– Die Kamine zum Beispiel, warf Harbert ein.
– Richtig! erwiderte Pencroff. Schon dieser Name machte den Aufenthalt wohnlicher, und auf den bin ich ganz allein gekommen. Werden wir den Namen ›Kamine‹ beibehalten, Mr. Cyrus?
– Da Sie unsere erste Wohnung so getauft haben, ja!
– Schön! Was die anderen Namen betrifft, so werden wir mit ihrer Auswahl leicht fertig werden, fuhr der Seemann fort, der nun einmal im Zuge war. Wir verfahren wie die Robinsons, deren Geschichte mir Harbert früher vorgelesen hat, und taufen z.B. die ›Bai der Vorsehung‹, die ›Pottfischspitze‹, das ›Cap der getäuschten Hoffnung‹! ...
– Oder wir verwenden vielmehr die Namen der Mr. Smith, Spilett, Nab's ...
– Meinen Namen! rief Nab und zeigte seine glänzend weiße Zahnreihe.
– Warum nicht? erwiderte Pencroff, der ›Nabs-Hafen‹ und das ›Gedeons-Cap‹ müßten sich recht gut ausnehmen.
– Ich würde Bezeichnungen aus unserer Heimat vorziehen, meinte der Reporter, die uns immer an Amerika erinnern.
– Ja wohl, stimmte ihm Cyrus Smith bei, wenigstens für die Hauptsachen, wie für die Baien und Meerestheile. Laßt uns jener großen Bai im Osten den Namen der ›Unions-Bai‹, und dieser im Westen den der ›Washington-Bai‹ geben. Der Berg, auf dem wir stehen, heiße der ›Franklin-Berg‹ und der See da unten ›Grants-See‹. Wißt Ihr etwas Besseres? Immer werden uns diese Namen an unser Vaterland und die großen Bürger desselben, die es zieren, erinnern. Für die Flüsse, Golfe, Caps und Vorgebirge aber, welche wir von hier aus überblicken, wählen wir Bezeichnungen, wie sie ihre Gestaltung uns an die Hand giebt. Diese werden sich uns leichter einprägen und gleich zeitig praktischer sein. Die Form der ganzen Insel würde uns die Aufsuchung eines geeigneten Namens wohl sehr erschweren; den uns noch unbekannten Wasserlauf aber, die verschiedenen Theile des Waldes, den wir später durchforschen werden, die kleinen Einschnitte am Ufer, die sich uns zeigen mögen, taufen wir nach ihrem äußeren Ansehen. Was meint Ihr, meine Freunde?«
Der Vorschlag des Ingenieurs fand eine einstimmige Billigung. Vor ihnen lag die Insel wie eine aufgerollte Karte, und es sollte nun jedem ein- und ausspringenden Winkel, jeder namhafteren Bodenerhöhung auf derselben eine Bezeichnung gegeben werden. Gleichzeitig wollte Gedeon Spilett diese Namen auf seinen Plan einschreiben, um die geographische Nomenclatur der Insel endgiltig festzustellen.
Zunächst taufte man also mit dem Namen der Union, Washingtons und Franklin's die beiden Baien und den Hauptberg, entsprechend dem Vorschlage des Ingenieurs.
»Die Halbinsel, welche vom Südwesten der Insel ausläuft, sagte der Reporter, würde ich die ›Schlangen-Halbinsel‹ nennen, und den umgebogenen Schwanz an ihrem Ende das ›Reptil-End‹, welche Bezeichnung mir seine Gestalt zu treffen scheint.
– Angenommen, erklärte der Ingenieur.
– Das andere Ende der Insel nun, sagte Harbert, den Golf, der einem geöffneten Rachen so auffallend ähnelt, nennen wir ›Haifisch-Golf‹.
– Gut erfunden! rief Pencroff. Dann vervollständigen wir das Bild und nennen das Cap daran das ›Kiefer-Cap‹.
– Deren giebt es aber zwei, warf der Reporter ein.
– Das ist sehr einfach, erklärte Pencroff, so nennen wir das eine ›Oberkiefer-‹, das andere ›Unterkiefer-Cap‹.
– Sie sind eingetragen, meldete der Reporter.
– Nun wäre noch die äußerste Spitze im Südosten der Insel zu taufen, sagte Pencroff.
– Das heißt, den Ausläufer der Unions-Bai? fragte Harbert.
– ›Krallen-Cap‹«, rief Nab, der doch auch Pathenstelle bei einem Stückchen ihres Gebietes vertreten wollte.
In der That hatte Nab damit eine ganz treffende Bezeichnung gefunden, denn jenes Cap ähnelte sehr auffallend der ungeheuren Tatze eines phantastischen Thieres, welches die ganze Insel vorstellte.
