Langsam fiel Hermen seitlich vom Pferd. Schon als er auf dem Boden aufschlug, rührte er sich nicht mehr. Der Pfeil hatte zwischen Hermens Wirbelknochen seinen Weg zum Rückenmark gefunden, dieses durchtrennt und ihn auf der Stelle gelähmt. Sigmund trat an ihn heran:
»Glaubst du, ich lasse dich ziehen für den Frevel, den du und Hartwin an meinem Weib begangen habt? Wie sie auf dem nackten Waldboden ihr Schicksal ereilt hat, sollst auch du sterben – nur langsamer.« Damit ging er zur Wegkreuzung, holte sein Pferd, welches er dort angebunden hatte, saß auf und ließ den Sterbenden, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, zurück.
Nachdem er seine Rache vollstreckt hatte, ritt Sigmund zu Mime – auf dem Weg aber überlegte er, was zu tun wäre. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er Sisibe so wenig vertraut und sie ohne angehört zu haben, ihren Verleumdern ausgeliefert hatte. Andererseits konnte er nicht völlig sicher sein, dass Hermen die Wahrheit gesagt hatte und der Knabe bei Mime tatsächlich sein Spross war. Daher beschloss er und einigte sich dann auch mit Mime darüber, dem Knaben einen Namen – Sigfrid – zu geben, der ihn als Sohn Sigmunds erkenntlich macht, ihn aber bei Mime zu belassen. Dieser solle ihn, gegen ein heimliches Entgelt, großziehen, bis Häuptling Sigmund den Knaben zu sich holen würde.“
Heim machte neuerlich eine Kunstpause:
„Nicht besonders rühmlich das Verhalten von Sigmund, wenn ihr mich fragt“, meinte er. Da sprang Didrik auf, der schon einiges getrunken hatte, und fuhr Heim an:
„Danach fragt dich aber keiner“, fauchte er. „Was bildest du dir ein, über einen Häupt…, einen König zu urteilen!“ Der Grimme knallte den Humpen auf den Tisch und wollte sich erheben, denn er war keiner, der einer Aufforderung zu einem Raufhandel aus dem Weg ging. Da fiel die Hand Widekes, der neben ihm saß, schwer auf seine Schulter und drückte ihn auf die Bank zurück.
„Wir würden die Geschichte gerne zu Ende hören. Bitte, Heim, berichte weiter.“
Auch Didrik wurde von Hillebrand zurückgehalten und so fuhr der Suebe nach einer kurzen Atempause und einem großen Schluck aus dem Bierhumpen fort zu erzählen.
„Sigfrid wuchs bei Mime in der Waldschmiede auf, ohne von seiner Abstammung zu wissen. Mimes Weib starb, als Sigfrid noch klein war und der Knabe entwickelte sich außergewöhnlich. Er wurde stark – weit über seine Jahre hinaus. Davon wurde er streitsüchtig und quälte und verprügelte die Knechte und Gesellen Mimes. Eines Tages aber, als er wieder einen von ihnen zu Boden geworfen hatte und dort festhielt, drohte ihm dieser, ihn beim Meister anzuschwärzen. »Du kannst es ruhig meinem Vater sagen«, höhnte Sigfrid. Da rutschte es dem Gesellen heraus: »Mime ist gar nicht dein Vater«. Völlig verdutzt ließ Sigfrid ihn augenblicklich laufen und suchte irritiert Mime auf. »Was meint er damit«, fragte er den Schmied. Mime sah ihn erschrocken an, dann schrie er: »Ich kann das nicht zulassen, dass du meine Gesellen immer misshandelst. Du schlägst sie so fest auf den Kopf, dass sie verrückt werden und nicht mehr wissen was sie reden!« Sigfrid gelobte Besserung – die er nicht einhielt – und gab sich mit dieser Antwort zufrieden. Vor allem da es dem Gesellen tatsächlich schlecht ging und er sich bis zum Abend mehrmals übergeben musste. Es war jedoch seltsam, dass der Bursche am nächsten Morgen nicht mehr in der Schmiede gesehen wurde und Mime erklärte, dass er seinen Dienst quittiert hätte.
AlsSigfrid etwa vierzehn Lenze zählte und es wieder einmal arg getrieben hatte, beschloss Mime, der ihn trotz seiner Kräfte bisher immer wie ein rohes Ei behandelt hatte, nun doch, ihm Nützliches beizubringen. Er gab ihm einen Hammer in die Hand und ein Stück Eisen zum Schmieden. Sigfrid holte aus – er wollte es für seinen Vater besonders gut machen – und beim ersten Schlag zerbarst der Ambossklotz unter seinem Hieb. Der Amboss selbst fuhr in die Erde, der Hammerstiel zersplitterte und das glühende Eisen flog flirrend an Mimes Kopf vorbei und blieb im Gebälk stecken. Dort setzte es beinahe das Dach in Brand, wenn der Meister nicht geistesgegenwärtig mit einem Lederlappen danach gegriffen und es herausgezogen hätte. Da erkannte Mime, dass aus dem Knaben nie ein Schmied werden würde und bekam Angst vor ihm.
