„Wie meinst du das?“
„Bettina, das jetzt fällt mir echt schwer und ich komme mir wirklich gemein vor … aber … könntest du dir vorstellen, mit zu meinen Eltern zu fahren? Als meine Freundin? Ich … wir … sie könnte zumindest meinen Schwestern gegenüber sagen, du bist meine Freundin und dann wäre ihr Gesicht gewahrt.“ Er presste die Lippen aufeinander und wartete auf eine Antwort. „Und ich werde nicht enterbt“, schob er noch hinterher, presste die Lippen aufeinander und vermied Blickkontakt.
Bettina stand nur da und starrte ihn an. Sie überlegte. Prinzipiell ja, warum nicht, andererseits, auf was würde sie sich da einlassen? Sie hatte bei ihrer eigenen Familie schon so viel Dramen miterlebt bei Familienfeiern, das reichte für die nächsten fünf Leben, da brauchte sie nicht noch Sams Familie dazu, die nicht gerade einfach und unkompliziert klang.
„Bitte“, sagte Sam. „Ich weiß, es ist viel verlangt, und ich habe keinerlei recht, dich darum zu bitten. Ich kenne dich kaum, du mich auch nicht. Und du bist quasi ein Fan. Ich kenne aber auch niemanden sonst, den ich darum bitten könnte und der …“ Das Telefon klingelte erneut. „Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragte er gepresst.
Bettina vermutete, dass da noch einiges mehr dahinter steckte, als der Ruf der Mutter vor den Schwestern oder eine hoffentlich nur angedrohte Enterbung.
„Okay“, sagte sie und ihr wurde umgehend übel. Sie musste entsprechend aussehen, Sam sagte nämlich: „Du siehst aus, wie ich mich fühle“ und nahm das Gespräch an. Er erklärte seiner Mutter den Kuhhandel, es schien noch einige Unstimmigkeiten zwischen den beiden zu geben. „Eine andere Lösung habe ich nicht. Außer gar nicht zu kommen. Dann sag den beiden eben, dass ich Dreharbeiten habe. Ich würde aber schon gern hochkommen und auch Dad, die Kaninchen und Alison mal wieder sehen. Es dreht sich nicht alles immer nur um dich! Entscheide dich jetzt bitte.“ Er hörte aufmerksam zu, kaute dabei auf seiner Unterlippe und nickte ein paar Mal leicht. „Gut. Ich rufe dich nachher wieder an, wenn ich zu Hause bin“, sagte er und beendete das Telefonat. Er sah Bettina fest in die Augen, was sofort wieder die Schmetterlinge in ihrem Bauch hochscheuchte. „Du darfst mitkommen. Die Einzelheiten besprechen wir später. Du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir bin“, sagte Sam und umarmte Bettina. „Und meine Mutter ebenfalls, auch wenn sie das nie zugeben würde.“
„Ich bin gespannt.“
Sam atmete durch. „Okay, Vorschlag: Du fährst ins Hotel zurück, holst dein Gepäck und schläfst heute Nacht bei mir. Wir müssen um spätestens fünf Uhr morgen früh los. Es ist über sechs Stunden zu fahren und zum Mittagessen müssen wir da sein. Übermorgen ist dann das Geburtstagsessen, den Tag danach bleiben wir auch noch und Dienstagabend sind wir zurück.“
„Sechs Stunden? Wo wohnen sie denn? In Schottland?“
„Gott bewahre. Im Lake District, das ist in Nordwest-England.“
„Aha.“ Bettinas Hände wurden feucht und ihr Herz schlug lauter.
Sam schaute mitleidig. „Du musst keine Angst haben. Oder naja, doch, vielleicht schon. Ich verspreche, dass ich versuchen werde, nein, ich kann leider nichts versprechen. Außer, dass es echt gutes Essen geben wird. Immerhin. Ich hole dich dann in einer Stunde am Hotel ab.“
„Ich kann auch mit der U-Bahn fahren, das ist kein Thema.“
Sam nickte. „Okay.“ Er erklärte ihr noch den Weg zur nächsten U-Bahnhaltestelle und tippte ihr den Namen der Haltestelle, an der sie aussteigen musste und seine Adresse in ihr Handy und dann trennten sie sich, da am Anfang des Fußweges bereits die nächsten Fans auf ihn warteten.
Kapitel 6
Bettina fuhr zurück zum Hotel, erklärte der verdutzten Hotelangestellten, dass sie bei einem Freund wohnen und gleich wieder auschecken würde. Es wurde mit englischer Würde und einer hochgezogenen Augenbraue kommentiert.
