1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 Aber er mußte ihn mit sich nehmen, auf der Polizei konnten sie ihn nicht behalten. Tüchtige Hiebe hat er zu Hause erhalten, auch bei Wasser und Brot hat ihn der Vater eingesteckt, was späterhin noch mit ihm geschah, das will ich euch am Schlusse dieser kleinen Erzählung berichten.
Frau Stein war so lange geblieben, bis August von seinem Vater fortgebracht wurde, dann trat sie zu dem Wachtmeister und ließ sich die Wohnung von Frau Braun sagen. „Ich will sogleich hingehen,“ sagte sie, „und der armen Frau die gute Nachricht bringen, – wie wird sie sich freuen! Und das kleine Mädchen erst, es sah so unglücklich und verweint aus!“ “Ja,“ sagte er, „tun Sie das schnell, liebe Frau – und hier – hier,“ fuhr er fort und suchte in der Tasche, „nehmen Sie das und geben es dem armen Kinde. Viel kann ich nicht verschenken, ich habe selbst fünf Kinder.“ – Er reichte hierbei Frau Stein ein Markstück.
Sie nahm es und sah den Mann erstaunt und gerührt an. Daß auch die Polizei ein mitleidiges Herz haben konnte, – das hatte sie noch nie gehört. „Sie sind ein braver Mann,“ sagte sie und drückte ihm die Hand – „Gott wird es Ihnen an Ihren Kindern lohnen!“
Und nun lief sie, so schnell sie ihre alten Füße tragen konnten, fort. Erst aber trat sie auf einige Augenblicke in ihre kleine Wohnung, die am Wege lag, zündete schnell die kleine Lampe an und packte ein Körbchen voll mit allerhand Lebensmitteln. Etwas Speck und Wurst, Eier, Äpfel und Nüsse tat sie hinein, und zuletzt holte sie noch ein halbes Pfund Schokolade aus dem Schranke und legte sie oben auf. Sie hatte diese selbst erst geschenkt erhalten und bis zu einer besondern Gelegenheit aufgehoben, – nun war die Gelegenheit da – konnte sie wohl eine bessere finden?
Mit ihrem Körbchen am Arme machte sie sich auf den Weg und kam gerade an bei Frau Braun, wie Karoline mit dem Eis und der Arznei die Treppe hinaufging. Sie folgte derselben, und als sie eben in die Tür treten wollte, fragte Frau Stein: „Wohnt hier die Witwe Braun?“
Karoline bejahte, und so trat sie mit ihr zugleich in das kleine Stübchen ein. Wie erschrak sie aber, als sie Lenchen todkrank im Bette fand. Als sie ihre frohe Botschaft Frau Braun mitteilte, brach diese in lautes Weinen aus und barg ihr Gesicht in Lenchens Kissen.
„Mein armes, armes Kind,“ schluchzte sie, „hört nichts davon! – Wer weiß, ob es nicht den Tod von all dem Schreck und Jammer hat!“
Frau Stein sah mitleidig auf das fiebernde Kind und auch sie dachte still bei sich: „Das wird den Morgen nicht erleben.“
Das laute Weinen der Mutter hatte Karlchen aufgeweckt. Bis dahin hatte er fest geschlafen, daß er nicht einmal aufgewacht war, als Frau Braun ihn aus dem Bette nahm, in das sie Lenchen legte, um ihn auf ein kümmerliches Lager am Fußboden zu betten. Erstaunt blickte er sich um und tief ganz ängstlich: „Mutter, wo bin ich denn?“
Frau Stein nahm den Kleinen hoch und setzte ihn auf ihren Schoß. Verwundert sah er auf die fremde Frau und machte Miene, zu weinen; als sie indes ihren Korb öffnete und ihm einen schönen, roten Apfel in das Händchen steckte, klärte sich sein Gesicht auf, und als sie auch die andern Äpfel hervorholte und sie nebst den übrigen mitgebrachten Sachen auf den Tisch legte, da schwand auch sein letztes Mißtrauen gegen sie, er zeigte der Mutter den schönen Apfel und rief: „Mutter, du sollst nicht weinen, wir haben viele, viele Äpfel und Nüsse!“
Frau Stein war auch arm, aber sie kam sich reich vor gegen die Armut, die sich hier vorfand. Sie hatte doch ihr behagliches Stübchen, mit einem Sofa sogar, hier kam es ihr vor wie in einer Bodenkammer, so kalt und zugig, der kleine, prächtige Junge hatte gar kein Bett. Das Lager am Fußboden bestand aus nichts weiter als einem alten Rocke der Mutter, einem kleinen Kopfkissen und einem fadenscheinigen Umschlagtuche, auf dem er lag.
