Bei Beendigung dieser Arbeiten, am 9. April, standen dem Ingenieur nun schon eine gehörige Menge völlig fertigen Maurerkalkes und einige Tausend gebrannte Ziegel zur Verfügung.
Man schritt demnach unverzüglich zum Bau eines passenden Brennofens, um das nöthige Küchengeschirr für den Hausbedarf herzustellen, was ohne zu große Schwierigkeit gelang. Fünf Tage später wurde der Ofen mit Steinkohle beschickt, von der der Ingenieur nahe dem Rothen Flusse ein zu Tage tretendes Lager entdeckt hatte, und zum ersten Male wirbelte der Rauch aus einem etwa zwanzig Fuß hohen Schornsteine empor. Die Waldblöße ward zur Werkstatt, und Pencroff nährte den heimlichen Glauben, daß der Ofen hier bald alle Erzeugnisse der modernen Industrie liefern werde.
Die ersten Artikel der Colonisten bestanden nun freilich blos in gewöhnlicher Töpferwaare, welche indeß zum Kochen der Speisen vollkommen ausreichte. Das Material dazu entnahm man dem Thonboden, und ließ Cyrus Smith demselben noch etwas Kalk und Quarzkörner beimengen. Der teigige Thon stellte eine wirkliche »Pfeifenerde« dar, aus der man Töpfe, über geeigneten Steinen geformte Tassen, Teller, größere Krüge, Wasserbehälter u.s.w. erzeugte. Die Form dieser Gegenstände ließ freilich zu wünschen übrig, nachdem sie jedoch bei hohen Hitzegraden gebrannt waren, zählte die Küche der Kamine eine Reihe Geräthschaften, die unter den gegebenen Verhältnissen ebenso kostbar waren, als hätte man zu ihrer Herstellung die feinste Porzellanerde verwendet.
Es verdient erwähnt zu werden, daß Pencroff, begierig zu wissen, ob jene Pfeifenerde ihren Namen in der That verdiene, sich einige ziemlich plumpe Pfeifen zurecht machte, die er zwar ganz ausgezeichnet fand, zu denen ihm aber leider der Tabak fehlte, – für Pencroff, den leidenschaftlichen Raucher, eine bittere Entbehrung.
»Tabak wird sich schon noch finden, so gut, wie alles Uebrige!« tröstete er sich bei seiner grenzenlosen Vertrauensseligkeit.
Diese Arbeiten dauerten bis zum 15. April, und bedarf es wohl keiner besonderen Versicherung, daß die Zeit dabei gut ausgenutzt wurde. Die Colonisten, einmal zu Töpfern geworden, beschäftigten sich ausschließlich mit der Anfertigung von Töpfergeschirr. Wenn es Cyrus Smith gefiel, aus ihnen Schmiede zu machen, so würden sie auch solche werden. Da der folgende Tag aber Sonntag, und noch dazu Ostersonntag war, so beschloß man, denselben der Ruhe und Erholung zu weihen. Diese Amerikaner sind sehr religiöse Menschen und beobachten mit peinlicher Genauigkeit die Vorschriften der Bibel; die Lage, in der sie sich befanden, konnte aber ihr Gefühl des Vertrauens zu dem Schöpfer aller Dinge nur verdoppeln.
Am Abend des 15. April kehrte man also nach den Kaminen zurück. Die letzten Topfwaaren wurden mitgenommen und der Brennofen verlosch in Erwartung seiner neuen Bestimmung. Auf dem Rückwege gelang dem Ingenieur noch die glückliche Entdeckung einer Substanz, welche den Feuerschwamm ersetzen konnte. Bekanntlich stammt diese sammtweiche Masse von einem gewissen Champignon aus der Gattung der Polyporen her. Vorzüglich, wenn sie in einer Lösung von salpetersaurem Natron abgekocht wird, erlangt dieselbe einen hohen Grad von Entzündbarkeit. Bis dahin hatte man freilich noch keine zu den Polyporen gehörige Pflanze, noch auch eine Morchelart gefunden, welche wohl an deren Stelle treten könnte. Heute entdeckte der Ingenieur ein zum Geschlechte des Wermuths gehörendes Gewächs, welches als Hauptarten den Absynth, die Melisse, den Kaisersalat u.a. enthält. Von diesem riß er einige Büschel ab und zeigte sie dem Seemanne.
»Hier, Pencroff, ist Etwas, das Ihnen Freude machen wird.«
Aufmerksam betrachtete der Angeredete die Pflanze, welche lange, seidenartige Haare und mit wolligem Flaum bedeckte Blätter hatte.
»Was ist das, Mr. Cyrus? fragte Pencroff. Herr Gott! Doch nicht etwa Tabak?
