die Mutter früh verstorben ist und hat alle wichtigen Dinge für ihn geregelt.“
„Sie hat studiert?“
„Nein. Sie hätte beginnen sollen, Betriebswirtschaft zu studieren, ja. Allerdings kam es nie dazu, weil, nun ja, leider kam ich dazwischen! Ich – der einfache, nichtssagende Medizinstudent, neun Jahre älter und sie – die reiche, vergötterte und von allen angehimmelte Tochter eines angesehenen, harten Mannes, der nie über den frühen Tod seiner Frau hinweggekommen ist. Rachel war für ihn der einzige Ersatz. In ihr lebte seine Frau weiter und sein ganzes Leben hat sich nur um seine Tochter gedreht. Er hat ihr alles zu Füßen gelegt, was sie sich nur erträumte. Er entschied für sie und sie ist von klein an gewohnt, alles, was sie will, zu bekommen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Als er vor zehn Jahren starb, fiel das gesamte Vermögen an Rachel: Die Firma, die Immobilien, die Aktien und Wertpapiere, das Barvermögen, die Antiquitäten… Wir haben heimlich geheiratet, ohne ihren Vater und nur mit zwei guten Freunden als Trauzeugen. Ihren eigenen Willen besaß sie schon immer!“ Er seufzte tief. „Oh, ich entsprach keineswegs den Vorstellungen von Mr. van Haren senior! Ein Geschäftsmann hätte ins Haus gehört, einer, der etwas von seinem dubiosen Wertpapierhandel versteht und vor allen Dingen von Textilien! Kein Wunder, dass er mich in seinem Testament keines Wortes bedacht hat. Allerdings zeigte auch Rachel keinerlei Interesse daran, die Hinterlassenschaften ihres Vaters fortzuführen. Wozu auch? Das meiste davon hat sie gewinnbringend verkauft: Die Firma ging an das höchstbietende Konkurrenzunternehmen, bis auf die Villa verschacherte ihr Anwalt sämtliche Immobilien zu Wucherpreisen und ein Teil der antiquarischen Einlagerungen ging an Museen oder private Sammler. So waren wir zwar hinterher an Sachgegenständen ärmer, aber auf dem Bankkonto um noch mehr Stellen vor dem Komma reicher und das konnte Rachel durchaus befriedigen.“
„Du hast dich also für deine Frau entschieden, obwohl du wusstest, was dich erwartet“, sagte Ben.
„Keine Ahnung, ob…nein, falsch.“ Matt schüttelte den Kopf. „Eigentlich war mir durchaus bewusst, worauf ich mich einlasse.“ Er lächelte und ein merkwürdiger Ausdruck legte sich auf seine schmalen Gesichtszüge. „Zum ersten Mal getroffen haben wir uns auf der Feier zu Ehren ihres Vaters, der der Universität einen neuen Chemiesaal gesponsert hat. Sie stand dort oben, auf der Bühne, in einem berauschenden Kleid aus weißer Organza, mit roten Stickereien besetzt. Sie war so wunderschön! Der Himmel weiß, woher ich den Mut genommen habe, sie hinterher anzusprechen. Es war wie ein Zwang, ich konnte nicht anders, ich musste sie um ein Treffen bitten. Du hast keine Vorstellung, wie schön sie war…“
Er sah sie vor sich, wie sie damals die Stufen herabschwebte, auf ihn zukam, charmant lächelte. Von dieser Sekunde an hatte er sie geliebt, liebte sie mehr, als er es selbst begreifen konnte, würde niemals wieder von ihr los kommen. Und Rachel? Was empfand sie für ihn? Liebte sie ihn auf dieselbe Weise? Nein, das war seine Illusion, der er sich immer dann hingab, wenn ihr gemeinsames Leben wieder einmal in völlig unterschiedlichen Richtungen verlief.
„Manchmal denke ich, sie hat mich nur geheiratet, weil ich als einziger des unzählbar großen Haufens von Verehrern so dumm war, meinen Namen herzugeben.“
Ben konnte ihm nicht ganz folgen. „Du hast deinen Name für eure Ehe geopfert?“
„Sozusagen. Bedingung im Ehevertrag war, dass ich ihren Namen annehmen würde – mein Geburtsname lautet Cordick.“ Matt seufzte. „Ohne diese Bedingung zu erfüllen, hätte sie mich nie geheiratet. Van Haren – alter, niederländischer Adel! So etwas gibt eine Frau wie Rachel nicht einfach her. Er ist ihr wichtigstes Argument in allen Streitfragen.“ Seine Miene verfinsterte sich und er äffte seine Frau nach: „‘Ich bin eine van Haren – was erwartest du?! Ich habe eine Pflicht zu erfüllen.‘“
Ben konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Von irgendwoher muss deine jüngste Tochter ihr Wesen ja mitbekommen haben!“
„Ich habe schon oft versucht, Rachel klarzumachen, dass das der falsche Ansatz ist – sie kann aus ihrer Tochter kein Ebenbild schaffen, aber auf dem Ohr ist sie taub!“ Matt machte eine resignierte Handbewegung. „Ich fürchte, Patty hat sich schon zu sehr mit ihr identifiziert. Jean dagegen…“ Er lächelte. „Sie ist eigensinnig und im Grunde ihres Herzens mutiger, als sie es selbst im Moment einschätzen kann. Sie lässt sich von ihrer Mutter keinen Stempel aufdrücken.“
Bens Blick wanderte hinüber zum Kamin, blieben an den züngelnden Flammen hängen, die allmählich niederbrannten. „Dann pass gut darauf auf, dass niemand ihr diesen Eigensinn wegnimmt. Er wird sie davor bewahren, ein Leben zu führen, das sie unglücklich macht.“
Matt ließ die Worte des Ranchers auf sich wirken. Er konnte nicht ahnen, wie häufig er sie sich in den kommenden Jahren ins Gedächtnis zurückrufen und sich fragen würde, warum alles so gekommen war. Mutig zu sein bedeutete auch, sich manchmal gegen Menschen zu stellen, die einem etwas bedeuteten, doch das erkannte Matthew erst später, sehr viel später.
* * *
Um die Zeit des späten Nachmittags lagen die Gebäude und Koppeln der Arkin Ranch für gewöhnlich ruhig und verlassen in ihrer schützenden Einfriedung zwischen den Bäumen. Die Mittagspause war vorüber, die Männer schon längst wieder draußen bei der Arbeit. Die Tore des Pferdestalls standen weit offen, sodass der auffrischende Mittagswind hineinblasen konnte. Nur in der ersten Box links stand Kitty, Amys Schimmelstute. Alle anderen Verschläge lagen leer und frisch gemistet da und schienen die dazugehörigen Tiere zurückzuerwarten.
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