„ Seht nur,“ sagt er zu Dietrich: „Nirgends sind die Planken geklinkert! Keine liegt über der anderen, keine ist genagelt und gedichtet worden. Ob man mit solch glatten Schiffswänden wohl schneller durch das Wasser gleitet?“ Dietrich zuckt die Achseln. Er bewundert eher, dass dieses Schiff nicht offen ist, sondern nach oben hin geschlossen. Und auf dem Heck sitzt sogar ein erhöhtes Podest wie ein flachgedeckter Schuppen. Neugierig tritt er näher an das Ufer heran. Vom Mast weht der Wimpel einer St. Knut-Gilde, also kommt das Schiff wohl von einer der dänischen Inseln.
Doch dann sieht er, wie der Schiffer an Deck kommt, und ruft ihn an: „Sagt, guter Freund, was habt Ihr da für ein Schiff?“ Der Däne lacht: „Da staunt Ihr, nicht wahr? Dabei gibt es diese Koggen schon seit langem. Die Friesen fahren darauf, denn mit dem flachen Boden liegt es gut auf, wenn im Hafen Niedrigwasser ist. Das ist auch im flachen Wattenmeer ein großer Vorteil. Und wie Ihr seht, lässt sich das Schiff darum auch viel weiter an eine Kaikante bringen.“
„ Aber Ihr habt keine Ruderer?“ „Nein, wir fahren allein mit dem Segel. Das spart eine gute Anzahl Schiffsvolk, und Ihr wisst selber, dass damit die Frachtkosten sinken.“ - „Ja, das ist wahr,“ bestätigte Dietrich, und sein Interesse an diesem Schiffstyp steigt. „Und wer hat Euch diese Kogge, wie Ihr sie nennt, gebaut?“ „Meine Schiffsherren haben sie einem Händler aus Dorestad abgekauft. Aber auch in Jütland, so hörte ich, wurden bereits die ersten gebaut.“
„ Und wie viel Last könnt Ihr an Bord nehmen?“ fragt Dietrich. „Nun, mit sechzig Last sind wir vollbeladen.“ - „Das hört sich gut an, unsere Knorr faßt gerade einmal die Hälfte. Und Ihr sagt, die Jütländer können solche Schiffe auf Kiel legen?“ Der Schiffer lacht: „Kiel ist gut. Der Koggenboden ist platt wie ein großes Brett, da dient der Kiel nur noch dazu, die Steven zu halten. Doch das kann ich Euch leider nicht zeigen, es sei denn, Ihr lasst Euch kielholen.“ Nun lacht auch Dietmar: „Vielen Dank, darauf verzichte ich gern. Jedenfalls wünsche ich Euch eine gute Reise!“
Dietrich Bokholt ist nachdenklich geworden. Dieses andere Schiff scheint wirklich besser zu sein als die Knorr, wie man sie in Lubeke nutzt. „Man müsste einmal eine Fahrt mit einer solchen Kogge machen,“ sagt er zu seinem Schiffsführer. „Ich muß darüber unbedingt mit den anderen Kaufleuten reden.“
War es so? Oder war es doch so ähnlich? Vielleicht.
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Und die Lübecker ließen sich rasch überzeugen, zu groß waren die Vorteile dieses neuen Schiffstyps. Auf Ruderer konnte man so verzichten, ein Mast mit einem großen Rahsegel reichte, und der breite Rumpf fasste eine große Ladung. 100 bis 200 Tonnen – nach unseren Maßen – konnten es schon sein. Kein Wunder, dass dieses Schiff, die berühmte Kogge, und danach die etwas verbesserte Kraweel, für gut zweihundert Jahre das Transportmittel schlechthin auf Nord- und Ostsee wurde. Es war schneller herzustellen, verbrauchte weniger Material und war noch bei mäßigem Wind rascher am Ziel als jeder Fuhrmann an Land. Ein hoher Aufbau am Heck, das Kastell, bot Platz für Schiffsführer und die mitreisenden Kaufleute, das Ruder wanderte von Steuerbord ans Heck und machte das Schiff wesentlich manövrierfähiger.
