Igoreth kerkert die von Owain gefangenen Elfen in Einzelzellen ein. Sie tragen silberne Fesseln um Fuß- und Handgelenke. Das verhindert nicht nur, dass sie mittels Magie fliehen, sondern auch, dass sie sich untereinander verständigen können. Aber jeder Versuch, in ihre Gedanken einzudringen, ist dadurch ebenso unmöglich. Die wahre Absicht dieser als Spione eingesetzten Elfen bleibt deshalb dem Hexenmeister und Owain, und somit auch Drakonia, verborgen. Igoreth könnte zwar deren Fesseln lösen, befürchtet jedoch, dass sie das nutzen werden, um sofort zu fliehen.
Er verspottet sie als unfähige Spione, die sich von einem Nichtmagier fangen ließen. Die Elfen waren in der Nacht durch Owain und seine Männer überrascht und in silberne Netze gewickelt worden, wodurch deren Zauberkräfte aufgehoben wurden. Dass der Heerführer ihrer Magie somit nicht hilflos gegenüberstand, lässt der Hexenmeister absichtlich unerwähnt.
Ganz so einfach verlief die Festnahme dann aber doch nicht. Die überraschten Elfen erwachten sofort und bewegten sich mit der ihnen typischen Schnelligkeit. Sie versuchten sofort, die Netze abzustreifen. Das wollten einige von Owains Männern durch ihren Zugriff verhindern und kam manchen von ihnen teuer zu stehen. Die Nordelfen zogen trotz der Enge der Umhüllung ihre Schwerter und stießen damit mehrfach zu. Die Netze erhielten durch die Schärfe der Klingen große Risse, konnten aber nicht abgeworfen werden. Als es den vereinten Kräften aller schließlich gelang, sie zu fesseln und sicher zu verschnüren, waren drei der Bewaffneten tot. Die wurden schnell verscharrt, dann brachte Owain die Elfen zu Igoreth in die Festung Elfenstein.
Der ruft seine Kollegen, die Hexenmeister der Burganlagen Menschenzwinge und Drachenhorst zu Hilfe. Gemeinsam mit Owain zeigen sie den Gefangenen die versteinerten Elfen in der Umgebung der Burg als Warnung, aber die Nordelfen geben sich unbeeindruckt. Sogar die Folterung und der Tod zweier von ihnen bleiben ohne Wirkung auf den letzten von ihnen. Von der Absicht der Späher und damit der Elfenführerin, erfahren sie nichts. Der überlebende Gefangene schweigt eisern. Enttäuscht zieht Owain von dannen, um weiter nach Elfen zu forschen.
Igoreth ist ebenso unzufrieden. Er hatte gehofft, durch die eingekerkerten Spione sein womöglich verlorenes Ansehen bei Drakonia zurückzugewinnen. Er fürchtet immer noch, dass das Entkommen der zehn jungen Eldurianer zu seiner Entlassung führen kann. Dass sie entflohen sind, während er der Königin über deren Ergreifung berichtete, wird ihn kaum entlasten. Er würde das jedenfalls nicht als Entschuldigung gelten lassen! – Warum hört er nur nichts vom Hauptmann der Wache und dem Kerkermeister, die den Flüchtigen mit mehreren Bewaffneten folgen? Sollten sie sich gegen ihn verschworen haben? Dass das nicht so ist, hofft er zwar, hält aber genau das Gegenteil für wahrscheinlicher. Er geht in seiner Einschätzung unbewusst davon aus, wie er sich an ihrer Stelle verhalten würde.
Ingbert flieht mit seinen Freunden inzwischen zum Gebiet der Nordelfen. Den aus dem Kerker Entkommenen gereicht es zum Vorteil, dass sie in aller Ruhe die besten Pferde auswählen konnten. Die bringen sie schnell voran. Nachteilig ist allerdings, dass ihnen die Gegend unbekannt ist. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass sie einem Weg folgen, der nur scheinbar direkt gen Norden führt. In unwegsamem Gelände biegt der dann unerwartet nach links, Richtung Westen ab. Das bemerken die Flüchtlinge zwar, sind aber zuerst voller Hoffnung, dass das lediglich dem Umstand geschuldet ist, dass sie einem alten Flusslauf folgen. Schon bald erkennen sie jedoch ihren Irrtum. Die Gegend ist felsig und schroff ansteigende Berge versperren jede Möglichkeit, das Flusstal zu verlassen, das sich immer weiter in die Höhe schlängelt. Einer der Berggipfel vor ihnen leuchtet weiß im Sonnenschein. Sollte dort Schnee liegen? So friedlich dieser Anblick auch anmutet, Ingbert fordert seine Freunde schließlich auf, anzuhalten.
