Eine unruhige Nacht im „Affenheim“
Sex im Bett wird meiner Meinung vollkommen überbewertet. Denn man kann es ja auch anderswo sehr schön miteinander treiben: im Auto etwa oder im Wald, auf dem Sofa und so weiter und so fort. Erwarten Sie hier von mir also bitte nicht die üblichen Bettgeschichten, sondern ehe solche wie die nun Folgende:
Von diesem wohl – wie ich hoffe – ziemlich einmaligen Sexerlebnis berichtete mir Kalle Reimann, damals wissenschaftlicher Assistent an dem berühmten Institut für theoretische Mathematik in der „Bunsenstraße“:
Kalle wohnte mit seiner Verlobten Eva im Erdgeschoss des öffentlich geförderten Studentenwohnheims für afro-asiatische Studenten, in der Göttinger Szene besser bekannt als „Affenheim“. Im Erdgeschoss lag auch der Eingang zur Wohnheim-eigenen Diskothek, die sich an der Göttinger Universität einen gewissen Kultstatus erarbeitet hatte. Nirgendwo sonst konnte man so einfach Studentinnen aus der nahe gelegenen Pädagogischen Hochschule treffen und „aufreißen“ wie hier. Also war die Affenheim-Diskothek fast jeden Abend bums-voll mit paarungswilligen Studentinnen und Studenten.
Der große nächtliche Ansturm auf die Musikkneipe sorgte natürlich auch auf dem Flur im Erdgeschoss, von dem aus es geradewegs in das Einzimmerappartement von Eva und Kalle ging, immer für Betrieb, soll heißen, für regen Personenverkehr.
Eines schönen Abends lag Kalle neben seiner Eva im Bett und hatte Probleme einzuschlafen. Er drehte sich auf ihre Seite und flüsterte leise:
„Entschuldige mal, Eva, aber ich muss dringend nochmal schnell aufs Klo!”
„Kein Problem, Kalle! Beeil’ dich aber bitte und lass’ das Licht aus, ich bin schon fast am Einschlafen.”
Eva sprach’s und drehte sich wieder auf die von ihr bevorzugte Schlafseite.
Kurze Zeit, nachdem Kalle aus dem Zimmer über den Flur zur Gemeinschaftstoilette gegangen war, huschte er schon wieder durch die Tür zurück ins dunkle Zimmer. Eva ermahnte ihn im Halbschlaf:
„Schließ’ doch bitte noch die Tür ab!”
Wie befohlen drehte sich der Schlüssel im Schloss. Unmittelbar darauf ging im partnerschaftlichen Gemeinschaftsbett ein wildes Geschmuse los. Erst kam Eva das plötzliche Interesse ihres Verlobten zu solch nachtschlafender Zeit nur komisch vor, dann zunehmend merkwürdig und merkwürdiger. Schließlich, als sie die starke Alkoholfahne unmittelbar über ihrem Gesicht bemerkte, wurde sie panisch. Im gleichen Moment versuchte jemand, von außen die verschlossene Zimmertür zu öffnen: Ihr aus dem Zimmer ausgesperrter Kalle stand vor der Tür und konnte nicht herein!
Gemeinsames Geschrei – im Zimmer und auf dem Flur – schlugen den sexbesessenen Eindringling in die Flucht, bevor Schlimmeres passieren konnte: So schnell und heimlich, wie er gekommen war, verschwand er wieder aus dem warmen Bett, stolperte durchs dunkle Zimmer und schloss die Tür von innen auf. Vor der Tür wartete der aufgeregte und wütende, weil ausgesperrte und schändlich hintergangene Verlobte und warf den dreisten Eindringling zur Belohnung für seinen Sex-Frevel mit Schmackes gegen die andere Flurwand.
Allen denen, die diese abenteuerliche Geschichte nicht so recht glauben wollten, konnte als Beweis ein deutlich sichtbarer länglich-ovaler Fleck an der Wand des „Affenheims“ gezeigt werden – genau gegenüber von Evas und Kalles Tür.
Fast auch eine Bettgeschichte
Aufregende nächtliche Erlebnisse im Studentenwohnheim waren allerdings nicht nur meinem Freund Kalle vorbehalten, so etwas widerfuhr auch anderen. Besonders Strebern und Miesepetern, die so wie ich nachts – aus welchen Gründen auch immer – schlafen wollten, statt bei einer spontan organisierten Hausparty fröhlich mitzufeiern, wurde schon das eine oder andere Mal übel mitgespielt:
So wurde in einem besonders bemerkenswerten Fall während einer solch feucht-fröhlichen Studentenparty im damals erst wenige Jahre alten Göttinger „Studentendorf“ einfach das Doppel-Null-Schild von der Gemeinschaftstoilette abmontiert und an die gegenüber liegende Zimmertür gepappt, hinter der eine besonders renitente Spaß-Bremse im Bett lag und den Schlaf des Gerechten schlief, ohne auch nur im Entferntesten zu ahnen, welches Ungemach da auf sie zukam.
