„Was?“, fragte sie.
„Ich denke nach, gib mir einen Moment.“ Sam dachte weiter nach und sah immer wieder zwischen Bettina und seinem Tee, der mittlerweile gekommen war, hin und her. Bettina löffelte derweil die Sahne von ihrem Kakao. Sie fand, Sam sah gestresst aus, hatte Ringe unter den Augen und wirkte allgemein unruhig.
Anscheinend hatte er nun fertig nachgedacht und richtete sich auf. „Ich brauche Deine Hilfe.“
Bettina stutzte. „Aha. Wobei?“
Sam atmete laut aus. Seine Mundwinkel zuckten nervös und er sah aus, als ob er am liebsten weglaufen würde. „Es ist kompliziert. Und ich weiß nicht … eigentlich ist es eine echt blöde Idee. Das kann ich nicht machen. Vergiss es.“
„Was ist es denn?“ Bettina wurde nun neugierig. „Das ist gemein, es nur anzudeuten und dann nicht zu sagen.“
Sam seufzte und kratzte sich im Nacken. Sein Telefon klingelte. „Meine Mutter“, sagte er. „Ich muss kurz rangehen, sorry, Familiendrama.“
„Klar“, sagte Bettina nur. Sie wunderte sich erneut, in was sie da hineingeraten war und lauschte dem Telefonat. Sam war genervt, ungeduldig und auch verlegen, so viel konnte sie definitiv sagen.
„Ja, Mutter“, sagte er nun und verdrehte die Augen. „Ja, ich weiß.“ Er hob den Teebeutel aus der Tasse und balancierte ihn in den kleinen Tischmülleimer, den Bettina ihm aufhielt. Sie bekam dafür ein Augenbrauenheben und ein liebes Lächeln, das sofort wieder einfror, als er seiner Mutter antwortete. „Nein. Ich bin gerade in einem Café. Nein, nicht allein.“ Er rollte mit den Augen. „Ja.“ Er klang genervt und sein Gesichtsausdruck glich dem Joes kurz bevor er jemanden zusammenschlug. „Was? Warum? Nein!“ Er hatte die Augen aufgerissen und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Nein hab ich gesagt! Was soll das? Was willst du denn damit sagen?“ Er sank in sich zusammen und hielt Bettina das Telefon hin. „Meine Mutter möchte mit dir sprechen.“
„Mit mir?“ Bettina starrte mit aufgerissenen Augen auf das Telefon, auf dessen Display ‚Home’ stand. Untendrunter zählte die Gesprächszeit hoch. „Hallooh?“, krähte es aus dem Lautsprecher. Bettina nahm das Telefon. „Hallo?“, fragte sie zurück.
„Oh, hallo, bist du die neue Freundin von Samuel?“, fragte eine ältere Frauenstimme in hochkorrektem, britischem Englisch.
„Ähm, nein, wir trinken hier nur einen Kaffee zusammen.“
„Samuel trinkt keinen Kaffee.“
Bettina sah Sam an, der aussah, als ob er eine bittere Medizin geschluckt hatte.
„Ja, er hat einen Tee.“
„Ich kenne meinen Sohn doch“, sagte die Frau entrüstet. „Wie heißt du denn?“
„Bettina.“
„Das ist aber kein englischer Name!“ Es klang entsetzt. Sam hielt ihr seine Hand hin und Bettina gab ihm das Telefon zurück.
„Dorothy, jetzt hör mir zu! Sie war letztens am Set dabei, als wir für eine Folge gedreht haben und ist jetzt zufällig wieder in London und wir trinken nur einen Tee zusammen! Ja! Aus Deutschland!“
Seine Mutter schien nun einen längeren Monolog zu halten und Sam konzentrierte sich darauf, zuzuhören. Nebenbei versenkte er vier Stück Würfelzucker in seinem Tee, rührte um und nahm einen Schluck. Sein Gesichtsausdruck wechselte von Entsetzen zu Resignation und wieder zurück zu Entsetzen. „Mutter“, sagte er vorwurfsvoll. „Ja, das schon … Ja, Mutter … nein … ja … ja …“ Er klang immer weinerlicher. Dann schaute er erstaunt mit vorgeschobener Unterlippe auf sein Telefon und dann zu Bettina. „Jetzt ist mein Vater dazugekommen und sie hat aufgelegt.“
Bettina trank den letzten Schluck ihres Kakaos und wischte sich den Mund mit ihrer Serviette ab. „Was ist denn das Problem?“
Sam seufzte. „Das Problem ist, dass meine Eltern beide im April siebzig geworden sind, und das wird übermorgen groß nachgefeiert. Sie erwarten, dass ich dabei bin, was völlig in Ordnung ist. Ich freue mich auch schon darauf, aber dieser Stress, den meine Mutter sich macht … es kommen noch ihre beiden Schwestern, die sie kaum sieht, die es aber in gesellschaftlichen Dingen zu übertrumpfen gilt. Meine Tante väterlicherseits kommt auch, sowie meine beiden Brüder mit ihren Ehefrauen und meine Schwester mit ihrem Mann. Meine Mutter ist da wirklich schwierig. Bei Anstand, Traditionen, dem Garten und Kulturellem muss alles genau so sein, wie es zu sein hat. Mein Dad ist recht entspannt mit allem. Wenn es ihm zu viel wird, geht er raus ins Gartenhaus zu seinen Kaninchen oder rüber zu den Nachbarn.“ Sam hob entschuldigend die Schultern.
