»Nicht der Rede wert. Setzen Sie sich wieder.«
Ich verberge meine Gefühle nicht. Ich weiß, dass ich bei ihren Worten aussehe wie ein Kater, der von der Sahne genascht hat, und ich weiß, dass sie es sieht. Ja, ich provoziere sie absichtlich, na und? Das hier ist mein Spiel, und wenn ich es schon spielen muss, weil sich die Kleine in meine Angelegenheiten eingemischt hat, dann kann ich dabei doch wohl auch meinen Spaß haben.
Ich schiebe ihr den unterschriebenen Mandantenvertrag zu. »Ich erwarte, dass Sie in den nächsten Tagen ausschließlich mir zu Verfügung stehen«, sage ich.
»Kein Problem«, beeilt sich ihre Chefin zu versichern.
Ich zaubere ein Handy hervor und lege es vor Mayra auf den Tisch, doch die hebt abwehrend die Hände.
»Ich habe bereits ein Mobiltelefon. Ich kann Ihnen gerne eine Karte mit der Nummer geben.«
»Meine Arbeitszeiten sind ein wenig speziell. Ich erwarte, dass Sie rund um die Uhr erreichbar sind. Wenn ich etwas brauche, will ich nicht warten, bis der Tratsch mit Ihrer besten Freundin zu Ende ist.«
»Wie Sie wünschen«, sagt sie kühl.
Sie steckt das Handy ein, und ich frage mich, was mehr Spaß machen wird: Sie zu vögeln oder diese Eisfassade zum Bröckeln zu bringen. Denn beides wird passieren, früher oder später. Auch wenn Mayra jetzt noch glaubt, dass sie alles unter Kontrolle hat. Aber die Tatsache, dass sie zurückgekommen ist, sagt mir bereits, was ich wissen muss: Was immer ihre Chefin ihr versprochen oder angedroht hat, es ist Mayra so wichtig, dass sie entgegen ihrer Überzeugung wieder in meinem Büro aufgetaucht ist, sich entschuldigt und einer Zusammenarbeit zugestimmt hat.
Wenn dieser erste Schritt einmal gemacht ist, ist es meiner Erfahrung nach ganz leicht, noch mehr Vorsätze über Bord zu werfen. Denn mit jedem weiteren kleinen Schritt geht es ja nicht mehr nur um das Ziel, das Mayra erreichen will, sondern auch darum, dass alles, was sie bisher getan oder erduldet hat, nicht umsonst gewesen sein soll. Ich freue mich schon darauf, ihr dabei zuzusehen, wie sie das lernt. »Ich erwarte Sie dann morgen Nachmittag um drei«, beende ich das Gespräch, da die Formalitäten nun erledigt sind. Alles Weitere wird sich ergeben, wenn ich mit Mayra alleine bin.
Erst als die beiden Anwältinnen verschwunden sind, fällt mir auf, dass ich es plötzlich gar nicht mehr so eilig habe, Minnie wiederzufinden. Wahrscheinlich hat Mayra sie in einem Frauenhaus oder in einer Entzugsklinik untergebracht, soll die Nutte sich doch meinetwegen eine Weile da erholen, während ich ein bisschen mit ihrer Anwältin spiele. Für die unverdienten Ferien kann Minnie ja bezahlen, wenn ich sie wiederhabe.
München, 27. Mai 2019, nachmittags
Christine und ich verlassen das Gebäude nicht durch das Blue Parrot , sondern durch einen Hintereingang. Direkt vor der Tür befindet sich eine überdachte und an einer Seite von einer Mauer geschützte Auffahrt, sodass man mit Leichtigkeit ungesehen hinein- oder hinausgelangen kann.
Ein Taxi fährt vor, und meine Chefin schiebt mich auf die Rückbank. Mir ist ein bisschen übel, und ich würde gerne ein paar Schritte gehen, aber ich will auch endlich wissen, was hier los ist.
»Was war denn das gerade eben …?«, fange ich an, kaum dass das Taxi Fahrt aufgenommen hat.
»Schhh!«, macht Christine, und dann zischt sie mir leise zu. »Hören Sie, Mayra, Tosh Silvers ist ein gefährlicher Mann. Trotzdem würde sich jede Kanzlei in München alle Finger danach ablecken, auch nur einen kleinen Zeh in die Tür von Alpha Salvage zu bekommen. Also tun Sie mir den Gefallen, erledigen Sie den Job und treten Sie bloß dem Mann nicht noch mal auf die Füße!«
Hä? Wenn ihr das so wichtig ist, warum betraut sie dann ausgerechnet mich mit dem Mandat? Das macht doch gar keinen Sinn. Aber was meine Chefin angeht, ist das Gespräch damit scheinbar erledigt. Sie zieht ihr Handy heraus und beginnt zu telefonieren.