Pencroff war entzückt darüber, wie glatt sich das ganze Tausgeschäft abwickelte, und bald einigte man sich auch über die weiteren Benennungen.
Den Fluß, welcher den Colonisten Trinkwasser lieferte und in dessen Nachbarschaft die Ballonruine sie geworfen hatte, nannte man die »Mercy«, aus Dank gegen die Vorsehung; das Eiland, auf welchem die Schiffbrüchigen zuerst Fuß faßten, die »Insel des Heils«.
Das Plateau, welches die hohe Granitmauer über den Kaminen krönte, erhielt den Namen der »Freien Umschau«; die undurchdringlichen Wälder endlich, welche die Schlangenhalbinsel bedeckten, den der »Wälder des fernen Westens«.
Hiermit erschien die Namengebung der sichtbaren und bekannten Punkte der Insel beendigt und sollte erst bei Gelegenheit weiterer Erfahrungen und Entdeckungen vervollständigt werden.
Die Lage der Insel bezüglich der Himmelsrichtungen hatte der Ingenieur durch die Stellung der Sonne annähernd bestimmt, wonach die Unions-Bai und die freie Umschau die Ostseite einnahmen. Am nächsten Tage erst beobachtete er die Zeit des Sonnenauf- und -Unterganges genauer und bestimmte darnach, als er die Richtung der Mittagslinie feststellte, den Nordpunkt der Insel, denn man wolle nicht vergessen, daß die Sonne über der südlichen Halbkugel der Erde zur Zeit ihrer Culmination genau im Norden steht, während auf der nördlichen Halbkugel bekanntlich das Gegentheil der Fall ist.
Alles war also abgemacht und die Colonisten hatten nur nöthig, den Franklin-Berg hinabzusteigen und nach den Kaminen zurückzukehren, als Pencroff aus rief:
»O, wir sind doch recht auf den Kopf gefallen!
– Und warum? fragte Gedeon Spilett, der schon das Notizbuch geschlossen und sich zum Aufbruch fertig gemacht hatte.
– Nun, unsere Insel selbst erhält wohl gar keinen Namen?«
Harbert schlug vor, ihr den des Ingenieurs zu geben, was unzweifelhaft den Beifall der Uebrigen gefunden hätte, als Cyrus Smith im Voraus ablehnend sagte:
»Nein, taufen wir sie nach einem unserer großen Mitbürger, meine Freunde, auf den Namen desjenigen, der jetzt für die Untheilbarkeit der Freistaaten Amerikas kämpft, – nennen wir sie die ›Insel Lincoln‹!«
Drei Hurrahs antworteten dem Vorschlage des Ingenieurs.
Wie plauderten die neuen Colonisten an diesem Abend von ihrem entfernten Vaterlande; sie sprachen von dem schrecklichen Kriege, der die heimische Erde mit Blute düngte; sie bezweifelten auch keinen Augenblick, daß der Süden unterliegen, daß die Sache des Nordens, die Fahne der Gerechtigkeit, Dank Grant und Lincoln, bald siegen müsse!
Es war das am 30. März 1865. – Jene ahnten es nicht, daß sechzehn Tage nachher in Washington ein grauenvolles Verbrechen begangen werden, daß am Charfreitag Abraham Lincoln dem tödtlichen Blei eines Fanatikers erliegen sollte!
--
Zwölftes Capitel
Regulirung der Uhren. – Pencroff ist befriedigt. – Ein verdächtiger Rauch. – Der Lauf des Rothen Flusses. – Die Flora der Insel Lincoln. – Die Fauna. – Die Bergfasane. – Verfolgung von Kängurus. – Die Agutis. – Grants-See. – Rückkehr nach den Kaminen.
Noch einmal ließen die Colonisten der Insel Lincoln die Blicke umherschweifen, schritten einmal rings um die Krateröffnung und waren eine halbe Stunde später auf dem ersten Absatze an ihrer Lagerstätte zurück.
Pencroff meinte, daß es Zeit sei, zu frühstücken, und bei dieser Gelegenheit kam auch die Regulirung der Uhren Cyrus Smith's und des Reporters zur Sprache.
Bekanntlich war diejenige Gedeon Spilett's vom Meere verschont geblieben, da der Reporter außerhalb des Bereichs der Wellen auf den Sand geworfen wurde. Niemals hatte derselbe übrigens das ausgezeichnete Werk, einen wirklichen Taschenchronometer, sorgsam aufzuziehen vergessen.
Cyrus Smith's Uhr mußte offenbar während der Zeit, die er in den Dünen liegend zubrachte, stehen geblieben sein.
Читать дальше