Und vereinsamt war es auch in der That; denn nicht genug, daß tiefer Schnee auf der Erde und in den Lüften es gleichsam von den benachbarten und mehr gedrängt liegenden Gehöften trennte, waren der Besitzer und die Besitzerin auch abwesend, und so bedeutenden Ertrag lieferte deren ländliche Wirthschaft nicht, daß sie zur Winterszeit hätten Dienstboten halten und auslohnen können.
Ihre eigenen Kräfte genügten, den zu dem Gehöfte gehörigen Acker zu bestellen, und nur zur Zeit der Ernte waren sie gezwungen, auf kurze Zeit fremder Leute Hülfe gegen Lohn in Anspruch zu nehmen. Mit den Widerwärtigkeiten, welche sich kaum von dem engeren Zusammenleben mit den Dienstboten trennen lassen, hatten sie daher wenig oder gar nicht zu kämpfen. Des Büdners Schwester aber, die einzige Hausgenossin, die Jahr aus Jahr ein bei ihnen lebte, war die Letzte, die den häuslichen Frieden gestört hätte, der unter dem bescheidenen Strohdache seine dauernde Wohnung aufgeschlagen zu haben schien.
Eben diese war es auch, die sich allein in dem Gemache befand, durch dessen einziges Fenster der matte Lichtschein in geringem Umkreise mit den wirbelnden Schneeflocken spielte und einen großen Apfelbaum theilweise beleuchtete; denn weit reichte die Wirkung der blank gescheuerten blechernen Lampe nicht, trotzdem sie auf dem schweren, eichenen Tische noch einen umgestürzten irdenen Topf zum Postament erhalten hatte.
War das Gemach nur spärlich erhellt, so herrschte in demselben dafür eine um so behaglichere Wärme, welche der mächtige, von Ziegelsteinen errichtete und eisengrau übertünchte Ofen, obwohl der Abend bereits weit vorgerückt war, noch immer ausströmte.
Im Uebrigen bot das Gemach ein Bild, welches sich im Allgemeinen kaum von dem anderer Bauernstuben unterschied. Eine große Himmelbettstelle mit hoch über einander gethürmten Kissen und Pfühlen nahm den Ehrenplatz ein; und gewiß verdiente sie einen solchen, denn obwohl das Bettzeug nichts weniger, als feines Gewebe zeigte, konnte man doch nicht umhin, die Sauberkeit und Ordnungsliebe zu bewundern, mit welchen die kleinsten Fältchen in den blau gewürfelten Ueberzügen und knapp hervorlugenden weißen Laken glattgestrichen, die ebenfalls blau gewürfelten Vorhänge dagegen in regelmäßige Falten gezogen worden waren. Auch die Gypsfiguren, vor Allem ein weißes Kaninchen mit beweglichem Kopfe und langen, rothen Ohren, und die schönen, großen Daueräpfel, die in bunter Reihe auf dem breiten Gesimse des Betthimmels lagen, zeugten von der großen Sorgfalt, die man auf das Ordnen aller dieser Gegenstände verwendet hatte.
Im Vergleich mit dem stattlichen Bette traten die sonstigen, zur Einrichtung des Gemachs gehörenden Geräthe weit in den Hintergrund zurück; sogar der mäßig große Wandspiegel und die Bilderbogen, welche die geweißten Wände schmückten, konnten gegen das üppige Bett nicht aufkommen, trotzdem der Spiegel mit einem bunt glitzernden Glasrahmen umgeben war und die aufgenagelten Bilderbogen lauter rührende Scenen aus dem alten Testamente und vor Allem die heilige Genoveva mit der Hirschkuh zur Schau trugen.
Dem Bette gerade gegenüber und als würdiges Seitenstück zu demselben stand ein von der Zeit geschwärzter Kleiderschrank, auf dessen derb, jedoch nicht unkünstlerisch geschnitztem Gesimse zwei Reihen blau geblümter Tassen zu beiden Seiten einer großen, mit blauen Paradiesvögeln bemalten Kaffeekanne prangten. Die Kanne selbst war, wie um den Werth anzudeuten, den man auf sie legte, noch ganz besonders mit einem dichten Strauße von Immortellen und Aehren von Zittergras angefüllt worden, über welchen zwei ungeheuer lange Pfauenfedern mit wunderbar glänzenden Augen hoch hinaufragten und sich an der Decke des Gemaches die Köpfe stießen.