Das Telefon klingelte erneut und Sam telefonierte nun wohl mit seinem Vater.
Nach dem Telefonat rieb er sich die Schläfen. „Er sagt, jetzt hat meine Mutter sich weinend in der Küche eingeschlossen. Ich werde noch irre.“ Sam trank seinen Tee aus.
„Ich habe das Problem immer noch nicht verstanden. Kannst du wegen Dreharbeiten nicht dort sein zum Familienfest? Und darüber regen sich alle auf?“
Sam sah zu Bettina. „Nein. Das Hauptproblem ist …“ Er kam nicht mehr dazu, weiterzusprechen, da eine Gruppe kichernder Frauen plötzlich neben dem Tisch stand und Sams Aufmerksamkeit forderte. Er schrieb geduldig Autogramme und ließ sich noch mit allen fotografieren. Die Frauen beäugten Bettina kritisch von oben bis unten und verließen das Café erst, als der Besitzer aus der Küche kam und sie unmissverständlich bat, zu gehen. Allerdings betrat nun eine weitere Gruppe Frauen das Restaurant und sah sich interessiert um. Sam stand auf. „Lass uns durch den Hinterausgang abhauen“, sagte er und bezahlte die Rechnung.
Glücklicherweise trafen sie auf ihrem kurzen Weg über die Straße keine weiteren Fans und Sam bog mit Bettina in einen malerischen Fußweg entlang eines Kanals ab. Jetzt im Mai blühten hier Unmengen bunte Blumen.
Nachdem Bettina und Sam etwa fünf Minuten gelaufen waren, blieb Sam stehen und lehnte sich auf das breite Holzgeländer entlang des Weges. Er atmete gestresst aus und sah Bettina an. „Das Hauptproblem meiner Mutter ist, dass Abigail und ich uns, wie du vielleicht weißt, im Januar getrennt haben. Das ist nicht tolerierbar in ihrer Welt. An Weihnachten waren wir noch zusammen bei meinen Eltern, und es war eine Komplettkatastrophe. Und ich meine wirklich eine Komplettkatastrophe. Meine Mutter war außer sich. An Ostern sollte ich eigentlich hochfahren, habe aber Dreharbeiten vorgeschoben, um nicht hin zu müssen. Meine Mutter mochte Abigail und noch viel schlimmer ist, dass ich momentan keine Freundin oder Frau vorzuweisen habe. Das gehört sich eben, dass man zu Familienfeiern dieser Wichtigkeit einen Partner mitbringt.“ Er grinste gequält. „Und ich bin jetzt zweiundvierzig. Ich glaube, sie hat Panik, dass ich niemanden mehr finde. Und das wird sie nie ihren Schwestern erklären können.“ Er lachte, aber nicht wirklich offen, es war eher ein verlegenes Lachen. „Sie hat vorhin gedroht, mich zu enterben und sie klang echt überzeugend.“ Er schaute auf den vorbeifließenden Bach.
Bettina lächelte, was hoffentlich mitfühlend rüberkam. „Ja, Familie ist schon anstrengend manchmal. Ich bin zwar Einzelkind, aber ich hab da auch schon Sachen erlebt.“
„Oh ja“, sagte Sam und lief weiter den Weg entlang.
Nachdem sie eine Weile still nebeneinander hergegangen waren, blieb Sam stehen und atmete durch. „Und was hast du so geplant in London in den nächsten Tagen? Wohnst du wieder im selben Hotel wie im Februar?“
„Nein, in einem anderen. Genaue Pläne hab ich noch nicht, das ging alles viel zu schnell gestern. Das Wetter ist wenigstens besser als letztes Mal, also dachte ich daran, den Hyde Park anzuschauen und durch die Stadt zu laufen. Vielleicht auch bisschen was besichtigen. Das British Museum nachholen.“
„Hast du Lust, zwei Tage lang gut zu essen und dich nebenbei psychisch foltern zu lassen?“ Sam hatte den Kopf schräg gelegt und seinen liebsten Blick aufgesetzt.
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