„Ist das unüblich?“
Sam sah zu ihr. „Ja, jein, ja, doch. Normalerweise löst Terry seine Probleme selbst. Ich kenne die genauen Hintergründe nicht, aber eine Aussprache ist dringend nötig und ich halte es für keine schlechte Idee, dass da eine neutrale Person vom Sender dabei ist.“
„Und wenn es nicht gut ausgeht?“
„Tja.“ Sam atmete durch und setzte sich etwas aufrechter hin. Er kam dadurch ein paar Zentimeter näher. „Das ist die Frage. Beide haben einen bestehenden Vertrag für die gesamte Staffel. Den müssen sie schon erfüllen, sonst wird es teuer. Aber danach, keine Ahnung. Könnte in einem Super-Gau enden. Im besten Fall muss Terry nur die ganze restliche Serie umschreiben.“
Das Handy blinkte erneut und Sam las. Er lachte auf einmal laut los und hielt Bettina das Telefon hin. Die letzte Nachricht von Terry, der als Nutzername mit „Bossy“ benannt war, lautete .
„Bossy?“, fragte Bettina.
„Ja. Terry Bosworth. Haha. Oh, ich liebe es … nicht.“
„Wäre aber eine Lösung.“
Sam schaute zu ihr herüber. „Ja, das schon. Aber dann hassen die Fans mich noch mehr.“
„Die hassen dich doch nicht.“
„Hassen ist zu viel gesagt. Aber Joe ist nicht gerade der Liebling der Zuschauer.“
„Ich mag ihn. Kann ich ihn mal ausleihen, um meinen früheren Chef und meinen Ex-Freund aus dem Weg zu räumen?“
Sam hob die Schultern an, dachte kurz mit schräggelegtem Kopf nach und sagte dann: „Ich frage ihn, wenn ich ihn das nächste Mal sehe. Ich sag dir Bescheid.“
„Danke.“
„Gern.“ Sam lächelte breit und tippte etwas in sein Handy. Dann legte er es mit dem Display nach unten neben sich.
„Schöne Hülle.“ Bettina spielte auf die Kaninchennase in Großaufnahme an, die die Rückseite seines Telefons zierte. Er nahm es hoch und schaute drauf. „Ja, das ist Alfred.“
„Alfred?“
„Ja. Einer unserer Besten.“
„Eurer … besten was?“
„Kaninchen. Alfred ist einer unserer Besten. Er hat Ausstellungen gewonnen. Ah, warte.“
Sam angelte eine Zeitschrift vom Beistelltisch neben dem Sofa. Er blätterte darin und hielt Bettina eine Seite hin. Es war laut Überschrift der Bericht einer Kaninchenausstellung, auf dem Bild sah sie einen älteren Mann mit Schirmmütze und einem großen, schwarzen Kaninchen auf dem Arm, daneben stand ein weiterer Mann und hielt einen Pokal. Sam tippte auf den Mann, der das Kaninchen hielt. „Das ist mein Dad.“ Danach zeigte er auf das Kaninchen. „Und das, das ist Alfred.“
„Du züchtest Kaninchen?“
„Ja, mit meinem Vater zusammen. Aber zu Hause.“
„Echt jetzt?“
„Ja.“ Er lachte. „Auch Joe hat Hobbys.“
„Ja, aber … egal. Ich freue mich für dich, dass Alfred so ein toller Kerl ist.“
„Oh ja, das ist er.“ Sam grinste breit und freute sich sichtlich über Bettinas Verwirrung. Dann wurde er ernster. „Du hast gestern gesagt, du wolltest zu Hause raus. Alles ok bei dir? Job gewechselt sagtest du? Ex-Freund? Klingt nach Veränderung auf voller Front?“ Sam sah interessiert zu ihr herüber und wartete geduldig. „Du … musst nicht darüber reden, aber wenn du willst, ich würde zuhören.“
Seine Worte trafen Bettina mitten ins Herz. Sie hatte sich gerade halbwegs beruhigt, darüber, dass sie hier auf seinem Sofa saß und jetzt war er auch noch so … nett. Und völlig normal. Und freundlich. Was die Frage nach dem Warum erneut hochkommen ließ. Die spontane Einladung ins Café gestern war schon ungewöhnlich genug gewesen. Er traf doch sicher oft Fans auf der Straße, mit denen er einige Worte wechselte. Unter den Fans war eine Reise nach London und ein Erkunden der erreichbaren und bekannten Drehorte der Serie schon fast ein Muss. Sam und auch die anderen Darsteller tauchten immer mal in den Internetforen und Facebookgruppen auf Fanfotos auf, aber nie hatte sie davon gehört, dass sie gemeinsam irgendwo Kaffee getrunken hätten, auch keinen Minztee oder Kakao und schon gar nicht waren sie zum Besuch des Sets oder, noch absurder, zu einem der Darsteller nach Hause zum Spaghettiessen eingeladen worden. Warum hatte Sam das also getan?