»Wenn wir dem Flusslauf weiter folgen, führt uns der offensichtlich ins Hochgebirge. Es sieht so aus, dass zumindest auf einer der Bergkuppen Schnee liegt. Für diese tiefen Temperaturen sind wir nicht ausgerüstet. Ob es von dort eine Möglichkeit gibt, ins Gebiet der Nordelfen zu gelangen, kann ich nicht sagen. Deshalb kehren wir besser um. – Bildet eine Vorhut aus zwei Mann, die in Rufweite vorausreiten sollen. Wir haben für den Ritt in die falsche Richtung Zeit vergeudet und müssen davon ausgehen, den bisherigen Vorsprung eingebüßt zu haben. Die Verfolger können uns schon bald begegnen. Achtet auf auffliegende Vögel und nutzt eure Ohren. Der Hufschlag ist vermutlich eher zu vernehmen, als dass die Reiter zu sehen sein werden.«
Doch damit liegt der vorsichtige Mann falsch. Sie haben zwar erheblich an Zeit verloren, befinden sich dadurch jedoch nun im Rücken ihrer Häscher. Das erkennen sie, als sie an einem abzweigenden Pfad Richtung Norden abbiegen und bald darauf einen weiteren Wasserlauf erreichen. Hier wurden die Tiere der Verfolger zum Wasser geführt und haben tiefe Hufabdrücke hinterlassen. Da an dieser Stelle das Zählen der Huftritte unmöglich zu einem sicheren Ergebnis führen kann, verschieben sie das auf später. Um zu den Nordelfen zu gelangen, folgen sie der Spur. Überall dort, wo die Reiter durch die Umgebung nicht daran gehindert wurden, folgten sie keiner festen Formation. Sie schienen dann voller Eifer im Galopp geritten zu sein. Sie schwärmten sogar manchmal in die Breite, so dass deren Anzahl an dieser Stelle einfach zu ermitteln ist.
»Es sind zweiunddreißig Reiter!«, stellt Ingbert fest. »Wir sind zwar gut bewaffnet, aber sie bestimmt nicht schlechter. Hinzu kommt, dass sie gut trainiert und ausgebildete Soldaten sind. Wenn wir sie nicht überraschen können, sind wir ihnen gegenüber schon allein wegen unserer geringeren Zahl unterlegen. – Ich wundere mich jedoch über ihren Eifer, mit dem sie offenbar voranpreschen. Das spricht dafür, dass der Hexenmeister den Männern eine große Strafe angedroht haben muss, wenn sie uns nicht fassen. Aber eine große Belohnung für unsere Ergreifung könnte auch der Grund sein. Das würde wiederum erklären, dass sie sich gegenseitig im Vorankommen überbieten wollen. Dabei fällt ihnen nicht auf, dass es hier außer ihren frischen Spuren keine weiteren gibt. Das sollte sie doch stutzig machen und darauf hinweisen, dass wir nicht vor ihnen sein können. Oder sollten die Reiter nicht hinter uns her sein und einen anderen Auftrag ausführen? – Hm. Egal, was der Grund ist, wir müssen uns vorsehen, um nicht mit ihnen zusammenzutreffen.«
Sie folgen, wo immer es möglich ist, im schnellen Galopp, wobei zwei Männer erneut als Späher agieren. Nicht nur diese, auch die Nachfolgenden reiten hintereinander. Dadurch bilden sie eine lange Linie und verraten ihre geringe Zahl nicht an mögliche andere Verfolger.
In der Nacht rasten sie, sobald sie in der Ferne ein Feuer erblicken. Obwohl es kühl wird, entfachen sie keines, sondern wickeln sich stattdessen lieber in Decken. Ingbert und ein weiterer Mann schleichen Richtung Feuerschein und finden ihre Vermutung bestätigt.
Am Rand eines Kiefernwäldchens haben die Soldaten ein Nachtlager aufgeschlagen. Die Pferde sind mit langen Leinen an die Bäume gebunden, damit sie von dem mageren Gras am Waldrand fressen können. Die Bewaffneten haben sogar mehrere Zelte errichtet, die um das Feuer gruppiert sind, dessen Flammen hoch auflodern.
Ingbert überlegt, ob er mit seinen Männern einen Überfall versuchen soll. Doch der Platz scheint zu gut bewacht, als dass das erfolgreich sein könnte. Vier Posten umrunden gegensätzlich laufend das Lager, wobei zwei in jeder Richtung etwa die Hälfte des Kreises als Abstand zueinander einhalten. Sobald er das feststellt, zupft Ingbert am Hemd seines Nachbarn. Beide kriechen unbemerkt durch das Gras zurück.
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