Meiner Kollegin, die etwa 35 Jahre jünger ist als ich, teile ich mit, dass ich gleich nach Büroschluss die „Seniorenwoche“ im Kölner Gürzenich besuchen will. Dort werden Informationen rund ums Älterwerden geboten, Vorträge zur Ernährung und vermutlich allerhand nützliche Ratschläge. Mal gespannt. Der schönste Satz aber, mit dem die Kollegin mein Vorhaben kommentiert, ist dieser: „Da gehörst Du aber eigentlich noch nicht hin!“
12. April
Der Wecker schellt, und während ich mich hinüber lehne, um das Geräusch abzustellen, merke ich, dass ich Magenschmerzen habe. Auch nachts war ich wach, und spürte einen seltsamen Druck im Bauch. Das Essen war schuld, dachte ich, vielleicht war es zu viel. Während ich unter der Dusche stehe, überlege ich, ob es wirklich nur am Essen lag? An den Reibekuchen, dem Lachs und den drei Gläsern Rosé am vergangenen Abend.
Ich vermute eher, es hat mit dem neuen Computer-Programm zu tun, welches nicht nur ich, sondern alle meine Kolleginnen demnächst beherrschen müssen. Ich glaube, ich habe Angst davor. Angst, die Handhabung nicht gut zu verstehen oder umzusetzen. Seit Tagen weiß ich das alles, konnte aber das Thema verdrängen. Nur mein Unterbewusstsein lässt über einen gewissen Magendruck mitteilen, dass was im Argen liegt, dass ich ran muss, mich anstrengen, was auch immer. Jedenfalls fürchte ich mich vor dieser Aufgabe. Je älter ich werde, desto schwerer fällt mir die Umstellung auf neue Techniken.
Mittlerweile bin ich angezogen und geschminkt und gucke mich beinahe aufmunternd im Spiegel an. Es wäre doch gelacht, wenn es nicht gelingen würde. Ich muss mir nur alles, was zu tun ist, genau notieren, notfalls jeden einzelnen Schritt, der zu bewältigen ist, damit das Programm läuft. All meine Zettelchen haben mich doch auch nicht im Stich gelassen, als ich mich vor Jahren zu Beginn meiner Tätigkeit im Büro von einer Unmenge neuer Aufgaben und Arbeitsabläufe konfrontiert sah; ohne meine papiernen Hilfsmittel wäre ich verloren gewesen.
20. April
Meine Freundin Annelie und ich fahren mit dem Zug nach Siegburg. Ein hübscher Ort mit großem Marktplatz, auf dem sich diverse nette Cafés befinden. Es ist recht warm draußen, der Innenstadtbereich voller Menschen, und wir finden nur mit Mühe einen kleinen Tisch für uns. Wir essen Waffeln mit Kirschen und Sahne und begutachten das Publikum. Später führt uns der recht steile Fußweg hoch zum Michaelsberg mit der alten Klosteranlage; bei guter Sicht geht der Blick heute bis nach Bonn und hin zum Siebengebirge. „Toll. Das ist ja wie eine richtige Städtetour. Da braucht man gar nicht weit weg.“ meint Annelie.
„Ich glaube, wir haben noch eine Menge unbekannte Schätze rund um Köln, die wir entdecken könnten. Solange ich noch mein Jobticket genießen kann …“ antworte ich.
27. April
Das Geburtstagsgeschenk der Kinder wird heute in deren Beisein eingelöst: Im Theater am Tanzbrunnen tritt Volker Pispers auf. Wie immer greift er mutig und mit frechen Tönen alles an, was ihm im politischen Alltagserscheinen auf den Wecker geht.
Es gibt viel zu lachen, auch wenn einem oft das Lachen eher im Halse stecken bleiben könnte. Nämlich dann, wenn wir erkennen müssen, wie sehr wir doch von manchen Politikern veräppelt werden. Oder wenn klar ist, dass Entscheidungen nicht etwa zum Wohle des Volkes getroffen wurden, sondern eher, um die eigenen Pfründe zu sichern. Wir sollten in Zukunft viel kritischer hinhören und auch nicht alles glauben, was in den Zeitungen vermeldet wird.
Am späten Abend, als wir die Haustür aufschließen, kommt uns Katze Maja entgegen, und drängt sich fast aus der Tür. Sie hat vermutlich auf dem Teppich im Flur gelegen und auf uns gewartet. Drei ihrer winzigen Stofftiere, mit denen sie häufig spielt, liegen jedenfalls auf dem Boden.
28. April
Auf zum Beethovenpark, in dem wir schon bald die Allee in der Nähe der Kleingartenanlagen erreichen, die von vielen Kirschbäumen gesäumt ist. Alles blüht in zartem Rosa. Auf der Wiese unter einem besonders ausladenden (und daher wohl einladenden) Baum hat sich eine Gesellschaft von Japanern niedergelassen. Gut dreißig Menschen aller Altersstufen feiern fern der Heimat ihr Kirschblütenfest.