Alt und verblichen waren die dürren Strohblumen, alt, sehr alt die Tassen und das rußige Spinde, augenscheinlich älter noch die beiden mit phantastischen eisernen Schnörkeln beschlagenen eichenen Koffer, in welchen die Ururgroßeltern bereits ihren Leinwandschatz und vielleicht auch ihre blanken Henkelthaler aufbewahrt hatten; am ältesten aber erschien, möglicher Weise, weil sie nicht aus so festem Material gearbeitet war, die große Schwarzwälder Wanduhr, die, zwischen dem Ofen und einem einfach gezimmerten Armstuhle, mit ihrem eigenthümlich heiseren Ticken die geheimnißvolle Stille des Gemaches unterbrach.
Alt war die Uhr, gewiß sehr alt; manchem Menschen hatte sie die Stunde der Geburt und auch des Heimganges angezeigt und geschlagen. Man sah es ihr an, denn die großen Ziffern waren kaum noch auf dem geschwärzten Zifferblatt zu unterscheiden. An den vier Ketten aber hingen, statt der beiden schweren Gewichte, hier ein mit Sand angefülltes Säckchen, dort die verrostete Angel einer invalide gewordenen Thür, im Gegensatze zu den beiden leichten, aus Holz gedrechselten Gewichten, die ebenfalls im Laufe der Zeit ganz schwarz und rußig geworden waren und sich seit vielen, vielen Jahren als ein Lieblingsaufenthaltsort der wenigen überwinternden Fliegen bewährt hatten.
Trotz aller dieser Mängel, die ein verwöhntes Auge schwerlich angenehm berührten, ging die alte Uhr sehr richtig, und der lange Perpendikel schwang mit einer Regelmäßigkeit und gediegenen Sicherheit von dem Armstuhle nach dem Ofen und von dem Ofen nach dem Armstuhle hinüber, daß der kostbarste Regulator dadurch hätte beschämt werden können.
Melancholisch hallte das dumpfe Ticken durch das stille Gemach, und fast in gleichem Tacte mit diesem flog die von kundiger Hand geführte Nadel mit dem weißen Faden durch die sorgsam gebleichte Leinwand, die als eine unförmliche, zerknitterte Masse auf dem Schooße des vor der trüben Lampe sitzenden Mädchens ruhte.
Dem reinen Linnen war nicht anzusehen, welchen Zweck es erfüllen sollte. Es konnte eben so gut ein Brauthemd wie ein Laken werden. Wer aber auf das gesenkte Antlitz der fleißigen Näherin schaute und dabei bemerkte, wie hin und wieder den Augen eine Thräne entquoll und, langsam über die bleichen Waagen rollend, die entstehenden Säume benetzte, der ahnte vielleicht, daß das feinste Gewebe, welches im Hause aufzutreiben gewesen, rücksichtslos zerschnitten worden war, um zum Sterbekleide für einen geliebten Todten zusammengefügt zu werden.
Die Thränen galten in der That dem frühen Dahinscheiden der theuren Bruderstochter; sie waren also Kinder eines noch jungen Schmerzes, der nicht in Zusammenhang gebracht werden konnte mit den eingefallenen Wangen, dem unvertilgbaren wehmüthigen Zuge um den schön geschnittenen Mund und der schwindenden Röthe der Lippen, die von einem bereits lange getragenen, unheilbaren Kummer zeugten.
Und dennoch war die einsame Näherin in ihrem halb städtischen, halb ländlichen Anzuge so schön, daß man sie kühn mit dem Bilde einer trauernden Madonna vergleichen durfte, vor welchem man in Zweifel geräth, was man mehr bewundern soll, ob die anmuthigen Formen der einzelnen Züge, den sprechenden Ausdruck des tiefen Schmerzes, oder das unendliche Wohlwollen, welches so ergreifend auf dem holden Antlitze ausgeprägt ist.
Wenn nun ein nagendes Seelenleiden vorzugsweise dazu beigetragen hatte, die Jugendfrische schneller zu bleichen, so waren doch auch die Jahre nicht spurlos an ihr vorübergegangen, wenigstens errieth man leicht, daß die Zeit kindlich-jungfräulichen Sinnens und Trachtens weit hinter ihr liege und der Sommer wohl achtundzwanzig reifend über ihr Haupt hingegangen sein mußten.
Ihre Haut war aber noch immer durchschimmernd und zart, fast zu zart für ein einfaches Bauermädchen und die groben Stoffe, welche ihren Körper züchtig verhüllten. Dagegen stand im schönsten Einklange mit derselben das ungewöhnlich starke braune Haar, welches, an den Schläfen glatt anliegend, sich am Hinterkopfe zu zwei mächtigen, in Knotenform zusammengerollten Flechten vereinigte und daher das unter den Mädchen und Frauen des kleinen Bauerstandes übliche Käppchen mit den langen flatternden Kinnbändern überflüssig machte.
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