Johanna Knapp
Wie ich es sehe
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Inhaltsverzeichnis
Titel Johanna Knapp Wie ich es sehe Dieses ebook wurde erstellt bei
Cello Cello Alles begann damit, dass ich nach acht Jahren aufhörte Cello zu spielen. Meine Mutter konnte sich nicht vorstellen, dass man etwas gut kann und es trotzdem nicht gerne macht. Da war sie sich einig mit meiner Lehrerin, sie hielten mich beide für superbegabt. Sie glaubten tatsächlich, ich würde irgendwann die Aufnahmeprüfung für eines dieser stinklangweiligen Orchester bestehen und für den Rest meines Lebens vor uralten, hustenden Leuten Beethoven und Schostakovitsch spielen, oder noch besser große Solistin werden, eine zweite Jacqueline Dupré, falls euch das was sagt. Meine Mutter hat mich in Cellokonzerte geschleppt, seit ich sechs Jahre alt war. Und bis man mich in den Konzertsälen dieser Welt feiern würde, hätte sie am liebsten gehabt, ich übte jeden Tag stundenlang im Wohnzimmer, während sie in ihrem Sessel sitzt und ihre Romane liest. Von Musik hat sie nicht wirklich Ahnung. Sie fühlt sie bloß. Natürlich behauptete sie immer, ich könnte machen, was ich wolle. Ich müsse mich nur entscheiden und so weiter. Nur dass das komplett gelogen war. Ich habe mich dann von einem Tag auf den anderen entschieden, bin in die Musikschule und habe Frau Jünger, meiner Lehrerin, gesagt und Frau Hagel, die den Kammermusikwettbewerb veranstaltet, ich hörte auf und käme nicht mehr. Meine Lehrerin fing an zu weinen, da bin ich einfach raus zu Frau Hagel, denn ich mag Frau Jünger sehr und hab ihren Kummer einfach nicht mit ansehen können, Frau Hagel machte auf cool. Sie ließ sich nicht anmerken, wie sehr es sie ärgerte, dass ich damit für das komplette Ensemble den Wettbewerb geschmissen hatte. Meine Mutter hättet ihr danach mal erleben sollen. Ihre Enttäuschung war kaum auszuhalten. Sie warf mir vor, ich sei eine moralische Versagerin, weil ich alle im Stich gelassen hätte, ich müsse wenigstens den Wettbewerb noch mitmachen. So ging das wochenlang. Das stand ich durch, ich war raus aus der Nummer. Ich musste nicht mehr üben, ich konnte mich jederzeit mit Nail treffen.
Erste Liebe
Mein 16. Geburtstag
Break on through
Nachts im Park
No satisfaction
Wiedersehen mit Mama
Axel und die Heiligen
Ans Meer
Mädchenheim
Opium
Flammenschrift
Lady Madonna
Neubeginn
Auf der Bühne
Axels Weg
Herr Geringas
Schatten der Vergangenheit
Schwimmen im Fluss
Kirschensuppe und Blaubeerteigtaschen
Ein Brief von Jill
Sina retten
Xanax
Besuch von Fremden
Auf der Flucht
Ein Lehrer für Axel
Die schöne Schwester
Aufbruch
Impressum neobooks
Alles begann damit, dass ich nach acht Jahren aufhörte Cello zu spielen. Meine Mutter konnte sich nicht vorstellen, dass man etwas gut kann und es trotzdem nicht gerne macht. Da war sie sich einig mit meiner Lehrerin, sie hielten mich beide für superbegabt. Sie glaubten tatsächlich, ich würde irgendwann die Aufnahmeprüfung für eines dieser stinklangweiligen Orchester bestehen und für den Rest meines Lebens vor uralten, hustenden Leuten Beethoven und Schostakovitsch spielen, oder noch besser große Solistin werden, eine zweite Jacqueline Dupré, falls euch das was sagt. Meine Mutter hat mich in Cellokonzerte geschleppt, seit ich sechs Jahre alt war. Und bis man mich in den Konzertsälen dieser Welt feiern würde, hätte sie am liebsten gehabt, ich übte jeden Tag stundenlang im Wohnzimmer, während sie in ihrem Sessel sitzt und ihre Romane liest. Von Musik hat sie nicht wirklich Ahnung. Sie fühlt sie bloß.
Natürlich behauptete sie immer, ich könnte machen, was ich wolle. Ich müsse mich nur entscheiden und so weiter. Nur dass das komplett gelogen war.