Segelte man anfangs noch möglichst unter Land, also in Sichtweite der Küste, um sich zu orientieren, so fuhr man jetzt auch über das offene Meer. Das verkürzte den Seeweg, und selbst bis ins ferne Reval war man gerade eine Woche unterwegs. Lange Zeit war für die Lübecker Händler Gotland das erklärte Ziel, hier nahmen sie von den Nordmännern die Waren des Ostens in Empfang und tauschten sie gegen das, was sie mitbrachten. Wir erinnern uns: Schon Heinrich der Löwe hatte nicht nur den gotländischen Kaufleuten freien Handel in seinen Landen zugesagt, sondern auch den Lübeckern gleiche Rechte auf der Insel beschafft. Viele blieben dort länger, manche auch über Winter. Und in Visby, dem Hauptort Gotlands, gab es bald ein eigenes deutsches Viertel mit einer eigenen Kirche für die Genossenschaft der lübischen Gotlandfahrer. Visby war also die Spinne im Netz des Ostseehandels.
Aber Lübeck wuchs ebenso zu einem Knotenpunkt von See- und Landwegen heran. Zwei Spinnen in einem Netz? Wie lange würde das gut gehen? Zunächst war Visby die eigentliche Schutzmacht der deutschen Händler, nahm sie in ihrer Niederlassung in Nowgorod auf, gründete dann gemeinsam mit ihnen den Peterhof dort, das spätere Kontor der Hanse. Visby war zur Großstadt geworden, schloß ein Bündnis mit Lübeck, gehörte dann auch zur Hanse. Viele lübische Kaufleute blieben ganz auf der Insel, wurden Bürger Visbys. Doch um die Verwaltung des Peterhofs gab es Streit zwischen den beiden Städten, und irgendwann war es Lübeck, das die Nase vorn hatte. Irgendwann hat eine Spinne die andere gefressen.
Es waren also lange Jahrzehnte die Genossenschaften der Kaufleute, die mit den einheimischen Größen verhandeln mussten. Und es gab viel zu bereden: Welche Rechte hatten sie als Ausländer in der Fremde, von welchen Abgaben und Zöllen wollten sie sich freikaufen, wie sah es mit der Selbstverwaltung in ihren Niederlassungen aus, welches Gericht war zuständig bei Streitigkeiten über Waren und Preise – oder bei Mord und Totschlag? Was ist mit Schiff und Ladung, wenn beides nach einem Schiffbruch am fremden Strand landete, was mit dem Hab und Gut eines Händlers, der dort fern der Heimat verstarb? Da wanderte manche Mark Silber in die Taschen von Grafen und Königen für ein durch viele Zeugen beglaubigtes Pergament, und doch blieb letztlich immer offen, ob sie sich an die erteilten Privilegien halten würden. Oder sie durchsetzen konnten bei ihren eigenen Leuten.
Nun gut, diese Genossenschaften, organisiert nach ihren Zielen, waren ernstzunehmende Partner, brachten sie doch die Waren ins Land, die dort dringend gebraucht wurden, brachten sie auch Einnahmen und Gewinn für die einheimischen Fürsten, indem sie deren Produkte aufkauften.
Oberstes Ziel aller lübischen und der anderen deutschen Kaufleute jedoch war es, Handelsmonopole zu schaffen, die Konkurrenz auszuschalten und die Preise zu bestimmen. Und notfalls griff man auch mit wenig Skrupel zum letzten Mittel, dem Boykott. In Norwegen hatte diese Politik zu einer landesweiten Hungersnot geführt, als die Weizenlieferungen eingestellt wurden, bis der König einlenken mußte.
Aber Ziel mußte auch sein, die Handelswege zu sichern, ob auf See oder auf den Straßen – vor Wegelagerern ebenso wie vor den vielen Zöllnern, die die Händler unterwegs gerne abkassierten im Auftrag aller möglichen Herren. Da waren die Hansischen dann gerne für einen freien Handel. Kommt irgendwie bekannt vor, nicht wahr?
Nach und nach häuften sich die Genossenschaften in der Stadt. Neben die Gotlandfahrer traten die Schonenfahrer, die Bergen- und Nowgorodfahrer, die Stockholmfahrer; und dann auch die Kaufleute, die über die Nordsee nach Brügge segelten, um von dort mit den Engländern zu handeln, den Hauptproduzenten von Schafwolle. Überall gab es Niederlassungen, eigene Wohnquartiere und damit auch Ältermänner, die vor Ort verhandelten, aber auch für Ordnung sorgten. Und viele dieser Zusammenschlüsse führten sogar ein eigenes Siegel, waren sozusagen 'staatlich anerkannte' Vertragspartner.
10. Lübeck und die Hanse der Städte
Nein, Lübeck hat die Hanse nicht gegründet. Es gab überhaupt keine Gründung, es gab weder Satzung noch Beitrittsurkunden. Und entstanden ist das, was wir 'Hanse' nennen, auch gar nicht an der Ostsee, sondern – am schönen Rhein. Genauer: in Köln. Könnte man jedenfalls so sehen.
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