In dieser Jahreszeit, nämlich zu Anfang April, dem Monat, der dem October unserer nördlichen Erdhälfte entspricht, d.h. also gegen Anfang des Herbstes, fehlte es ihnen noch nicht an Belaubung. Vorzüglich erkannte man Kasuarbäume und Eukalypten, deren einige im Frühlinge ein dem orientalischen ganz gleichkommendes Manna liefern mußten. In den Lichtungen erhoben sich wohl auch australische Cedern, bedeckt mit jener Moosart, die man in Neu-Holland »Tussac« nennt. Die Kokospalme dagegen, welche sich auf den Pacifischen Archipelen so reichlich vorfindet, schien der wahrscheinlich unter zu hohem Breitengrade liegenden Insel gänzlich abzugehen.
»Wie schade! rief Harbert, ein so nützlicher Baum mit so schönen Nüssen!«
Vögel gab es in den wenig dichten Zweigen der Kasuarbäume und Eukalypten, welche den Flügelschlag jener nicht behinderten, in großer Menge. Schwarze, weiße und graue Kakadus, Papageien und Sittige in allen denkbaren Farben, »Könige« in prächtiges Grün und leuchtendes Roth gekleidet, blaue Loris und »Blue-mountains« erschienen farbenschillernd, als sähe man sie durch ein Prisma, und flogen mit ohrenzerreißendem Geschwätz umher.
Plötzlich erscholl aus einem Dickicht heraus ein Lärmen von den verschiedensten Stimmen. Nacheinander unterschieden die Colonisten den Gesang von Vögeln, den Schrei eines vierfüßigen Thieres und halbarticulirte Laute, welche von einem Eingeborenen herzurühren schienen. Nab und Harbert eilten, die einfachsten Regeln der Klugheit bei Seite setzend, auf das Gebüsch zu. Glücklicher Weise barg dieses weder ein furchtbares Raubthier, noch einen gefährlichen Eingeborenen, sondern ganz einfach ein halbes Dutzend Spott- und Singvögel, welche man als »Bergfasane« erkannte. Einige geschickt geführte Stockschläge machten dem Concerte bald ein Ende und lieferten einen ausgezeichneten Braten für das Abendbrod.
Harbert richtete die Aufmerksamkeit der Wanderer auch auf eine Art prächtiger Tauben mit metallglänzenden Flügeln, unter denen die Einen einen stolzen Kamm auf dem Kopfe trugen, die Anderen von schönem, grünem Gefieder waren, so wie ihre Verwandten von Port-Maquarie. Diesen gelang es aber ebenso wenig beizukommen, wie vielen Raben und Elstern, welche in ganzen Zügen entflohen. Eine Schrotladung hätte wohl hingereicht, ganze Hekatomben zu fällen, für jetzt blieben die Jäger noch als Schußwaffen auf Steine, als Seitengewehre auf Stöcke beschränkt, eine primitive Jagdausrüstung, welche selbstverständlich viel zu wünschen übrig ließ.
Das Unzureichende ihrer Waffen trat aber noch augenscheinlicher zu Tage, als eine hüpfende, springende Gruppe Vierfüßler, die wohl bis auf dreißig Fuß Höhe emporschnellten und fliegenden Säugethieren zu vergleichen waren, über die Gebüsche weg dahinflogen und zwar so schnell und in einer solchen Höhe, daß man eher Eichhörnchen zu sehen glaubte, welche sich von einem Baume zum anderen schwangen.
»Das sind Kängurus! rief Harbert.
– Eßbare Geschöpfe? fragte der Seemann.
– O, gedämpft ersetzen sie den saftigsten Wildbraten!« ... belehrte ihn der Reporter.
Gedeon Spilett hatte diese verheißungsvollen Worte noch nicht beendet, als schon der Seemann, Nab und Harbert den Kängurus nacheilten. Cyrus Smith rief sie zurück, – vergeblich. Ebenso vergeblich mußte aber auch die Verfolgung dieses flüchtigen Wildes, das die Elasticität eines Gummiballs zu haben schien, ausfallen. Nach einer Hetzjagd von fünf Minuten ging den Jägern der Athem aus, während die Thiere im Gehölz verschwanden. Top's Erfolg übertraf den seiner Herren ebenso wenig.
»Mr. Cyrus, sagte Pencroff, als der Ingenieur und der Reporter sie eingeholt hatten, Sie sehen, Mr. Cyrus, daß wir uns unbedingt Gewehre verschaffen müssen. Wird das wohl möglich sein?
– Vielleicht, erwiderte der Ingenieur, zunächst werden wir uns aber Bogen und Pfeile herstellen, und ich zweifle gar nicht, daß Sie mit diesen ebenso geschickt umzugehen lernen werden, wie die Jäger Australiens.