Wie ausgemacht fuhr Bettina mit der U-Bahn zu Sam und fand auch ohne Probleme den Weg zu seinem Haus. Die gesamte Situation kam ihr mehr als surreal vor. Sie würde bei ihm wohnen und dann mit ihm zu seinen Eltern fahren. Ihr war unwohl bei dem Gedanken, seine Freundin spielen zu müssen, andererseits fand sie es auch irgendwie amüsant und freute sich auf die kommenden Tage. Auf dem Weg zum Aufzug zog sie eine Zeitschrift aus Sams Briefkasten und nahm sie mit nach oben.
„Hier, Kaninchenzeitung“, sagte sie grinsend, als er die Wohnungstür öffnete und sie mit einer angedeuteten Verbeugung in den Flur ließ.
„Oh ja, prima“, sagte er und nahm die Zeitschrift entgegen. „Willkommen zurück. Ich hatte echt Angst, dass du nicht kommst“, sagte er.
„Warum?“, fragte sie und zog ihren Koffer in Sams Gästezimmer. Sam lehnte am Türrahmen und fuhr sich nervös durch die Haare. „Das ist schwer zu erklären. Auf mehreren Ebenen. Ich bin dir auf jeden Fall unendlich dankbar, dass du das auf dich nimmst. Ach so, ja, ich hab dir Handtücher hingelegt.“ Er zeigte in Richtung Bad. Dann schien ihm noch etwas einzufallen. „Ähm … ich weiß, die Frage ist jetzt wirklich unangebracht, aber wichtig. Was hast du zum Anziehen dabei?“
Bettina brauchte einen Moment, bis es ihr dämmerte. Familienfeier. Wahrscheinlich erwarteten sie dort ein etwas anderes Outfit, als Bettina für drei Tage Touristenleben eingeplant hatte.
„Oh“, sagte sie nur und klappte ihren Koffer auf. Sam kam näher und sah ihr beim Auspacken zu.
Sie legte ein Kleidungsstück nach dem anderen aufs Bett. „Ich hätte das hier, das hab ich mitgenommen, falls ich zufällig in ein Musical gehe oder so. Aber ansonsten hab ich nur das hier … hier ein Pulli … das hier … und das, was ich anhab.“
Sam betrachtete die Sachen und schaute von einem zum nächsten und wieder zurück. „Hm“, machte er nur.
„‚Hm‘ heißt?“
Er stand auf. „‚Hm‘ heißt, wir gehen noch einkaufen.“
„Es tut mir echt leid, dass ich dich hier so rumscheuche“, sagte Sam und parkte rückwärts ein. Sie waren kreuz und quer durch London gefahren und hatten nun vor einem Bekleidungsgeschäft angehalten.
„Auf komplizierte Familienfeiern war ich nicht eingestellt.“
Sam stellte den Motor ab und sah mitleidig zu ihr. „Ich weiß. Bettina, du rettest hier echt meinen Hintern und den meiner Mutter und ich kann nicht mehr sagen als Danke. Wirklich. Danke, dass du das für mich oder eher für uns tust.“
Wow. Das war mal ein Dankeschön. Sie nickte und sah Sam in die Augen, was ihr schwerer fiel, als sie gedacht hatte. „Gern. Ich bin gespannt. Und hör bitte auf, dich ständig zu bedanken.“
„Okay, lass uns einkaufen.“
Sie stiegen aus und Bettina folgte Sam in das teuer aussehende Geschäft. Die Angestellten dort kannte er anscheinend gut und schilderte die Lage. Die Verkäuferin war sofort auf Sams Seite und bat die beiden, mitzukommen. Das Geschäft war verwinkelt, mit edlem Teppichboden ausgelegt, aber dabei angenehm gemütlich und sehr ruhig.
Sie führte sie in eines der hinteren Zimmer, das von vier Ankleidekabinen, einem sehr großen Tisch und einigen Sesseln ausgefüllt wurde. „So, dann wollen wir mal sehen.“ Die Frau musterte Bettina von allen Seiten und verschwand. Bettina hatte zumindest erwartet, nach ihrer Kleidungsgröße gefragt zu werden, aber Pustekuchen.
„Sie weiß, was sie tut“, sagte Sam, der ihren verwirrten Blick wahrgenommen hatte.
Nach einigen Minuten Wartezeit kam die Frau zurück und mit ihr eine weitere Verkäuferin, beide trugen Blusen, Shirts und Hosen herbei. „So. Das hier könnte ich mir gut vorstellen in Kombination.“
Die beiden Frauen richteten die Kleidung passend auf dem großen Tisch an. „Bei drei Übernachtungen braucht ihr drei verschiedene Outfits, die Jeans kann man zweimal anziehen.“
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