»Nehmen Sie Platz.«
Seine Stimme ist befehlsgewohnt und hat einen dunklen Unterton, der mir unwillkürlich einen Schauer über den Rücken jagt. Obwohl der durchaus auch von meinem wachsenden Unmut herrühren könnte, denn ein freundlicher Handschlag ist ebenso wenig vorgesehen wie eine Entschuldigung für die lange Wartezeit. Ungehobelter, arroganter Blödmann!
Ich beiße die Zähne zusammen und nehme neben Christine auf einem der Stühle Platz, die auf der Längsseite des Tisches Herrn Silvers gegenüber bereitstehen. Dass diese reichen Typen glauben, sie könnten sich alles erlauben, weiß ich nur zu gut. Er wird schon entgegenkommender werden, wenn sich erst herausstellt, welcher Straftat er sich schuldig gemacht hat. Steuerhinterziehung, rate ich.
Es ist in München fast nicht möglich an Steuerhinterziehung zu denken, ohne dass einem dabei der ehemalige Manager des FC Bayern in den Sinn kommt. Selbst wenn dieser Typ hier nicht so prominent ist, wenn es um ähnlich viel Geld geht, wird sich dieser Fall verdammt gut in meiner Vita machen, auch wenn ich nur als Christines Assistentin fungiere. Ich zwinge mich zu einem Lächeln.
»Wie ich bereits am Telefon sagte, geht es um ein umfassendes Vertragswerk zur Regelung der geschäftlichen Beziehungen zwischen Alpha Salvage und Bio Gieseke …«
Gieseke? Das sind doch die Läden von diesem Koch. Der hatte mal eine erfolglose Show bei einem Privatsender, bis er die gesunde Ernährung für sich entdeckt hat, und unter den Augen von Tausenden Followern die Wandlung vom Grillmeister zum Vegetarier und schließlich zum Veganer vollzogen hat. Ich mag das nicht, dieses zur Schau gestellte Gutmenschentum, aber prominent ist der Gieseke auf jeden Fall. Wenn Herr Silvers Ärger mit dem hat, wirds echt interessant.
»Herr Gieseke plant, seine Geschäftsbeziehungen über Europa hinaus auszuweiten, sodass einige grenzüberschreitende Verträge vorbereitet werden müssen.«
Ich verstehe nicht ganz, was das mit uns zu tun hat. Das kann allerdings auch daran liegen, dass ich überhaupt zunehmend Schwierigkeiten habe, mich auf Herrn Silvers’ Ausführungen zu konzentrieren. Denn der unterhält sich zwar mit Christine, sieht dabei aber die ganze Zeit mich an. In seinen blaugrauen Augen scheint eine Herausforderung zu liegen, die ich nicht recht einordnen kann. Zu gerne würde ich wegsehen, aber ich denke gar nicht daran, wie ein nervöses Schulmädchen die Augen niederzuschlagen. Hoffentlich kommt er bald zu dem Punkt, an dem klar wird, wieso er eine Anwältin aus einer Kanzlei für Wirtschaftsstrafrecht benötigt, bevor nicht mehr zu übersehen ist, dass er mich nervös macht.
Ich versuche, mich mit der Frage abzulenken, weshalb ein Mann, der offenbar vermögend, erfolgreich und zudem mit seinem scharf geschnittenen Gesicht und der markanten Nase nicht wirklich schön, aber auf jeden Fall faszinierend zu nennen ist, so unhöflich sein muss. Nicht nur, dass er Christine kaum beachtet, er lässt sie nicht mal ausreden, wenn sie überhaupt zu Wort kommt. Gott sei Dank ist das nicht mein Mandant!
»Frau Jennings würde Ihnen gerne bei der Ausarbeitung der Verträge behilflich sein«, sagt meine Chefin in diesem Moment.
Wie bitte?! Nein, würde sie nicht!
»Zudem sollten die Verträge so ausgelegt sein, dass die Steuerlast der beteiligten Unternehmen minimiert wird«, fügt Herr Silvers noch hinzu.
»Sie wollen Steuern hinterziehen?«, frage ich kühl.
Da offenbar geplant ist, dass ich mich mit diesem Klienten herumärgere, wird es höchste Zeit, mal ein paar Dinge klarzustellen.
»Selbstverständlich nicht«, gibt er völlig gelassen zurück. »Dazu benötige ich ja eine Anwältin, damit ich mich nicht aus Versehen strafbar mache.«
»Wenn Sie Steuerspartricks brauchen, sollten Sie einen Steuerberater engagieren.«
»Sie können sich sicher sein, dass ich Ihre Kanzlei sehr sorgfältig ausgewählt habe.«
»Da ist Ihnen vielleicht entgangen, dass unser Schwerpunkt im Wirtschaftsstrafrecht liegt. Wir können Ihnen sicher einen geeigneten Kollegen empfehlen.«
Schließlich ist Herr Silvers nicht der Einzige, dem nicht so ganz klar ist, wo die Aufgabenschwerpunkte unserer Kanzlei liegen.