– Pfeil und Bogen! sagte Pencroff mit einem verächtlichen Zuge um die Lippen, das ist etwas für Kinder!
– Spielen Sie nicht den Stolzen, Freund Pencroff, entgegnete der Reporter. Bogen und Pfeile haben Jahrhunderte lang hingereicht, die Erde mit Blut zu düngen. Das Pulver stammt erst von gestern; der Krieg aber ist, leider! ebenso alt, als das Geschlecht der Menschen.
– Meiner Treu, das ist wohl wahr, Mr. Spilett, antwortete der Seemann, meine Zunge ist häufig etwas zu schnell ... müssen mich entschuldigen!«
Inzwischen verbreitete sich Harbert, als Liebhaber der Naturwissenschaften, noch einmal über die Kängurus und sagte:
»Wir hatten es hierbei auch mit der am schwierigsten zu fangenden Gattung zu thun. Das waren Riesenexemplare mit langen, grauen Haaren; wenn ich mich aber nicht täusche, so giebt es auch schwarze und rothe, Felsenkängurus und Kängururatten, deren man sich mit Leichtigkeit bemächtigen kann. Man zählt wohl ein Dutzend Arten ...
– Für mich, lieber Harbert, unterbrach ihn ganz ernsthaft der Seemann, giebt es nur eine einzige Art, das ›Bratspieß-Känguru‹, und diese wird uns heute Abend fehlen.«
Alle belachten die neue Classification des Meister Pencroff. Der brave Seemann verhehlte schon sein Bedauern nicht, beim Nachtmahl nur auf die Bergfasane angewiesen zu sein, noch einmal aber sollte Fortuna sich ihm gefällig zeigen.
Top nämlich, der sich bei dieser Angelegenheit interessirt fühlen mochte, suchte mit einem durch den Hunger verdoppelten Spürsinn umher. Es stand sogar zu befürchten, daß er, im Fall ihm ein Stück Wild unter die Zähne kam, den Anderen nichts davon übrig lassen, also mehr auf eigene Rechnung jagen würde. Nab behielt ihn aber im Auge und that wirklich sehr wohl daran.
Gegen drei Uhr verschwand der Hund einmal im Gebüsch, aus welchem eigenthümliche Laute es verriethen, daß er irgend ein Thier gepackt haben möchte.
Nab lief ihm schnell nach und fand Top, wie dieser begierig ein erlegtes Thier verzehrte, das man zehn Secunden später in seinem Magen schwerlich wieder erkannt hätte. Glücklicher Weise hatte der Hund aber ein ganzes Nest überfallen und einen dreifachen Fang gethan, zwei weitere Nager – zu dieser Familie gehörten die Thiere nämlich – lagen erwürgt auf dem Boden.
Triumphirend kehrte Nab zurück, in jeder Hand ein Stück Wild empor haltend, dessen Größe die eines Hafen ein wenig übertraf. Das gelbliche Fell erschien grünlich gefleckt und der Schwanz nur als Rudiment entwickelt.
Bürger der Vereinigten Staaten konnten über den Namen der fraglichen Nagethiere nicht in Zweifel sein. Es waren »Maras«, eine Art Agutis (patagonische Hafen), etwas größer als ihre Verwandten in der Tropenzone, mit langen Ohren und fünf Backzähnen auf jeder Seite der Kiefern, wodurch sie sich von den eigentlichen Agutis bestimmt unterscheiden.
»Hurrah! rief Pencroff, der Braten ist da, nun können wir nach Hause zurückkehren!«
Der einen Augenblick unterbrochene Weg wurde wieder aufgenommen.
Der Rothe Fluß rollte seine klaren Gewässer unter der Decke von Kasuarbäumen, Banksias und enormen Gummibäumen dahin. Prächtige Liliaceen ragten bis auf zwanzig Fuß hoch auf. Daneben neigten sich noch weitere dem jungen Naturkundigen unbekannte Baumarten über das Wasser, das man unter jenem Laubgange murmeln hörte.
Inzwischen verbreiterte sich der Fluß bemerkbar, woraus Cyrus Smith schloß, daß seine Mündung bald erreicht sein müsse. Wirklich zeigte sie sich auch ganz plötzlich, als man aus einem grünen Baumdickicht heraustrat.
Die Wanderer hatten das westliche Ufer des Grants-Sees erreicht. Seine Umgebung verdiente wohl betrachtet zu werden. Die Wasserfläche mit einem Umfange von etwa sieben Meilen und einer Oberfläche von wenigstens 250 Ackern3 ruhte gleichsam in einem Kranze verschiedener Bäume.
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