„Oh, Sie missverstehen mich völlig! Ich habe sogar gewaltigen Respekt vor kleinen Mädchen mit großen Gewehren!“ Nachdenklich kratzte er sich das glattrasierte Kinn. „Komisch. Jetzt ist es mir doch tatsächlich entfallen!“
„Was ist Ihnen entfallen?“, fragte Patty prompt und der Zorn über sein triumphierendes Grinsen ließ sie rot anlaufen. Sie wusste nicht recht weshalb, aber er machte sie wahnsinnig mit seiner ironischen Art!
„Ihre fabelhafte Vorstellung hat mich ganz aus dem Konzept gebracht, weshalb ich eigentlich hergeschickt worden bin.“ Scheinbar zutiefst entsetzt über seine Vergesslichkeit starrte er Patty aus seinen blitzenden, hellblauen Augen an.
„Dann brauchen Sie meine wertvolle Zeit ja nicht weiter unnötig zu verschwenden! Außerdem werden Sie von Ihren vierbeinigen Freunden bestimmt schon sehnsüchtig erwartet!“ Patty grinste boshaft. „Rechts neben dem Windrad ist der Ausgang. Nur als kleiner Tipp, damit Sie sich nicht verirren!“ Sie liebte ihre Schlagfertigkeit, mit der sie jedes Duell gewinnen konnte. „Ach ja, als kleiner Ratschlag: Rechts ist hier drüben!“ Sie deutete ihm mit dem Gewehrlauf eifrig in die besagte Richtung.
„Dann seien Sie bloß vorsichtig, damit Ihnen nicht noch eine Horde meuternder Indianer begegnet und es auf Ihre wertvolle Winchester abgesehen hat!“, rief der Cowboy, nun doch ein wenig verstimmt, während er sein Pferd aus dem Stand angaloppieren ließ und es geschickt durch den schmalen Durchlass in der Hecke lenkte, hinaus in die Prärie.
„Verwöhnte Ziege“, murmelte er noch, doch das konnte Patty nicht mehr hören.
Erleichtert blickte sie ihm nach und wartete, bis sie sicher sein konnte, dass er nicht zurückkam. Der Hufschlag verstummte.
Das musste einer dieser Verrückten sein, von denen ihre Mutter berichtet hatte, einer von denen, die sich für Rinderhüter hielten und sich auch dementsprechend benahmen; die noch die Zeit von vor hundert Jahren zurückholen wollten, anstatt dem Fortschritt mit Maschinen den Vorrang zu gewähren. Wütend wandte Patty sich ab. So eine Nervensäge! Der Lauf des Gewehrs schlug mit einem dumpfen, lauten Knall gegen die Holzbohlen vor der Haustüre und hinterließ dort eine tiefe Schramme. Genervt packte sie die Waffe mit beiden Händen und trug sie, den Kolben nach oben, weit von sich gestreckt ins Haus zurück. Nur weg damit, bevor wirklich noch etwas passierte! Sie hatte ja keine Ahnung, wie man mit einem solchen Ding umzugehen hatte.
Mit einiger Mühe gelang es ihr, das Gewehr an seinen ursprünglichen Platz zurückzubefördern und sie ärgerte sich maßlos über ihr eigenes, idiotisches Benehmen. Hätte sie sich ruhig verhalten, wäre er vermutlich einfach wieder verschwunden! Jetzt erzählte er bestimmt überall herum, was ihm hier widerfahren war und wie kindisch sie sich benommen hatte.
Aus den Lautsprechern des schwarzen, neu erworbenen Radios spielte von der Fensterbank her leise Glenn Miller durch den Wohnraum, während Matt am rechteckigen Esstisch vor einem Stapel von exakt siebzehn Tageszeitungen, medizinischen Fachblättern und Zeitschriften saß. Der Nachmittag in Summersdale war äußerst erfolgreich verlaufen und hatte seinen Geländewagen auf die erste harte Probe gestellt: Nämlich die, ob der Kofferraum mitsamt dreiviertel der Rücksitzbank zum Verstauen sämtlicher Einkäufe ausreichen würde. Die Hütte entsprach natürlich längst nicht Rachels Ansprüchen und deshalb war ihr Eigentum nun auf fast das Doppelte dessen, was bei ihrer Ankunft vorhanden gewesen war, angewachsen. Außerdem hatte es sich Rachel nicht nehmen lassen, sofort einen Architekten zu engagieren, der sich um einen Umbau, den Anbau eines weiteren Raumes zum Zweck eines begehbaren Kleiderschranks und der Erneuerung des Badezimmers und des Dachs, sowie dem Einbau einer Zentralheizung kümmern würde. Matt beschloss, sich diesbezüglich vollkommen herauszuhalten und einfach Scheuklappen aufzusetzen. Es war schließlich nicht sein Geld, was sie hier unnötig verschwendete. Er war lange genug mit ihr verheiratet, um zu wissen, dass alles Reden nichts nützte, wenn sich Rachel einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte und im Grunde war er ja froh, dass sie immerhin seit dem Vormittag nichts mehr von einem Umzug nach Summersdale hatte verlauten lassen. Wozu sollte er sich also einmischen? Hauptsache, sie ließ ihn in Frieden und er konnte für das kommende Jahr in dieser Abgeschiedenheit leben, wie er es sich immer erträumt hatte. Es war ja sowieso nur für ein Jahr und aus seiner Sicht viel zu kurz. Wäre es nach ihm gegangen, er hätte London vermutlich für immer den Rücken gekehrt, aber ihn fragte niemand und er zählte in dieser Familie ohnehin nur am Rande, ganz zum Schluss, wenn seine Frauen ihre Wünsche befriedigt hatten.
