fühlten. Ich war so abgesichert, wie es ein Antiquitätenhändler nur sein konnte ohne Eigenbedarf.
Ich trug alte Kleidung und kaufte mir kaum Neues. Aus unseren zwei Autos war eines geworden.
Kleine Extravakanz stellte ich ein, sowie diese meines Vaters, jedes Jahr neue Dahlien zu kaufen.
In den 14 tägigen Briefen von Georgia fragte sie mich: „Gesund geschrumpft?“, die wir bejahten.
Gewiss hatte ich Kapital, eine beträchtliche Summe sogar. Die hielt ich wie Munition zusammen,
und achtete darauf, dass jeder Schuss mein Treffer wurde. Mittlerweile wusste ich über Porzellan
aus früheren Jahrhunderten bestens Bescheid, mehr als manche Historiker und erfahrene Händler.
Ich lernte, mein neues Wissen gezielt einzusetzen, um es international „an den Mann zu bringen“.
In der Zeit kaufte ich eine bekannte Statue, die beschädigt war, das Milchmädchen von Reinecke
und verzichtete auf eine Restauration der abgebrochenen Einzelteilen wie Hände und Kuhhörner.
Meine Entwicklung verlief sehr individuell, womit ich in aller Welt die Kunden als Freunde gewann.
Der Welt die eigene, persönliche Freude zu verkaufen und davon zu leben, egal ob bescheidener,
erträglicher oder wohlhabend, gibt es ein größere Freude? Ich freute mich auf meine Besuche bei
Bekannten in Kopenhagen. Ich brauchte auch kein Hotel mehr, sondern wurde eingeladen, direkt
in ihrem Haus im Oberstübchen zu übernachten. Morgens beim gemeinsamen Frühstück redeten
wir über die selbst gemachte Rhabarber-Marmelade, die ich mir auf frischem Toast in den Mund
schob, über die seichte Brise, die in Meeresnähe oft weht, über die beste Auswahl an königlicher
Porzellan-Ware aus Kopenhagen und dass ich eine Sekretärin bräuchte, die deutsch, dänisch und
englisch spricht sowie in Kurzschrift schreibt, gleichermaßen das Maschine schreiben beherrscht.
Es war zum Vorteil, dass ich fließend dänisch sprach. Eine Korrespondenz in drei Sprachen wäre
sehr zeitaufwendig gewesen in Anbetracht des Stapels von Geschäftsbriefen, die prompt Antwort
erwarteten, weil sie direktes Kaufinteresse zeigten für eigene Sammlungen im Antiquitätengenre.
HERR LARSON
Jani und Lotta Dahl gehörten zu meinen besten Freunden in Kopenhagen, ein dänischer Verleger.
Ich wollte vor unserer Fahrt ins Blaue, zum Meer und den Dünen nach Fünen, aus der Stadt raus,
die Lotta für ein langes Wochenende arrangiert hatte, meine Korrespondenz noch erledigt haben.
Jani setzte sich mit einem Carl Larson in Verbindung, einem Exporteur für Landwirtschaftliches,
der ein alter Bekannte von ihm war. Er hatte mit dem Künstler Carl Larson nichts zu tun. Bei der
Bilder-Ausstellung seien sie sich begegnet in der Komik eines Namensvetters dieses Schwedens.
Es war ein Beispiel für die dänische Kontaktfreudigkeit, die im Prinzip Länder übergreifend war.
Jani meinte, dass er jemanden wüsste. Ein Mädchen für englische, dänische und deutsche Briefe,
wenn er nicht zu schnell diktierte. Ich dankte und machte mich auf den Weg zu Herrn C. Larson.
Er war in heiterer Stimmung, grauhaarig und von kräftiger Statur. Mit Neugierde blickte er mich an.
Jani sprach ansonsten salopp von Calle, der gern feiert und keine Partys oder Events auslässt.
Genauso erlebte ich ihn. Äußerlich in keinem Businessdress, sondern lässig elegant und herzlich
in seinem Willkommen, er wirkte, als wenn ihm die sture Arbeitsweise genauso verhasst sei wie
unpersönliche Treffen. Seine Geschäfte mochten aus very good connections bestehen, important.
Gesellschaftliche Verbindungen, die erst im Nachhinein gutes, wirtschaftliches Interesse zeigten.