Da verstehe ich ihre Taktik plötzlich. Sie rechnet gar nicht damit, dass irgendjemand Herrn Silvers’ Anforderungen genügen könnte. Aber wenn dieser Fall eintritt, hofft sie womöglich, den Mann zu besänftigen, indem sie mich vor die Tür setzt. Auf mich kann sie am ehesten verzichten, und dank dieser Geste bekäme sie dann vielleicht doch ihren kleinen Zeh in die Tür von Alpha Salvage .
Jetzt ist mir richtig schlecht. Wäre ich der Typ Frau, der leicht in Tränen ausbricht, würde ich wahrscheinlich heulen, aber der bin ich nicht, stattdessen bin ich wütend. Auf Christiane, auf Silvers, eigentlich auf alles und jeden.
Zurück im Büro muss ich feststellen, dass Annabels Akten wie von Zauberhand verschwunden sind. Da es nicht so aussieht, als würde heute noch jemand anderes mit irgendeiner kuriosen Anfrage bei mir auftauchen, gebe ich Milena Bescheid, dass ich Überstunden abbummeln werde, im Notfall aber zu Hause zu erreichen sei.
Nur falls mich weitere gefährliche Männer engagieren wollen.
Inzwischen ist der erste Eindruck, den ich von dieser »Besprechung« hatte, ein wenig verblasst. Christine übertreibt doch, oder? Gut, Silvers hat tatsächlich eine unheimliche Ausstrahlung. Aber ein Großteil davon ist sicher seinen Machtspielchen geschuldet: Er hat uns zu sich zitiert, anstatt in die Kanzlei zu kommen, hat uns dann ewig warten und später nicht ausreden lassen, dazu das Fehlen jeglicher Höflichkeitsfloskeln. Das Machogehabe hat Tosh Silvers wirklich drauf.
Trotzdem ist Christine offenbar sehr an einer Zusammenarbeit interessiert. Aber was könnte schon passieren, wenn Silvers unzufrieden mit unserer Arbeit ist? Er könnte das Mandat kündigen. Das wäre vielleicht ärgerlich, aber doch nicht gefährlich.
Ich versuche, ein Szenario zu konstruieren, in dem ich oder die Kanzlei haftbar gemacht werden könnten, komme aber auf nichts, was nicht durch die entsprechenden Versicherungen abgedeckt wäre. Es sei denn, ich würde das Mandantengeheimnis brechen, was ich wirklich nicht vorhabe.
Wie auch immer, vor dem morgigen Termin will ich unbedingt wissen, mit wem ich es zu tun habe, und die entsprechende Recherche führe ich lieber zu Hause durch.
Vier Stunden später sitze ich immer noch in meinem Jogginganzug vor meinem Computer und reibe mir stöhnend die Schläfen. Tosh Silvers ist ein verdammtes Phantom, so sieht es aus. Seine Unternehmensberatung hat nicht einmal eine simple Webseite mit Kontaktdaten. Wenn ich dringend eine Beratung bräuchte, käme ich auf alle möglichen Firmen, aber sicher nicht auf Alpha Salvage . Wo kriegen die ihre Kunden her?
Silvers taucht auch nicht in irgendwelchen Klatschspalten auf, er spendet nicht für ein Kinderhospiz und hat keine aufregende Affäre mit einem Model. Nichts!
Das Einzige, was meine Recherche hervorgebracht hat, ist ein Handelsregisterauszug, der Tosh Silvers als Geschäftsführer der Firma ausweist, deren Gesellschafter andere Unternehmen sind, und, da Alpha Salvage bilanzierungspflichtig ist, eine ziemlich beeindruckende Aufstellung der Gewinne.
Mit Insolvenzverschleppung muss ich mich in nächster Zeit eher nicht mehr auseinandersetzen. Aber warum kann ich nicht wenigstens ein Foto von Silvers im Internet finden? Das gibt es doch gar nicht! Jeder taucht doch mit irgendeinem Foto im Netz auf, absolut jeder! Was ich mit dem Foto will, weiß ich selber nicht so genau. Und ich weigere mich auch, länger darüber nachzudenken.
Überpräsent im Internet ist allerdings Gieseke, Silvers’ möglicher Geschäftspartner. Täglich überschwemmt er die sozialen Medien mit Fotos und Videos seiner Botschaften für eine bessere, gerechtere Welt, und wird dabei nicht müde, sich selbst für sein früheres Verhalten zu geißeln.
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