Eckhard Lange - Feuerkind

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Ein Haus steht in Flammen, eine Frau kommt darin um. Ihr Kind aber findet man unversehrt im Garten. Doch Flammen, Hitze und Rauch haben tief im Unterbewusstsein des Säuglings die Macht übernommen. Auch wenn seine Adoptiveltern dieses Geheimnis hüten – das Feuer bestimmt fortan sein Leben.
Nein, Nikolai ist kein Feuerteufel. All die kleinen Brände, die ganz in seiner Nähe entstehen – unerklärbar bleiben sie, nie kann er sich danach an etwas erinnern. Als er aber seinen 18. Geburtstag feiern soll, treibt ihn innere Unruhe davon, und wieder brennt es. Dieses Mal aber – endlich! – ruft die Mutter, die tote, aus den Flammen nach ihrem Kind…

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Eckhard Lange

Feuerkind

Eine Erzählung

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Inhaltsverzeichnis Titel Eckhard Lange Feuerkind Eine Erzählung Dieses ebook - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Eckhard Lange Feuerkind Eine Erzählung Dieses ebook wurde erstellt bei

1.

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Impressum neobooks

1.

Es war das einzige Spiel seiner frühen Tage, in diesen langen, einsamen Stunden des Wartens, darauf, daß jemand herauskam und ihm Nahrung gab. Es war das Greifen der winzigen Hände nach dem Nichts, das doch da war, sanft über die Fingerkuppen strich mit zarter Berührung, die er anders nie erfahren durfte, mit einem leichten Wehen, mit diesem kaum hörbaren Sausen vorbeiglitt, anders als die lauten Stimmen der großen Menschen. Und er griff danach, wieder und wieder, griff nach dem Unsichtbaren und doch Fühlbaren, nach dem spürbaren, hörbaren, erfahrbaren Nichts. Es war das Haschen nach dem Wind, wie in dem großen heiligen Buch geschrieben steht.

Und dann, eines Tages, erregend und erschreckend, war da mehr als das sanfte Sausen, das wehende Streicheln, mehr als das Nichts, das sich niemals greifen ließ, sooft er es auch versuchte, und das es doch gab. Plötzlich war da etwas Farbiges: Das Graue, das Schwarze der winzigen Flöckchen, die heranschaukelten, dieses Warme und Dunkle, das sich fangen ließ, das erhascht werden konnte, ja, das ganz von alleine sich niederließ auf den kleinen Händen und sie schwärzlich färbte und das roch und schmeckte nach etwas, was ihm unheimlich erschien und gefährlich und doch zugleich gewaltig, groß und göttlich.

Und da war auch mehr als das stille Wehen: Es war ein Sausen, hitzig und heiß, es war ein Sog, der das Schwarze heranwirbelte, ein Knacken und Knistern, ein Rauschen und Heulen, ein Flackern und Lodern, hörbar, sichtbar, fühlbar. Und auch das erschien ihm bedrohlich und furchterregend und war doch auch strahlend hell, leuchtend, wärmend, und seine Fäuste ballten sich um ein warmes, stürmisches Wehen.

Ja, da war etwas, das man atmen konnte, ein fremder Geruch, der sich auf die Zunge legte und in die Nase eindrang, etwas, das er noch nie gespürt hatte, und es erzählte ihm von Schrecken und von Vernichtung und von Tod, von Glut und Asche, von Schmerzen und Vergehen, und all das verstand er nicht und es war doch da: Dinge, die er vorher nie gekannt hatte, die namenlos waren und namenlos blieben.

All das sank tief hinein in sein Gedächtnis, ohne daß er sich je erinnern konnte, war lange Jahre unauffindbar verborgen und war doch Grund aller Erfahrung. So wartete es darauf, wieder entdeckt zu werden, aufzutauchen aus der Tiefe, seinen Platz einzunehmen im Leben, wie er ihm gebührte: den Platz der erstgeborenen Erinnerung. Es war nur wie Haschen nach Wind und doch mehr, unendlich viel mehr.

Man wähnte ihn bei seiner Mutter und seinen Geschwistern, die nun verborgen unter verrußten Balken und gestürzten Mauern lagen, die man erst viel später würde hervorholen können, unerkennbar geworden, verbrannt und verkohlt. Erst als er dieses Begehren in seinem Leib fühlte, als ihn der Hunger zu lautem Geschrei zwang, entdeckte man den Korb mit dem Säugling, weitab vom Haus, das nun keines mehr war, eingehüllt in Ruß, aber unversehrt, hungrig, aber wohlauf. Staunend trug man ihn zu dem Zelt der Helfer, suchte im Dorf nach einer Frau, deren Brüste noch Vorrat hatten trotz des eigenen Kindes, und er trank in vollen Zügen, hastig und mit geballten Fäusten, erbittert über das lange Warten, trank, obwohl Nase und Gaumen warnten: Du bist hier falsch, nicht an der Brust, die dich zu versorgen hat. Aber die gab es nicht mehr, die war verloren unter Holz und Stein.