Nun kann sich ein jeder wohl so ungefähr ausmalen, was wenig später geschah: Im Zimmer des schlafenden Party-Muffels ging mitten in der Nacht urplötzlich das Licht an, und vor seinem Bett stand ein schon ziemlich angeheiterter, ihm vollkommen unbekannter Student mit halb heruntergelassener Hose, voller Blase und einem offen heraushängenden Gemächt, der vergeblich nach der hinter der Tür vermuteten Kloschüssel suchte. Wer bei diesem unerwarteten Zusammentreffen wohl überraschter war: der aus dem Tiefschlaf hochgeschreckte oder der sein Geschäft im falschen Zimmer verrichten wollende Student?
Unfreiwillige nächtliche Gesellschaft hatte ich selbst sogar schon vor dem Studium, allerdings von deutlich angenehmerer Natur. Es geschah auf meiner ersten Auslandsreise gleich nach dem bestandenen Abitur. Mein Reiseziel war Südwest-England, genauer gesagt das ausgesprochen charmante Seebad „Weston-Super-Mare“ an der schönen Severn-Mündung nahe Bristol. Dort, wo meine elf Jahre ältere Schwester nach ihrer Heirat mit Robert Stark, einem waschechten Engländer, ihre neue Heimat gefunden hatte.
Die Reise fand zu einer Zeit statt, als Großbritannien noch das absolute Mekka der Popmusik war, für junge Leute wie mich also ein absolut hippes Reiseziel. Mein unfreiwilliges Abenteuer im Bett ereignete sich aber schon auf dem Weg dorthin an Bord der Autofähre „Prinz Hamlet“. Dieses seinerzeit hochmoderne Fährschiff pendelte mehrmals wöchentlich zwischen Bremerhaven und der südost-englischen Hafenstadt Harwich hin und her und wurde von einer schwedischen Reederei betrieben. Die ganze Überfahrt von Deutschland nach England dauerte etwa einen halben Tag und die ganze, darauf folgende Nacht.
Als armer Schulabgänger hatte ich natürlich die billigste von allen möglichen Schiffspassagen gebucht und fand mich so in einer extrem kleinen, fensterlosen Innenkabine wieder. Es gab noch nicht einmal eine Nasszelle, sondern nur ein Waschbecken und zwei Etagen-Doppelbetten. Meine Mitbewohner waren alles Frauen.
Das war für mich in keiner Weise ein Grund zur Besorgnis, denn erstens war ich noch vollkommen grün hinter den Ohren und zweitens hatte ich mir zuhause mein Zimmer immer mit meiner älteren Schwester teilen müssen, bevor sie mich schnöde verließ und ohne mich in die große, weite Welt ging.
Die beiden jüngeren, in meinen Augen gar nicht so unflotten England-Touristinnen, mit denen ich die kleine Mehrbett-Kabine teilen durfte, fanden die ganze Angelegenheit auch einigermaßen lustig. Nur die dritte, etwas ältere Einzelreisende in unserer gemeinsamen Schlafstatt war absolut „not amused“. Ziemlich genervt sprach sie mich an: Da wäre doch bestimmt eine Verwechslung passiert, ich solle bitte sofort zur Rezeption gehen, um die Fehlbelegung zu korrigieren! Sie sagte das in einen ziemlich unfreundlichen, für mich einigermaßen ungewohnten Befehlston.
Irgendwie verstand ich die ganze Aufregung nicht. Wieso sollte ich eine Fehlbelegung sein? Auf die naheliegende Idee, dass die schwedische Schiffsbesatzung, die wohl eher Englisch als Deutsch verstand, meinen Vornamen irrtümlicherweise für weiblich gehalten und mich nur deshalb (versehentlich!) in diese Frauenkabine gesteckt haben könnte, kam ich nicht.
Da man in dieser kleinen Kabine sowieso nichts anderes anstellen konnte, hatte ich mich schon halb ausgezogen und ins warme Bett gekuschelt. Obwohl oder gerade weil ich so unfreundlich angeraunzt wurde, verspürte ich überhaupt keine Lust, noch einmal aufzustehen und nach draußen auf die ungemütlichen und feucht-kalten Schiffskorridore zu gehen: Wenn die gute Frau ein Problem mir hatte, warum ging sie dann nicht selber zur Rezeption?
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