Er sprach Englisch nur etwas schlechter als Dänisch: „Sie werden Frau Fröhlich hervorragend
finden. Sie spricht besser englisch als ich. „Aber nein!“ “Lange ist es her, da war ich in London.“
Wir schwatzten in beiden Sprachen und unterhielten uns bestens. Als ich an die Arbeit erinnerte,
„Haben Sie viele englische Briefe?“ “Vier oder fünf sind es.“ “Vielleicht sprechen Sie langsamer.“
„Übrigens, was die Bezahlung angeht und Ihre -“ „Es kommt nicht in Frage, ganz und gar nicht.“
„Aber ja doch! Wirklich, ich muss wenigstens Ihnen oder ihr etwas bezahlen -“„Kommt nicht in
Frage, auf keinen Fall, das ist das Wenigste, wenn wir einem Engländer und Jani helfen können.“
In meinem Gedächtnis machte ich mir die Notiz, dass ich ihm eine Flasche Bordeaux mitbrächte.
Was nur für Frau Fröhlich? Ein Parfum? Ein Seidentuch? Warum ließ er mich sie nicht bezahlen
im Stundenlohn oder in einem Pauschalpreis? Besser, ich fragte Jani nochmals, was man solcher
Dame schenken könnte. Wenn sie so gut in englisch war, ohne in England gewesen zu sein, eine
Antiquität für ihre Vitrine? Vielleicht war sie von alter Schule, vornehmer Zunft oder verwöhnt?
Carl Larson führte mich in ein Zimmer, das an sein Geschäft erinnerte mit Büchern über Rinder-
Zucht und Getreide-Anbau. Antike Möbel füllten den Saal, in dem ich sie gleich erwarten sollte.
Als es an der Tür klopfte, sagte ich: „Kom ind!“ Und dann, um kein Missverständnis -, „Herein!“
EINE UNVERHOFFTE BEGEGNUNG - 4. KAPITEL -
Was waren meine ersten Gefühle und Gedanken, als sie den Raum betrat? Wahre Gefühle lösen
Gedanken aus. Rückblickend redet man sich alles Mögliche ein, was durch spätere Erfahrungen
hinzu gedichtet wird, meist wird dies dramatischer, als es im Vorfeld war. Das liegt im Menschen,
seine Sensationslust und Dramaturgie, egal ob auf dem mittelalterlichen Schauplatz, derzeitigen
Medien oder in Shakespeares Dramaturgie. Was hätte Shakespeare ohne das banale Verlangen
gemacht? Well, ich war solch ein Engländer, der im Prinzip schlecht an Shakespeare vorbeikam.
Trotzdem muss ich sagen, dass ich schon damals was verspürte, das schwer zu beschreiben ist.
Vielleicht ein Bewusstseinssprung auf eine andere Ebene, einen plötzlichen Wechsel im wahren
Geschehen. Sowohl in der Eigenart meiner Aufmerksamkeit als auch im unmerklichen Moment
und Verstreichen eines Augenblicks, rückte die tatsächliche Umgebung, das Arbeitszimmer wie
dieser Stapel Briefe auf meinem Tisch in den Hintergrund, dass die Zeit wie durch eine Linse in
die Vergangenheit führte aus der Gegenwart, als ob ein Duft oder Klang nicht nur an die frühere
Zeit vor fünf Jahren oder an die Kindheitszeit erinnert, sondern uns wirklich dahin zurück bringt.
Der Blick durch ein Kaleidoskop oder durch eine Linse in die Ewigkeit, die uns sonst fremd war.
Es war nicht mehr der Tag und Ort, den ich gerade zu erleben meinte, sondern ganz woanders.
Lautlos war die nie erprobte Linse eingerastet auf die vorher niemals wahrgenommene Realität.
Ich blinzelte mit offene Augen und sah durch das helle, verblendende Licht, dass sie schön war.
Ich habe später über dreißig Leute gehört, die gesagt haben, dass sie schön sei. Sicher bin ich
einigen Frauen begegnet, deren Schönheit ich distanziert wahrgenommen hatte, für einen Sinn
und die Augen. Wegen des guten Tons wurden sie oft gelobt, sowie ein Konzert in Anwesenheit
des Publikums von der unmusikalischen Person gehört wird. Sie waren schön, wie es üblich war.
Nicht nur ihr Gesicht und Körper waren schön, ihre Haltung und Bewegungen galten königlicher
als am Hofe. Sie war graziös und elegant in aufregender Erscheinung unheimlicher Weiblichkeit.
Doch auch das hätte nicht den Riss durch den Tag in jenem Arbeitszimmer verursachen können.
Etwas Überwältigendes umhüllte sie wie ein unsichtbarer Schleier, der undurchdringlich blieb in
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