Dadurch, dass die meisten ihrer Kleider in London hatten zurückbleiben müssen, war auch ein Besuch des teuersten Modegeschäfts in Summersdale unvermeidbar gewesen. Für die bevorstehende Feier war Rachels Wahl auf ein lachsfarbenes Kostüm mit Blazer und knöchellangem, schwingendem Rock gefallen und jetzt stand sie im oberen Stockwerk im Badezimmer vor dem Spiegel, um sich entsprechend herzurichten. Schließlich wollte sie gleich von vorn herein einen guten Eindruck hinterlassen und den hier ansässigen Hinterwäldlern klarmachen, welchen Status sie besaß.
Matthew rückte seine Fliege zurecht und warf einen bedenklichen Blick auf seine Armbanduhr, die ihm sagte, dass es gleich halb sieben war und sowohl von seiner Frau, als auch von seiner jüngsten Tochter hatte er bisher nichts gehört und gesehen – aber diese Situation war ihm ja hinlänglich bekannt.
In dem – wie alles in diesem Haus – viel zu kleinen Badezimmer schlüpfte Patty widerwillig in ihr hellblaues, mit Blumendruck verziertes Cocktailkleid, während Rachel ihrem Make-up den letzten Schliff verlieh. Das Schminkkästchen war mit allem gefüllt, was ihr Herz erfreuen konnte: Von Wimperntusche über mindestens zehn verschiedene Lippenstifte, Nagellacke bis hin zu Puder, Rouge und Grundierungen in verschiedenen Ausführungen und Farbnuancen – für jeden Anlass und jedes Kleid das passende. Rachel schminkte sich täglich. Es gab wohl niemanden, der sie je im Morgenmantel und ohne frisiertes Haar gesehen hatte, abgesehen von Matthew und das auch nur deshalb, weil sie als Ehepaar zwangsläufig ein Schlafzimmer miteinander teilten.
„Dieses Fest wird bestimmt nicht abgesagt werden, nur weil ich nicht dabei bin“, fand Patty und setzte sich mit mürrischer Miene auf den Rand der Badewanne.
„Vergiss es.“ In aller Seelenruhe zog Rachel ihren Lidstrich nach. „Das wird heute mein Abend! Außerdem ist es doch schade, wenn du nie Gelegenheit findest, das Kleid anzuziehen! Es war zu teuer, um nur im Schrank zu hängen.“ Zufrieden betrachtete sie ihr Spiegelbild. „Sei so gut und kümmere dich darum, dass deine Schwester halbwegs ordentlich aussieht! Ich möchte nicht, dass sie wieder herumläuft, als gehöre sie nicht zur Familie!“
„Aus ihr wirst du auch mit dem teuersten Kleid keine Schönheit basteln!“
„Ich habe dir gesagt, was ich von dir erwarte!“, kommandierte Rachel gereizt und machte den Platz vor dem Spiegel frei. „Los! Jetzt frisier’ dir noch die Haare und dann hilf deiner Schwester. Unpünktlichkeit wirft immer ein schlechtes Licht auf die Erziehung eines Menschen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Das hat mich schon mein Vater gelehrt – und der musste es wissen!“
Patty machte sich daran, ihr rotbraunes, leicht welliges Haar ziepend und zwickend mit der Bürste immer wieder durchzukämmen, um es zuletzt mit Haarspray ein wenig zu toupieren.
„Ich hasse es!“, entfuhr es dem Mädchen plötzlich verzweifelt. Sie kämpfte mit den Tränen. „Ich will zurück nach Hause!“
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