„Hm?“, machte es neben ihr. Sie löste sich aus ihrer Gedankenwelt und kam ins Hier und Jetzt zurück, in dem Sam neben ihr auf der Couch saß, gefühlt wieder einige Zentimeter näher, und sie offen und fragend ansah.
„Danke, Sam. Ich weiß nicht. Es gibt nicht so viel darüber zu sagen.“
„Du möchtest nicht darüber reden?“
„Nein, momentan nicht.“
„Das ist völlig okay.“
„Sam, was passiert hier?“
„Was meinst du?“
„Du weißt genau, was ich meine.“
Sams Mundwinkel zuckten und er bekam seine charakteristischen zwei kleinen Falten zwischen den Augenbrauen. Er atmete durch und starrte ins Feuer. „Ich weiß es selbst nicht.“ Er klang fast schon verzweifelt. Er schluckte und sah wieder zu ihr herüber. „Ich weiß es wirklich nicht.“
Sie ließ ihn in Ruhe, ihr war warm und kalt gleichzeitig und ein Klumpen an Ungewissheit und Peinlichkeit entstand in ihrem Magen. Sie wäre gern weggerannt, aber das wäre nur noch peinlicher gewesen. Also blieb sie sitzen und starrte ins Feuer.
Als sie wieder aufwachte, war es um sie herum warm, weich und gemütlich. Es roch gut und im Hintergrund hörte sie irgendwelche Geräusche, wie von einem Fernseher oder Radio. Sie nahm englische Sprachfetzen wahr. Ach so, ja, sie war ja im Urlaub, in London. Wahrscheinlich hatte Annette den Fernseher im Hotelzimmer angemacht. Das Einzige, das nicht so wirklich ins Gesamtbild passte, war, dass sie eher saß als lag und irgendetwas drückte an ihren Oberarm.
Sie öffnete die Augen und schaute nach rechts, so gut das eben ging. Sie brauchte eine Weile, bis sie das, was sie da sah, als Ohr wahrnahm, über das hellbraune Haare ragten. Sie versuchte, sich aufzusetzen. Sam lächelte ihr zu und setzte sich ebenfalls auf. Er gähnte. „Du bist eingeschlafen. Ich … du … bist zu mir rübergekippt und ich wollte dich nicht wecken.“ Er lächelte. „Es ist schon gleich elf. Ich fahre dich jetzt am besten ins Hotel zurück, bevor deine Freundin die Polizei holt. Dein Handy hat ein paar Mal geblinkt, aber ich hab nicht geguckt.“
Bettina streckte sich und gähnte ebenfalls. Sie griff sich ihr Telefon vom Couchtisch. , hatte Annette vor einiger Zeit geschrieben. Dann und zehn Minuten später wieder . Diese Nachricht war von eben gerade, also standen die Chancen gut, dass Annette noch wach war. Bettina schrieb .
„Und?“, fragte Sam und stand auf. Es wurde kalt an ihrer Seite. Sie stand ebenfalls auf und steckte das Telefon weg. „Alles okay. Sie ist jetzt im Hotel.“ Sam nickte und verschwand im Flur. Bettina legte ihre Sofadecke zusammen und Sams gleich mit.
„So, dann mal los. Hast du alles?“, fragte er. Er hatte die Jogginghose gegen eine schwarze Jeans getauscht und zog den Reißverschluss seiner Jacke zu.
„Ja, danke für alles. War echt ein schöner Tag.“
Sam lächelte und nickte, mehr zu sich. „Ja, fand ich auch. Schön, dass es dir gefallen hat.“
„Ja, war toll.“ Bevor die Situation vollends peinlich wurde, öffnete Sam die Wohnungstür und ließ Bettina den Vortritt.
Unten angekommen überquerten sie die Straße und liefen einige Meter an den geparkten Autos entlang. Sam öffnete ein dunkelgraues, etwas höheres, sehr kantiges und schnittiges Auto.
„Oha“, sagte Bettina. „Was ist das für eins?“
„Ein Toyota C-HR Hybrid“, sagte er. „Für mich die perfekte Kombination aus etwas höherer Sitzposition, Platz und Alltagstauglichkeit.“
Bettina setzte sich auf den Beifahrersitz und Sam stieg auf der anderen Seite ein. Als er den Motor startete, erwachte das Auto zum Leben und mit ihm diverse Displays und Lichter.
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