Er zieht eine Augenbraue hoch, da fährt Christine dazwischen: »Wenn Sie uns bitte einen Augenblick entschuldigen würden, Herr Silvers, ich müsste ganz kurz etwas mit meiner Kollegin besprechen.«
Was?
»Nur zu«, sagt er süffisant, und schon befinden wir uns wieder auf dem elend langen Weg aus dem Büro hinaus.
Christine zerrt mich förmlich auf den Flur, bevor sie mich wütend anzischt: »Sind Sie komplett wahnsinnig geworden, Mayra?«
»Aber das ist nicht unser Fachge…«
»Scheißegal!«, fährt sie mir über den Mund. »Wenn Carlo Cortones inoffizielle Nummer eins eine meiner Anwältinnen engagieren will, dann wird er die bekommen, oder diese Anwältin kann sich keine großen Hoffnungen auf eine erfolgreiche Zukunft in meiner Kanzlei machen, ist das angekommen?«
Äh, droht sie mir gerade?
»Ja …«, sage ich gedehnt, was bleibt mir auch anderes übrig?
»Gut«, zischt meine Chefin. »Sie haben zwei Minuten. Dann werden Sie sich bei Herrn Silvers entschuldigen, oder Sie können sich schon mal eine Umzugskiste mit ins Büro bringen.« Nach diesen Worten lässt sie mich einfach stehen.
Ich schlucke. Eindeutiger gehts nicht. Die Umzugskiste werde ich sicher nicht brauchen, um in ein höheres Stockwerk zu wechseln.
Mein Herz hämmert, während ich den Sekundenzeiger meiner Armbanduhr beobachte und mich aufs Atmen konzentriere. Ich schaffe das. Silvers ist nicht der erste Arsch in meinem Leben, und er wird sicher nicht der letzte sein. Meine Karriere lasse ich mir von so einem aber nicht versauen. Auch wenn ich große Lust hätte, ihn und Christine zum Teufel zu jagen.
München-Giesing, 27. Mai 2019, mittags
Ich habe mir Mayra als Emanze fortgeschrittenen Alters vorgestellt, die in wallendem Gewand über den Straßenstrich latscht und ihre Kärtchen verteilt. Oder vielleicht auch als vertrocknete, hässliche alte Jungfer. Nach Georgs Dossier in meinem Postfach musste ich das bereits revidieren. Sie ist verdammt jung. Dazu die Adresse der Kanzlei, für die sie arbeitet: Residenzstraße. Da schlappt man nicht in Birkenstocks durchs Büro, jedenfalls nicht in Mayra Jennings Alter, wenn man erst noch Karriere machen will. Leider hatte Georg nur eine Kopie des Personalausweisfotos mitgeschickt, darauf wirkte sie streng und unnahbar. Also dachte ich an eine spröde Karrierefrau im Jil-Sander-Kostüm, sehr geschäftsmäßig und stets bemüht, nur keinen Hinweis auf irgendwelche weiblichen Formen zu zeigen.
Nun betritt sie nach dem kleinen Eklat vorhin zum zweiten Mal mein Büro, und ich sollte mich wirklich bei Carlo bedanken. Die Kleine ist definitiv heiß. Nicht sehr groß, aber mit überaus interessanten Kurven an den richtigen Stellen. Das braune Haar hat sie am Hinterkopf zu einem dicken Knoten zusammengesteckt, und den Mann möchte ich sehen, den es nicht in den Fingern juckt, die Spange zu lösen, damit sich ihre Haare über ihren Rücken ergießen. Es wird Spaß machen, die Hände in dieser Pracht zu vergraben, während ich sie zum Stöhnen bringe. Ich habe definitiv schon hässlichere Mädels gefickt.
Dass ihre Chefin alleine zurückkam, hat mich kurz irritiert. Doch die wollte nur die Unerfahrenheit ihrer Mitarbeiterin betonen und sich für die Scherereien entschuldigen. Was nicht nötig gewesen wäre. Dass die Kleine nicht weiß, mit wem sie es zu tun hat, habe ich auch so gemerkt.
»Entschuldigen Sie bitte das Missverständnis, Herr Silvers. Ich würde mich sehr freuen, für Sie tätig werden zu können.« Mayras Gesicht bleibt dabei ohne jeden Ausdruck. Sie muss entweder stinksauer oder verängstigt sein, je nachdem, was ihre Chefin ihr gesagt hat. Dass ich nicht erkennen kann, was es ist, zeigt, wie gut sie sich im Griff hat. Ganz schön nervig, diese kontrollierte Fassade.
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