Sie haben Essen und Getränke mitgebracht, ein Kofferradio dudelt, und alle wirken ausgesprochen gut gelaunt und schwatzen um die Wette. Die Kinder toben durch die Gegend, achten aber darauf, dass die vielen Tulpen und Vergissmeinnicht, die auf den Wiesen wachsen, keinen Schaden nehmen.
Später sind wir bereits auf dem Heimweg, sehen jedoch vom Auto aus in der Nähe des Militärrings eine Schafherde. Die wollen wir uns mal ansehen. Soeben steigt auch der Schäfer aus seinem modernen Schäferwagen, einem Range Rover, hält in der einen Hand sein Handy, und öffnet mit der anderen das Gatter, welches einen Wiesenbereich einzäunt. Unter lautem Geblöke rennen und drängen die Schafe dorthin, wo es frisches, saftiges Gras für sie gibt. Sie kommen nahe an uns vorbei und es ist eine enorme Geräusch- und Geruchskulisse. Nun grasen sie, was einige Tiere mit angewinkelten Vorderbeinen tun. Vielleicht ist das praktischer, weil sie auf diese Weise die Grashalme genau vor dem Maul haben?
Ein runder Tag, ganz nach meinem Geschmack. Die Natur genießen, heute in Form von Kirschblüten und Schafen.
9. Mai
Beim heutigen „Jazz-Frühschoppen“, den wir wie immer mit unseren Freunden Anita und Ralf im Restaurant „Marienbild“ besuchen, entdecken wir erstaunliche Musikinstrumente: Luftpumpe, winzige Kinderflöte, Plastikgießkanne, eine kleine Blechkanne. Auf all diesen Gerätschaften wird gespielt, und der Musiker, der damit zum großen Vergnügen der Zuschauer interessante Geräusche produziert, geht auch während der Pause herum, um die „Kollekte“ zu sammeln. Wir loben seinen Einfallsreichtum.
„Alles, was sich dem nicht widersetzt, als Blasinstrument zu dienen, kann verwendet werden.“ grinst er uns an.
Während des Vormittags tanzen in unserer Nähe zwei ältere Frauen in kurzärmeligen Blusen. Meine Güte, die Oberarme, die wir auf diese Weise zu sehen bekommen, sind beeindruckend faltig. Beim späteren Blick zuhause in den Spiegel muss ich leider feststellen, dass meine Arme ähnlich aussehen. Muss ich jetzt alle Oberteile mit kurzen Ärmeln ausmustern? Nein, das werde ich nicht tun. Aber bei künftigen Neuerwerbungen sollte ich wohl aufpassen.
3. Juni
Nach einer Urlaubswoche beginnt wieder mein Arbeitsleben. Wie üblich fällt es mir nicht leicht, nach arbeitsfreien Tagen frohgemut den Weg zur Arbeit anzutreten. Nur Mut!
An der Haltestelle treffe ich Elsa, die sich nicht damit aufhält, auf mein freundliches „Guten Morgen“ zu reagieren, sondern mir zuruft: „Jetzt ist es aber gut zu sehen. Jetzt bist Du richtig grau.“
Zweifellos hat sie Recht, aber eine solche Aussage am Montagmorgen kann einen schon runter ziehen.
„Dafür habe ich aber noch alle meine Zähne, wenn sie auch schief sind.“ entgegne ich.
„Da sagst Du aber was. Das sind sie.“ Noch einen drauf.
„Danke für das nette Kompliment.“ quetsche ich heraus, durch meine schiefen Zähne hindurch.
„Damals war das ja auch nicht üblich, dass man die Zähne gerichtet bekam. Ist doch normal für damals.“ Diese Erklärung macht es auch nicht besser.
Nachdem Elsa mir, wie schon so oft, von ihrer permanenten Schlaflosigkeit berichtet hat, erreichen wir die Haltestelle, an der sie aussteigen muss. Und ich bin froh, dass ich nun in Ruhe weiterfahren kann. Ob ich künftig die Straßenbahn nehmen sollte, die zehn Minuten eher fährt? Aber dann viel zu früh am Arbeitsplatz anzukommen, um einer meist netten, nur ab und zu mal unangenehmen Person aus dem Weg zu gehen? Das erscheint mir wiederum auch übertrieben.
Am Nachmittag gehe ich zum Friedhof; heute ist Drei-Jahres-Tag. Meiner Mutter bringe ich Blumen und eine Kerze ans Grab. Das große Gräberfeld ist mittlerweile fast vollständig belegt, wobei das wohl tatsächlich der treffende Ausdruck ist. Ein gewaltiges, vielfarbiges Blumenmeer findet sich, welches heute von der Sonne verwöhnt wird. Es sieht prächtig aus, was nicht nur an den bunten Gestecken liegt, sondern auch daran, dass die gesamte Rasenfläche, welche die Grabstellen umrandet, voller Gänseblümchen und Butterblumen ist. Das würde meiner Mutter gefallen, da bin ich mir sicher.
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