Aber Sigmund machte keine Anstalten ihn von diesem grobschlächtigen Kerl befreien zu wollen. Daher fasste er einen Plan, wie er Sigfrid loswerden könnte. Der Schmied hatte einen Bruder, Regin, der in der weiteren Umgebung als Räuber und Wegelagerer sein Unwesen trieb. Mime hatte ihm einst einen Helm in Form eines Drachenkopfes geschmiedet und mit diesem und allerlei zusätzlichen Täuschungskünsten erschreckte er seine Opfer. Die Leute nannten ihn deshalb einen elenden Wurm oder einen Drachen, denn Regin tötete alles, was in seine Umgebung kam, außer seinen Bruder Mime. Die beiden kamen überein, dass Regin Sigfrid töten solle.
Mime schickte daraufhin Sigfrid in den Wald Kohlen zu brennen. Dagegen sträubte sich der Knabe nicht, denn durch den Wald zu streifen war von frühester Jugend an seine liebste Beschäftigung – und Wald gab es in der Umgebung der Schmiede wahrlich genug. Oft blieb er mehrere Tage fort, ohne dass er in der Werkstatt arg vermisst wurde. Dort ging alles einen ruhigeren Gang, wenn Sigfrid nicht da war.
Aber diesmal kam der Knabe bereits nach zwei Tagen zurück. Die Holzkohlen konnten unmöglich fertig sein und Mime wollte den Burschen darüber zornig anfahren. Man weiß nicht, was danach geschah. Es machte nur die Runde, dass Mime enthauptet in seiner Schmiede aufgefunden und später der stark verweste Leichnam des Wegelagerers Regin von Reisenden entdeckt worden war. Man erkannte ihn nur mehr daran, dass sein weithin bekannter Drachenhelm neben dem geköpften Rumpf lag. Sein Kopf lag wundersamerweise neben der Leiche seines Bruders Mime in dessen Werkstatt.
Offensichtlich hatte Sigfrid gründlich aufgeräumt. Danach machte er sich auf den Weg nach Seegard, dem Hof Brunhilds, da, wie er uns später dort mitteilte, Mime ihm das Pferd Grane zum Geschenk versprochen hätte. Was im Gestüt sonst noch geschah, habe ich schon zu Beginn geschildert“, beendete Heim seinen Bericht.
„Brunhild erzählte ihm dann noch von seiner wahren Herkunft“ ergänzte er. „Die Geschichte um das Verschwinden der hochschwangeren Sisibe hatte seinerzeit natürlich, wenn auch nur unter vorgehaltener Hand und nur innerhalb der edlen Kreise, die Runde gemacht. Just zur selben Zeit bekam Mime einen Knaben, ohne dass seine Frau schwanger gewesen wäre. Ein Mädchen mit ihrer Intuition konnte zwei und zwei zusammenzählen. Sie hatte es zwar nur später durch Klatsch und Geschichten gehört, aber eben auch die Schlussfolgerungen daraus gezogen. Mime wiederum hatte von Sigfrid alles ferngehalten, was auf seine Abstammung hindeuten hätte können.
Als sie ihm nun eröffnet hatte, wessen Sohn und dass er edlen Geblütes sei, verließ er sie und ritt zu seinem Vater Sigmund an den benachbarten Hof. Der Häuptling konnte sich, direkt vom Sohn zur Rede gestellt, der Vaterrolle nun nicht mehr entziehen, aber besonders herzlich wurde das Verhältnis der beiden zueinander nicht mehr. Jedoch lebte Sigfrid die nächsten Jahre an Sigmunds Hof und erfuhr dort die ihm zustehende Erziehung eines Edelmannes. Während dieser Zeit kamen er und Brunhild sich näher, denn er besuchte sie häufig.
Später zog Sigfrid aber an einen anderen Hof zur Beendigung der Ausbildung. So kam er zu Isung und seinen Söhnen und wurde schließlich dort mannbar gesprochen. Danach wurde er Isungs Bannerträger.“
Damit beendete Heim die Geschichte endgültig, die von allen Anwesenden aufmerksam verfolgt worden war.
Da wandte sich Hillebrand, der Waffenmeister, an Didrik:
„Ihr seht, mein König, Isung und seine Söhne waren schon eine nahezu unbezwingbare Schar. Wenn sie jetzt aber noch durch Jungherrn Sigfrid verstärkt werden, so sind sie sicher als deinem Trupp ebenbürtig zu bezeichnen. Es geziemt sich durchaus für einen König, einem gleichwertigen Gegner auch den notwendigen Respekt zu zollen.“
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