»Ah, der Name stammt noch aus der Zeit, als die Amerikaner in München stationiert wurden. Da war immer was los. Im hinteren Teil, in dem heute diese vielen Zimmer sind, gab es einen richtigen Tanzsaal. Bands spielten auf, und so mancher GI verlor sein Herz an ein deutsches Fräulein …«
Die Sekretärin ist eine gute Geschichtenerzählerin, und schnell entsteht das Bild einer aufregenden Nachkriegs- und beginnenden Wirtschaftswunderzeit vor meinen Augen.
»Aber das war längst nicht alles. Im Keller …«, sie senkt verschwörerisch die Stimme, und ich stelle mir automatisch vor, dass dort Sodom und Gomorra herrschte, »… wurde gepokert.«
Wir kichern.
» Non è possibile , Liliane!«, sagt jemand kühl.
Ich zucke zusammen. Verdammt, Silvers sollte eine Glocke um den Hals tragen! Wenn ich wenigstens verstehen würde, wer jetzt schon wieder etwas falsch gemacht hat. Aber die Sekretärin antwortet fröhlich auf Italienisch und zwinkert mir verstohlen zu.
Okay. Kühl ist das neue Freundlich. Muss einem ja nur gesagt werden.
»Lassen Sie sich von Liliane nicht zu so einem Blödsinn verführen«, knurrt Silvers mich an, als wir in sein Büro zurückkehren.
Aha?
»Nur Deutsche trinken Cappuccino nach dem Mittagessen. Kein Italiener nimmt Sie mehr ernst, wenn er das sieht.«
Ich könnte einwenden, dass das mein Mittagessen war , aber ich bin so überrascht, weil Tosh Silvers eine geradezu flapsige Bemerkung macht, dass es mir glatt die Sprache verschlägt. Verwirrt nehme ich wieder vor meinem Computer Platz und hoffe, dass ich nun ein bisschen schneller vorankomme als am Vormittag.
Doch daraus wird nichts, denn es herrscht um einiges mehr Unruhe als in den Stunden vor der Mittagspause. Einige von Herrn Silvers’ Mitarbeitern erscheinen zum Rapport, anders kann man es kaum nennen. Auch diese Unterredungen finden nicht auf Deutsch statt, doch deutlich kann ich aus den Augenwinkeln die Anspannung von Silvers’ Besuchern wahrnehmen. Niemand würdigt mich eines Blickes, keiner setzt sich unaufgefordert, und zu lässigem Small Talk scheint es erst recht nicht zu kommen.
Bevor ich bei Christine anfing, habe ich mich kurz gefragt, ob ich wohl mit der herablassenden Art meiner zukünftigen Chefin umgehen kann. Aber wenn ich mir so ansehe, wie Silvers hier mehr wie ein Lehnsherr, denn wie der Chef einer modernen Unternehmensberatung auftritt, kommt mir Christine plötzlich wie der Gipfel der Kollegialität vor.
Noch ärgerlicher ist, dass mein Herz wie wild zu schlagen beginnt, wenn mein Mandant seine Stimme eine Oktave senkt, und gefährlich ruhig weiterredet. Ein untrügliches Anzeichen seiner Unzufriedenheit, wie es mir scheint. Aber nicht ich bin es ja, die sich seinen Unmut zugezogen hat. Es besteht also eigentlich kein Grund, nervös zu werden. Wahrscheinlich fürchte ich mich einfach vor dem Moment, an dem er merkt, wie langsam ich meine Arbeit erledige, und genauso mit mir reden wird.
Ich straffe die Schultern und beschließe, mich zusammenzureißen. Was mir mehr schlecht als recht gelingt, bis ich letztendlich mit einem »Schluss für heute, Signorina Jennings« entlassen werde.
Na gut. Wenn man mal davon absieht, dass mich Tosh Silvers fast mehr beunruhigt, wenn er mich kaum beachtet, als gestern, als er mich direkt ins Visier genommen hat, finde ich, der erste Arbeitstag lief gar nicht so schlecht.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.