Bevor sie antworten konnte, erweckte ein unangenehmes Geräusch ihre Aufmerksamkeit. Vito hing mit dem Kopf über der Reeling und kotzte das leckere Frühstück aus.
Der stärkste Mann an Bord war der Erste, der umfiel. Er war Käseweiß, und würgte noch, obwohl sein Magen den Inhalt längst ausgeworfen hatte.
„Ich gehe nach unten“, stammelte er, mit Leidensmiene und torkelte Richtung Unterdeck.
Tief Luft holend rief sie ihm nach: „Lieber nicht Vito, da wird es nicht besser sein. Sie bleibe an der frischen Luft!“
Tatsächlich hatte sie zwar ein flaues Gefühl in der Magengegend, aber durch tiefes Luftholen und mehr Wasser trinken konnte sie sich gegen den Brechreiz wehren.
Ein paar Männer der anderen Passagiere taten es ihr gleich, sie blieben auch an der frischen Luft.
Nach einer Weile bekam sie ein schlechtes Gewissen weil sie sich nicht um Vito gekümmert hatte. Um zu sehen wie es ihrem Lebensgefährten ging, folgte sie ihm dann doch zögernd unter Deck.
Schon am Eingang zu der Kombüse kam ihr der Essensduft entgegen, dort wurde das Mittagessen vorbereitet. Es roch nach gebratenem Fisch.
Kaum hatte sie den Geruch inhaliert, als ihr Magen eine rasante Umdrehung machte. Sofort drehte sie sich am Eingang um, und spurtete im Schnellverfahren wieder auf Deck. Sie erreichte gerade noch rechtzeitig die Reling.
Ihr flüssiger Mageninhalt suchte die Freiheit.
Nach Sizilienfahrt Hüh oder Hott
Das Casino lief sehr gut, sodass sie bereits zwei Monate später wieder eine kurze Reise machen konnten. Weil Vitos Haus auf Sizilien im Roh-Bau war, und mit der Baufirma Unstimmigkeiten aufgetreten waren, musste er dort nach dem Rechten sehen, sodass sie eine Fahrt zu Vitos Heimatstadt antraten. Da auch zwei seiner Brüder mitfahren wollten, war auf der langen Fahrt ein Fahrerwechsel möglich.
Sie hatten beschlossen einen Leihwagen zu nehmen, den Ute mieten musste, weil Vito, mangels Führerschein, das Fahrzeug nicht mieten konnte.
Die Fahrt war ein Desaster, weil ein Bruder immer meckerte, wenn sie um Pinkelpause ersuchte. Er fand ihre „Pisserei“ lästig und unnormal. Sie wehrte sich erfolgreich gegen eine derartige Einschränkung.
Nach Zweiunddreißig Stunden erreichten sie endlich das Ziel. Und am Ziel schimpfte der Mecker-Bruder, dass man mindestens sechs Stunden früher hätte da sein können, wenn ihre Pinkelpausen nicht gewesen wären. Endlich griff Vito ein und maßregelte den jüngeren Bruder deswegen, damit brachte Vito ihn endlich zum Schweigen. Im Stillen dachte Ute daran, dass Vito seine Beschützerrolle innerhalb seiner Familie erst sehr spät wahr nahm. Das war mal anders gewesen.
Während des Viertägigen Aufenthaltes wollte Vito die Zeit nutzen um bei Ute Fahrunterricht zu nehmen, denn in seiner Heimat war das ungefährlich. Ihre Einwilligung bereute Ute sehr schnell, denn Vito war ein sehr nervöser, und völlig unbegabter Fahr-Schüler. Es erforderte wirklich starke Nerven, einem Schüler Autofahren beizubringen, der schon zwei Fahrprüfungen vermasselt hatte.
Auf der Heimfahrt durfte Vito aber nicht ans Steuer, darüber waren die drei Führerschein-Inhaber sich einig. Nach einer heftigen Diskussion auf Italienisch musste Vito einsehen, dass er noch nicht genügend Fahrpraxis hatte. Vito maulte zwar, fügte sich aber.
Die Männer hatten einen Zwischenstopp in Rom geplant, weil Vitos Lieblings- Fußball-Verein „Inter Mailand“ dort am nächsten Tag gegen „AC-Rom“ spielte. Da die Vier erst um Mitternacht dort ankamen, und die Brüder sich in Rom auch nicht auskannten, fuhren sie kreuz und quer durch die Stadt, auf der Suche nach einem günstigen Hotel.
Einer zivilen Polizeistreife war die Rumfahrerei aufgefallen, weil sie mehrmals im Kreis gefahren waren. Plötzlich überholte sie ein dunkler Wagen und die Kelle mit dem roten Stopp-Signal befahl ihnen zu halten.