Ich habe mich dann von einem Tag auf den anderen entschieden, bin in die Musikschule und habe Frau Jünger, meiner Lehrerin, gesagt und Frau Hagel, die den Kammermusikwettbewerb veranstaltet, ich hörte auf und käme nicht mehr. Meine Lehrerin fing an zu weinen, da bin ich einfach raus zu Frau Hagel, denn ich mag Frau Jünger sehr und hab ihren Kummer einfach nicht mit ansehen können, Frau Hagel machte auf cool. Sie ließ sich nicht anmerken, wie sehr es sie ärgerte, dass ich damit für das komplette Ensemble den Wettbewerb geschmissen hatte.
Meine Mutter hättet ihr danach mal erleben sollen. Ihre Enttäuschung war kaum auszuhalten. Sie warf mir vor, ich sei eine moralische Versagerin, weil ich alle im Stich gelassen hätte, ich müsse wenigstens den Wettbewerb noch mitmachen. So ging das wochenlang. Das stand ich durch, ich war raus aus der Nummer. Ich musste nicht mehr üben, ich konnte mich jederzeit mit Nail treffen.
Wir sind nicht mehr zusammen, aber als alles anfing, war ich vollkommen verknallt in Nail. Der Junge haute mich einfach um, so schön ist er und so intelligent. Er liest Schopenhauer und Nietzsche. Ich lese nie was oder zumindest fast nie. Nails Mama trinkt gerne Sekt. Den holt sie sich in der Tanke, niemals im Supermarkt. Sie verdient das Geld für Nail und sich mit Nachhilfestunden in Mathematik. Und wenn sie zu betrunken ist, dann lässt sie sich von Nail vertreten.
Nail besuchte mich manchmal nachts. Dann stellte ich den Wecker auf drei Uhr und ließ ihn leise ins Zimmer. Wir tranken Whiskey aus der Flasche, den er in seinem Rucksack mitgebracht hatte. Wir saßen auf der Fensterbank, rauchten und sahen uns den Mond über den Dächern der Mietshäuser an. Dann legten wir uns für eine Weile auf mein breites Bett und teilten uns Kopfhörer. Die Tabakkrümel auf der Fensterbank hab ich oft vergessen vor Müdigkeit und Umarmungen. Das gab natürlich wieder Stress und Fragen. Meine Mutter schnüffelte nämlich gern in meinem Zimmer herum, weil sie unbedingt wissen wollte, was ich mache.
Einmal haben wir nachts am Rhein einen betrunkenen Jungen gerettet. Es war warm und ich machte mich schön für den Abend. Ich finde, es sieht toll aus, wenn der Lidstrich dick und schwarz die Augen rahmt. Meine Augen sind sehr blau und ich kann einen eiskalten Hassblick, vor dem sich alle fürchten. Wenn ich damit eine der Langeweilerinnen in der Klasse anschaute, dann war die still. Unter das Lid zeichnete ich drei kleine Punkte, das sieht geheimnisvoll aus. Dazu dick hellen Puder auf meinen eh schon blassen Teint. Ich zog mir die abgeschnittene Levis zum Knöpfen an, die ich mir beim Schüleraustausch in Paris in einem Secondhand gekauft hatte. Meine Schwester würde mich gleich angiften, weil ich sie ihr geklaut hätte. Aber diesmal hatte sie Unrecht. Stimmt, ich war verrückt nach den Sachen meiner Schwester. Wenn niemand zu Hause war, ging ich in ihr Zimmer und nahm mir was, einen Armreif oder einen der Stringtangas, die sie neuerdings trug, Nagellack oder Eyeliner. Meine Schwester machte reichlich Kohle in ihrem Nebenjob und konnte sich massenhaft Sachen kaufen. Das geklaute Zeug versteckte ich dann in meinem Zimmer, in meine Schubladen, vollgestopft mit Tampons, Heften und Spielzeugresten von früher, oder unterm Bett zwischen dem ganzen anderen Kram aus meiner Schultasche, den ich dort verstaute. Meistens nahm ich Sachen, die sie sowieso nicht vermisste, nur manchmal dann doch.
Meine Schwester ist dann bald ausgezogen. Sie hatte einfach die Nase voll von meinen Eskapaden.
Ich zog das schwarze Shirt mit den tiefen Armausschnitten an, durch die man meinen BH sehen konnte, was meine Mutter immer furchtbar auf die Palme brachte, obwohl mein Busen wirklich nicht der Rede wert ist, dann die pinken Plateauschuhe.
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