Als sie den Kleinen niederlegte, nahm sie sich vor, am andern Tag ein Stück aus ihrem Bette zu bringen, sie behielt immer noch ein reichliches und schönes Lager. Der Knabe klagte nicht einmal, daß er zu hart lag. Mit seinem Apfel in der Hand legte er sich still und artig nieder und in wenigen Augenblicken schlief er sanft und süß, als ob er ein Prinz sei und auf Eiderdaunen ruhte. –
Karoline und Frau Stein entfernten sich und ließen Frau Braun allein bei ihrem kranken Kinde. Die Nacht verging ihr in Todesangst, jeden Augenblick glaubte sie, daß das Kind sterben werde. Sie machte Umschläge und gab fleißig Arznei, aber es trat keine Besserung ein. Gegen Morgen verfiel Lenchen in einen unruhigen Schlummer.
Als der Morgen zu dämmern anfing, war auch Karoline wieder da und brachte einen großen Korb mitgeschleppt. Holz und Kohlen packte sie aus, eine Tüte mit Kaffee holte sie hervor, Semmeln und Brot legte sie daneben, sogar ein Töpfchen Milch hatte sie nicht vergessen. Schnell machte sie Feuer an, bald war es warm, und ein großer Topf mit Kaffee stand fertig gekocht da.
„Aber Karoline,“ redete Frau Braun, die mit Erstaunen zugesehen hatte, sie an, „was machen Sie? Holz und Kohlen und so viel andre Sachen bringen Sie mir und Sie wissen doch, daß ich nicht einmal Geld habe, die Apotheke zu bezahlen. Ich kann nicht bei Ihnen borgen, ach, ich weiß ja nicht, ob ich es je wiedergeben kann.“
„Borgen?“ – Karoline rief es ordentlich entrüstet aus. – „Unser Fräulein borgt nicht, sie schickt Ihnen, was ich hier bringe. Sie sollen sich um nichts ängstigen, unser Fräulein will für alles sorgen, was nötig ist. Unser Fräulein ist ein Engel! Und nun trinken Sie man rasch!“
Es war, wie Karoline sagte. Käthchen sorgte wie eine gute Fee für die arme Familie. Als sie von der Köchin gehört hatte, wie unrecht dem kleinen Mädchen geschehen, wie sie vor Schreck todkrank darüber geworden, da gab sie mit Freuden all ihr erspartes Taschengeld und erleichterte der armen Frau im Hinterhause, soviel sie es vermochte, das harte Los. Tag für Tag mußte Karoline notwendige Sachen hinaufschaffen, und diese hat sich nicht einmal über die hohen Treppen beklagt.–
Das Weihnachtsfest war herangekommen und oben im Dachstübchen sah es traurig aus. Frau Braun saß an Lenchens Bett und dachte nicht daran, daß heute heiliger Abend war. Blaß und vergrämt sah sie auf das Kind, das eben zum erstenmal seit drei Tagen in einen ruhigen Schlummer gefallen war. Sie selbst war seit jenem Abend in kein Bett gekommen, sie hätte auch gar nicht schlafen können, die Angst um die Kranke ließ sie nicht daran denken. – Ja, ihr kleinen, lieben Leser und Leserinnen, ihr wißt gar nicht, welche Opfer eine Mutter zu bringen imstande ist! So manche Nacht sitzt sie wachend an eurem Bette, sorgt sich um euch und hört bange auf jeden Atemzug. Ihr lebt so sorglos in den Tag hinein und laßt es euch wohl sein unter Mütterchens Flügeln.
Der kleine Karl spielte still mit einem hölzernen Pferdchen, das ihm Frau Stein heute geschenkt hatte. Die Mutter war so traurig und sein Schwesterchen lag krank, da konnte er auch nicht fröhlich sein.
Der Arzt, der jeden Tag zweimal gekommen war, trat eben wieder ein. Er sah das ruhig schlummernde Kind, beobachtete es aufmerksam einige Augenblicke, befühlte seinen Puls und wandte sich dann zu der Frau, die mit ängstlicher Erwartung ihm zugesehen hatte.
„Ihr Kind ist außer Gefahr,“ sagte er zu ihr. „Das Fieber hat nachgelassen und Sie können ohne Sorge sein. Seine ganze Natur hat die Nervenerschütterung überwunden.“
„Gott, ich danke dir!“ rief die glückliche Mutter. Jede andre Sorge, die sie am Abend vor Lenchens Krankheit so sehr gedrückt hatte, war entschwunden. Not und Entbehrung erschienen ihr jetzt gering gegen das Glück, das ihr heute zum heiligen Abend beschieden war. Ihr Kind war ihr von neuem geschenkt, damit war alles gut. –
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