Ute verstand zwar das Wort „Policia“ aber sonst nichts, von der hektischen Diskussion. Der jüngste Bruder, der am Steuer saß, versuchte den Zivil-Polizisten das Verhalten zu erklären. Dennoch mussten alle aussteigen.
Als die Beamten Vito, sahen, richteten beide Polizisten ihre Pistolen auf Vito und befahlen ihm sich breitbeinig an eine Hauswand zu stellen. Die beiden Brüder und Ute blieben unbeachtet. Nachdem die Beamten Vito abgetastet, und gründlich durchsucht hatten, durften alle wieder einsteigen. Dann loste die Polizei die Vier zu einem einfachen Hotel.
Der Schreck saß ihr noch lange in den Gliedern darüber, dass die Polizei ihren Lebensgefährten wie einen Verbrecher behandelt hatte, aber die beiden Brüder unbeachtet gelassen hatten. Warum war ihr zu der Zeit noch nicht klar.
Das Fußball-Spiel am nächsten Nachmittag war ein besonderes Erlebnis für Ute, obwohl sie sich nie für diesen Sport interessiert hatte. Aber für die Italiener war dieser Sport heilig. Es wunderte Ute sehr, dass an einem normalen Sonntag-Nachmittag das Stadion, mit einem Fassungsvermögen von Achtzigtausend, bis zum letzten Platz ausverkauft war. Deshalb musste Vito viel Überredungs-Kunst aufbringen, um noch vier Karten zu bekommen, und in letzter Minute rein gelassen zu werden.
Als einzige „Inter-Mailand-Fans“ saßen die Vier dann zwischen den ganzen Römern, die drohend aufsahen, als die Vier bei einem Tor von Inter jubelnd aufsprangen. Zum Glück gewannen die Römer dieses Spiel.
Als sie das Stadion verließen begann es zu regnen. Voller Staunen sah Ute mehrere Regenschirm-Verkäufer am Ausgang stehen, die verschiedene Schirme anboten. Die Schnelligkeit, mit der diese Verkäufer, wie aus dem Boden gewachsen, ihr Geschäft wahr nahmen, fand Ute sehr bewundernswert.
Das Gesamterlebnis: Fußballspiel in Rom blieb ihr unauslöschlich im Gedächtnis.
In dieser Nacht in Rom wurde sie schwanger.
Die Nachricht ihrer Schwangerschaft nahm Vito mit seltsamer Reaktion auf, er fragte, ob sie denn nach so langer Pause ein Kind wolle, schließlich sei ihr jüngstes Kind schon Vierzehn. Sie war so enttäuscht über diese Frage, dass sie sich unschlüssig gab, sodass beide sich nicht gleich darüber im Klaren werden konnten, ob sie das Kind haben wollten.
Weil Vito während der Schwangerschaft sein Hin-und Her beibehielt, überlegte sie bald abzutreiben, denn sie zweifelte inzwischen an einer gemeinsamen Zukunft, weil ihre Vernunft wieder erwachte. Weil es Niemand gab, mit dem sie hätte reden können, der sie hätte beraten können, fühlte sie sich hilflos und verlassen.
Zu allem Überfluss wandte sich sogar ihre Mutter von ihr ab, weil sie das „Kind von so einem Verbrecher“ austragen wollte. Beistand und Trost erhielt sie nur von ihrer damals einzigen Freundin Annette.
Deshalb war die Schwangerschaft eine nervige Zeit für sie, geprägt von Angst vor der Zukunft und Hass auf alles was ihr das Leben schwer machte. Sie hatte keinerlei Halt wurde von Hoffen und Bangen hin und hergerissen. Sie war allein gelassen, nur auf sich gestellt und hatte nur eine Zuhörerin und tröstliche Ratgeberin, ihre Freundin Annette.
Vito wohnte zu der Zeit mal wieder bei seiner Ehefrau, hielt aber heimlich den Kontakt zu Ute aufrecht. Als diese davon Wind bekam klingelte die eines Morgens bei Ute Sturm. Und damit hörte sie nicht auf, bis Ute endlich ans Fenster kam.
„Schick meinen Mann raus, ich weiß dass er bei dir ist. Ihr könnt mich doch nicht verarschen. Wie dumm bist du eigentlich? Glaubst du wirklich, dass es Liebe bei ihm ist? Ha, da lache ich mich ja tot. Der ist doch nur wegen dem Casino bei dir, weil du die Beziehungen hast. Wenn er dich mal nicht mehr braucht ist der sowieso weg. Also schick ihn raus, oder lass mich rein, dann hol ich ihn aus dem Bett. Ich weiß, dass er sich vor mir versteckt, der Feigling.“ Schrie sie so laut, dass es die ganze Nachbarschaft nicht überhören konnte.
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