– Nein, entgegnete Cyrus Smith, das ist eine Wermuthart, für die Gelehrten chinesischer Wermuth, für uns Zündschwamm.«
Wirklich zeigte sich diese Substanz in sehr gut getrocknetem Zustande recht leicht entzündlich, vorzüglich als sie der Ingenieur später mit einer Lösung von salpetersaurem Natron, d.h. dem gewöhnlichen Salpeter, den die Insel in mehreren Lagern darbot, imprägnirt hatte.
An diesem Abend speisten die in dem Mittelraum versammelten Colonisten recht mit Behagen. Nab hatte Agutifleisch gekocht und eine Suppe der bereitet, Cabiaischinken aufgeschnitten und einige Knollen von »Caladium makrorhizum« abgesotten. Letztere Pflanze zählt zu den Araceen und wächst in der Tropenzone baumartig. Ihre Wurzelknollen sind von ausgezeichnetem Geschmack, sehr nahrhaft und der Substanz sehr ähnlich, welche in England unter Namen »Portlandsago« verkauft wird. In gewisser Hinsicht kann sie wohl das Brod ersetzen, welches den Colonisten der Insel Lincoln noch abging.
Nach Beendigung des Abendessens gingen Cyrus Smith und seine Genossen noch ein wenig am Strande spazieren. Es war um acht Uhr und die Nacht versprach schön zu werden. Noch schien der Mond nicht, der fünf Tage vorher voll gewesen, doch färbte sich der Horizont schon mit jenem sanften Silberlichte, welches man die Mondmorgenröthe nennen könnte. Am südlichen Himmel erglänzten die circumpolaren Sternbilder, vor allen das Südliche Kreuz, welches der Ingenieur einige Tage vorher vom Franklin-Berge aus begrüßt hatte.
Eine Zeit lang beobachtete Cyrus Smith das glanzvolle Sternbild, das an seinem oberen und unteren Theile zwei Sterne erster, zur Linken einen zweiter und zur Rechten einen Stern dritter Größe hat.
Nach einigem Besinnen begann er:
»Haben wir heute nicht den 15. April, Harbert?
– Ja, Mr. Cyrus, erwiderte dieser.
– Nun, wenn ich nicht irre, ist dann morgen einer der vier Tage im Jahre, an welchem die wahre Zeit mit der mittleren bürgerlichen Zeit zusammenfällt, d.h. daß die Sonne morgen bis auf einige Secunden genau zu der Zeit durch den Meridian geht, zu welcher richtig gehende Uhren Mittag zeigen. Sollte also schönes Wetter sein, so gedenke ich morgen den Längengrad, unter dem wir uns befinden, so gut als möglich festzustellen.
– Ohne Instrumente, ohne Sextanten? fragte Gedeon Spilett.
– Ja, antwortete der Ingenieur. Da die Nacht klar ist, so möchte ich auch gleich heute versuchen, unsere Breitenlage durch Berechnung der Horizonthöhe des Südlichen Kreuzes, d.h. des Südpoles zu erfahren. Sie begreifen, meine Freunde, daß es, um sich auf weiter gehende Einrichtungen einlassen zu sollen, nicht genügt, zu wissen, daß dieses Land eine Insel ist; wir müssen uns auch darüber klar zu werden suchen, in welcher Entfernung entweder vom Festlande Amerikas, Australiens, oder auch von einem größeren Archipel des Pacifischen Oceans diese liegt.
– Gewiß, meinte der Reporter, denn statt eines Hauses könnte es sich uns empfehlen, ein Schiff zu bauen, wenn wir zufällig nur etwa hundert Meilen bis zu einer bewohnten Küste hätten.
– Eden deshalb, fuhr Cyrus Smith fort, will ich heute Abend die Breite der Insel Lincoln und morgen Mittag deren Länge zu erfahren versuchen.«
Hätte der Ingenieur einen Sextanten besessen, ein Instrument, das die Winkeldistanz zweier Spiegelbilder mit großer Genauigkeit zu messen gestattet, so wäre dieses Vorhaben leicht genug ausführbar gewesen. An diesem Abend hätte er durch die Polhöhe, am nächsten Tage durch die Beobachtung des Meridiandurchganges der Sonne die Coordinaten der Insel erhalten. In Ermangelung eines Instrumentes mußte er sich eben zu helfen suchen.
Cyrus Smith ging nach den Kaminen zurück. Dort schnitzte er beim Scheine des Herdfeuers zwei kleine flache Lineale, die er an ihren Enden in der Weise mit einander verband, daß sie eine Art hölzernen Zirkel darstellten, dessen Schenkel geöffnet und geschlossen werden konnten. Die Achse desselben bildete ein kräftiger Akaziendorn, den man an dem vorräthigen dürren Holze fand.
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