So wuchs er dann in einem anderen Hause auf, hatte Eltern, die doch nicht die seinen waren, und niemand erzählte dem Knaben von jenem Haus, das einmal dort gestanden hatte, wo nun Strauchwerk Mauerreste überwucherte, niemand weckte eine Erinnerung in seiner Seele. Barmherziges Schweigen sollte ihm Leid ersparen und schuf doch neues, anderes Leid, dessen er sich nicht bewusst war und das doch da war, in der Tiefe verborgen, nicht greifbar und darum auch nicht heilbar. Wann immer er versuchte, dieses Leid hervorzuzerren aus dem Unsagbaren – es blieb ein Haschen nach Wind.

2.

Er hatte sieben Jahre ein unbeschwertes Leben geführt, so könnte man sagen, weil das Schwere verborgen blieb. Er hatte ein normales Leben geführt, wenn es normal ist, daß jemand spielen und lachen kann , sich streiten und weinen und nachts aus Träumen schreiend erwachen, die er stets vergessen hatte, noch während er schrie. Das ist normal, sagte der Arzt, den man zu Rate zog, Kinder müssen verarbeiten, was sie nicht verstehen. Kinder verlieren ihre Angst, wenn sie nächtlich alles noch einmal durchleben dürfen, was ihnen tagsüber Angst bereitet hat. Aber es war nicht die Angst seiner Tage, all die sieben Jahre war es eine einzige Angst, und auch wenn er niemals erfuhr, was ihn denn ängstigte, es war dieses eine, Einzige, Unvergessliche, das er doch vergessen hatte, vergessen mußte.

Niemand hat eine Erinnerung an jene frühen Tage seines Erdenlebens, so sagt man, und doch ist tief vergraben in uns, was damals geschah, ja, was geschah, ehe der erste Schrei neun Monate Traum beendete. Und weil der Leib, der ihn all diese Monate behütet hatte, nun lodernd zu Asche wurde, weil dessen letzter, verzweifelter Schrei ungehört blieb und doch mit der Asche und dem Lodern herübergeweht kam wie die Funken, die in der Luft tanzten und verglühten, war da etwas in dem Kind, das anders war, als die Eltern, die doch nicht die seinen waren, als der Arzt, der so viel wusste und doch so wenig verstand, es je begreifen konnten.

Dann kam der Tag, da bauten sich die Eltern, die nicht die seinen waren, ein neues, schöneres Haus, weit weg von dem zum Urwald gewordenen Garten und den Resten von Mauerwerk. Nie hatte das Kind diese Stätte betreten dürfen, ein hoher Zaun sollte seine wahre Herkunft zum Nichtwissen machen, und stets hatten die Eltern Angst, der Junge würde, von Entdeckerlust getrieben, dieses verbotene Grundstück erforschen, würde Fragen stellen, auf die niemand antworten wollte. Nur eines bedachten sie nicht: Daß es nicht der Ort war, der diesem Kind gefährlich werden konnte, sondern die schwarzen Flöckchen und der hitzige Sog, der Geruch und das Knistern und der lodernde Schein, die etwas anrührten, ohne es doch wecken zu können.

So ließen sie in dem neuen Haus einen Kamin errichten, um der wohligen Wärme willen, um der Ansicht eines gezähmten Feuers willen, das doch in jenem Abgrund des Erinnerns ungezähmt und grausam und dennoch das einzige war, was den Schrei der Mutter dem Kind dort hinterbrachte, was für immer die Verbindung sein sollte zwischen dem Leib der Gebärenden und der Seele des Geborenen, eine nie durchschnittene Nabelschnur mitten im Haschen nach Wind.

Dabei war alles wohldurchdacht: Nie blieb die Glut ohne Aufsicht zurück, und wenn beim Knacken des Scheits ein Funke sich löste, war genügend Raum vor der Feuerstelle, metallen und unbrennbar, und auch der andere Boden blieb marmorn und teppichlos. Erst weit entfernt lag brennbares Gewebe, viel zu weit, als daß je ein Funke bis dorthin gelangen konnte, und wenn, dann war er lange schon verglüht. Niemand achtete darauf, wie ein Zittern das Kind überfiel, als man zum ersten Mal feierlich die Flamme an das Holz hielt, niemand bemerkte, wie das leise Knistern Erinnerung ohne Erinnern weckte. Und niemand vermochte es zu deuten, daß seit langem wieder ein Schrei einen Traum in der folgenden Nacht begrub.

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