„In dem komplexen Herstellungsprozess von Kunststoffen entsteht ein regelrechter Cocktail an Substanzen, von denen wir einen Großteil überhaupt nicht kennen“,
sagte die Leiterin der Forschungsgruppe PlastX , Carolin Völker.
Von 1.400 Substanzen konnten im Labor nur 260 identifiziert werden. Die Autorengruppe konnte, außer für Bisphenol A, dessen schädliche Wirkung belegt ist, keine Aussagen über potenzielle Gesundheitsrisiken für Verwender der Kunststoffprodukte machen. |
„Etwas mehr als 80 Prozent aller nachgewiesenen Substanzen konnten wir mithilfe chemischer Analysen nicht identifizieren“, sagt Zimmermann. „Das heißt, wir wissen zum Großteil nicht, womit wir es in den Kunststoffprodukten zu tun haben. Und wenn wir die Chemikalien nicht kennen, können wir auch nicht bestimmen, ob sie sicher für Mensch und Umwelt sind“. 3.4.1/3 Zimmermann et al.
Arzneimittel-Rückstände im Wasser
Laut der OECD -Studie Pharmaceutical Residues in Freshwater von 2019 wurden über 150 pharmazeutische Spurenstoffe in Wasser nachgewiesen. Deutschland nimmt dabei neben den USA, Frankreich, Spanien und Großbritannien einen Spitzenplatz ein. |
Jährlich gelangen Hunderte Tonnen von Medikamenten in die Umwelt. Es gibt mehr als 4.000 arzneiliche Wirkstoffe, bei den meisten (bei Humanarzneimitteln: 88 %) sind die Auswirkungen auf die Umwelt nicht erforscht. Stoffgemische aus Arzneimittelrückständen und anderen Mikroverunreinigungen haben komplexe Wirkungsweisen. Unser Trinkwasser gilt für Menschen als sicher – aber schon sehr geringe Konzentrationen dieser Substanzen (im Nanogrammbereich) können fatale Folgen für Wasserlebewesen haben. Informationen über Herbizid-Rückstände im Grundwasser finden Sie auf den Webseiten des Umweltbundesamtes .
Siebzehn Stressoren
Multisystemischen Komplex-Erkrankungen basieren stets auf einem biochemischen Ungleichgewicht, das von Prof. Martin L. Pall als „Nitrosativer Stresszyklus“ beschrieben wurde. } Siehe Kapitel 5.5 Prof. Pall weist darauf hin, dass 17 Stressoren bekannt sind, die synergistisch eine Schlüsselrolle bei der Krankheitsentstehung spielen:
„Es sind insgesamt 17 unterscheidbare kurzfristig auftretende Stressoren bekannt, die Fälle einer oder mehrerer der besprochenen Krankheiten [ME/CFS, MCS, FMS und PTBS, die Autorin] einleiten. Es ist auch bekannt, dass alle 17 Zykluselemente stimulieren können, was bekanntermaßen oder vermutlich zu einem Anstieg von Stickoxid und Peroxynitrit führt. Sie können also den Zyklus über diese Mechanismen einleiten.“ 3.4.1/4 Pall
Synergistische Wirkungen
Dr. rer. nat. Heike Sommer erforschte 2006 im Rahmen ihrer Dissertationsarbeit synergistische Kombinationswirkungen durch Gemische aus 2–8 Komponenten unspezifisch wirksamer Chemikalien in untoxischen Konzentrationen der Einzelsubstanzen an menschlichen Fibroblasten.
„Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigten, dass alle Kombinationen auch unterhalb der Toxizitätsschwellen (NOEC-Werte) der sie enthaltenden Komponenten eine toxische Gesamtwirkung verursachten. [...] Gemische aus 2 Komponenten verstärkten die Toxizität der Einzelsubstanzen, und es zeigte sich, dass die Gemische deutlich toxischer waren als die jeweilige Substanz allein. [...] Je mehr Komponenten das Gemisch enthielt, umso geringer waren die erforderlichen Konzentrationen der einzelnen Komponenten, um einen bestimmten Effekt zu erzielen.“ 3.4.1/5 Sommer
Umweltrisiken durch Pestizid-Cocktails werden unterschätzt
lautete die Überschrift eines Artikels des Umweltbundesamtes zu einer 2021 veröffentlichten Studie über Pestizid- Mischungen:
„Auf unseren Äckern werden oft mehrere Pestizide gleichzeitig oder nacheinander verwendet. Wie die einzelnen Mittel zusammenwirken, wird vorher in der Zulassung nicht überprüft. Dort werden Mittel nur einzeln bewertet. Die Folge: Unerwünschte Kombinationswirkungen von Pestiziden auf die Umwelt bleiben oft unentdeckt. Laut einer neuen Studie für das UBA muss sich das rasch ändern.“ 3.4.1/6 UBA
⇒ Weitere InformationenKühling, Wilfried Mehrfachbelastungen durch verschiedenartige Umwelteinwirkungen. 3.4.1/7 Kühling |
3.4.2 Die Synergie der multisystemischen Gesamtlast
In der Botanik gibt es eine Klasse von Erregern, die als Schwächeparasiten bezeichnet werden, also Parasiten, die z. B. Bäume nur dann schädigen können, wenn durch vorangegangene Wirkung anderer Faktoren deren Widerstandskraft geschwächt wurde. Derzeit schädigen hohe Tagestemperaturen, massive Niederschlagsdefizite und die daraus resultierende geringe Luftfeuchtigkeit die Wälder massiv und machen sie anfällig.
Auch im menschlichen Organismus hinterlassen Stressfaktoren Schäden, die die Widerstandskraft schwächen. Jetzt können, vor allem bei ohnehin vulnerabler Disposition, auch weniger virulente Erreger zu systemsprengenden Faktoren werden. |
Es sollte gesamtgesellschaftlicher Konsens sein, dass wir unverzüglich und gemeinsam Maßnahmen ergreifen, um einen „Zell-, bzw. Mitochondriengesunden“ gemeinsamen Lebensraum zu schaffen – und zwar „von der Wiege bis zur Bahre“. Mehr Aufklärung über Lebensstilfaktoren, mehr Prävention und eine beherzte Eindämmung kollektiver Stressfaktoren sind keine realitätsfremden Forderungen. Wie viele Erkrankungen, Operationen, Medikamente, Pflegekosten sowie kostenintensive Untersuchungen wären vermeidbar?
Abb. 3 . 4 . 2 / 1Die Gesundheitsausgaben steigen von Jahr zu Jahr
Die Gesundheitsausgaben steigen Jahr für Jahr. Im Jahr 2017 überschritten sie erstmals die Marke von einer Milliarde Euro pro Tag. Wie werden die Gesundheitsausgaben für die Corona-Jahre 2020/2021 aussehen? Quelle: Pressemitteilungen des Statistischen Bundesamtes: Nr. 109, 21. März 2019, Nr. 164, 12. Mai 2020; Nr. 167, 6. April 2021.
Abb. 3 . 4 . 2 / 2100-Milliarden-Euro-Sprünge
Die Abstände der jeweiligen 100 Milliarden-Grenze werden geringer: Während zwischen 1998 bis 2012 14 Jahre lagen, verminderte sich die Zeitspanne zum nächsten 100 Milliarden Schritt im Jahr 2019 schon auf sieben Jahre. Quelle } Siehe Abb. 3.4.2/1
Blick in die USA
Prof. Naviaux erforscht nicht nur wissenschaftlich die Reaktion auf Zellgefahren, er weist in dem lesenswerten Artikel Perspective: Cell danger response Biology—The new science that connects environmental health with mitochondria and the rising tide of chronic illness auch darauf hin, dass eine Gesellschaft sich chronische Erkrankungen nicht nur aus humanistischer und ethischer Sicht nicht leisten kann, sondern dass ein „Weiter so“ auch wirtschaftlich zu einem Desaster führt:
„Die wirtschaftlichen Kosten chronischer Krankheiten
Die Vereinigten Staaten geben heute jährlich 2,8 Billionen Dollar für die medizinische Versorgung von Kindern und Erwachsenen mit chronischen Erkrankungen aus. Dies entspricht 86 % des US-Haushalts in Höhe von 3,3 Billionen US-Dollar für das Gesundheitswesen. Wenn die steigende Flut chronischer Krankheiten der letzten 30 Jahre unvermindert anhält, werden die Kosten der Gesundheitsversorgung in den USA bis 2025 voraussichtlich 5,5 Billionen Dollar übersteigen, was negative Auswirkungen verursacht, die den wirtschaftlichen Wohlstand nicht nur in diesem Land, sondern in vielen Ländern auf der ganzen Welt entgleisen lassen werden.
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