»Ja, Noah und ich waren wieder im “La Cuisine“. Es gab Spaghetti Bolognese.«
»Dann schlage ich ein Club Sandwich à la Stahl vor«, sagte meine Mutter.
»Prima«, erwiderte ich und bog in die Küche ab. »Ich setze schon mal das Wasser für die Eier auf.«
Meine Mutter schaffte es tatsächlich, dass Jo nach dem Besuch im Krankenhaus mit dem Bus nach Hause fahren durfte, doch das war nicht alles. Frau Däxler erlaubte ihm auch, mit Noah und mir mittags im “La Cuisine“ zu essen, bevor sie uns ins Krankenhaus fuhr.
Kapitel 6• Die Komtesse lässt nicht bitten
Am nächsten Tag machten Noah, Jo und ich uns nach dem Unterricht auf den Weg zum “La Cuisine“.
>Vielleicht ist X ja heute wieder da< , überlegte die Wächterin gut gelaunt.
Ich ignorierte sie und beobachtete gespannt Jos Reaktion, als wir um die Ecke bogen und das Café in Sicht kam.
»Das ist ja der Hammer!«, sagte er begeistert und ließ den Blick über die Häuserwand und das Libellendach schweifen. Als er den getarnten Wasserspeier entdeckte, stutzte er. »Nur das Ding ist irgendwie fehl am Platz.«
»Ja, das finden wir auch«, bestätigte ich. »Aber jetzt lasst uns reingehen. Drin ist es bestimmt brechend voll und wir haben nicht viel Zeit.«
Im Restaurant waren diesmal alle Tische in der Mitte besetzt, so dass uns nichts anders übrig blieb, als eine Nische anzusteuern.
»Man könnte meinen, hier gibt es was umsonst«, sagte Jo kopfschüttelnd, während er versuchte, seine Krücken nicht in einem Stuhlbein oder einer der Schultaschen zu verhaken, die überall auf dem Boden standen.
»Gibt es ja auch. Einen einmaligen Anblick.« Noah wies mit dem Kopf zum Tresen. Jo und ich sahen gleichzeitig hin und meine Augen trafen die von X. Er grinste und nickte mir zu. Mir wurde heiß und ich hob kurz die Hand.
»Uff! Und plötzlich fühle ich mich noch kleiner und hässlicher als sonst.« Jo ließ sich auf die Bank der Nische sinken, die wir gerade erreicht hatten.
»Erzähl keinen Blödsinn.« Ich setzte mich neben ihn und erklärte ihm das System des Restaurants.
Wenig später stand ich am Tresen, um unsere Bestellungen aufzugeben.
»Hallo Tina, was darf es denn heute sein?«, erkundigte sich X und sah mir tief in die Augen.
Ich spürte, wie ich rot wurde. Das hatte mir gerade noch gefehlt. »Du könntest für den Anfang aufhören, mit mir zu flirten. Schon vergessen, du bist nicht mein Typ«, sagte ich gereizt.
»Upps, schlecht gelaunt?«, erkundigte sich X.
»Nein, aber ich hasse es, rot zu werden«, erklärte ich, mit der für mich so untypischen Offenheit, die mich immer nur dann überfiel, wenn ich mit ihm sprach.
»Ich finde es nett, wenn Mädchen rot werden«, erwiderte X mit einem Lächeln.
»Nett ist der Bruder von Scheiße«, brummelte ich, ohne ihn anzusehen, und sagte dann deutlicher: »Ich hätte gerne die Kartoffelpuffer mit Apfelmus, mein Freund Jo, der genauso “ein“ Freund ist wie Noah, bevor du wieder falsche Schlüsse ziehst, hätte gerne Kartoffelsalat mit Frikadelle und Noah nimmt noch mal den Hamburger mit Lammfleisch.« Als X nicht reagierte, sah ich irritiert zu ihm hinüber. Er stand da und hielt sich die Seite.
»Nett ist der Bruder von Scheiße«, japste er. »Das habe ich ja noch nie gehört!«
Ich musste gegen meinen Willen grinsen. »Da stellt sich mir die Frage, wo du aufgewachsen bist.«
»Kannst du mal fertig werden, andere wollen auch noch bestellen!«, beschwerte sich das Mädchen hinter mir. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Es war eine blonde Oberstufenschülerin, mit einer Figur, wie ich sie nie haben würde, und einem Fotomodelgesicht. Wieder wurde ich rot. Mein Gott, war das peinlich.
»Wenn du es eilig hast, bist du hier falsch«, sagte X kalt zu der Blondine und dann zu mir: »Bis gleich, Tina. Und nett ist nicht immer der Bruder von Scheiße.« Er grinste über das ganze Gesicht.
Ich nickte und ging zurück zu Jo und Noah.
»Der Typ scheint auf dich zu stehen«, sagte Jo. Es klang eifersüchtig.
»Ach was! Er kommt nicht damit klar, dass es hier ein Mädchen gibt, das ihn nicht anhimmelt und er versucht, meine Meinung über ihn zu verändern. Ich habe ihm nämlich bei unserem ersten Besuch gesagt, dass er nicht mein Typ ist«, klärte ich ihn auf.
>Ich glaube, Jo hat recht< , sagte die Wächterin. > Du bist scheinbar die Einzige, mit der er länger spricht. Bei allen anderen nimmt er nur lächelnd die Bestellung entgegen.<
»Bis ich ihn anhimmele. Dann bin ich ebenso uninteressant wie der Rest! So etwas nennt man Jagdtrieb«, erwiderte ich lautlos.
>Dann himmele ihn einfach nicht an.<
»Habe ich nicht vor!«
»Wie willst du Sylvia eigentlich dazu kriegen, dir zu glauben oder noch wichtiger, uns zu erzählen, was ihr passiert ist, falls es wirklich etwas Ungewöhnliches war?«, fragte Jo und unterbrach damit meinen stummen Gedankenaustausch mit der Wächterin.
»Das entscheide ich dann. Vorausplanen bringt nichts. Sicher ist nur, dass wir, wenn wir erst mal wissen, was Sylvia heimsucht, zu ihr nach Hause müssen, um es zu vernichten.«
»Du erwartest nicht nur, dass Sylvia uns glaubt, sondern auch noch, dass sie uns zu sich nach Hause einlädt?« Jo sah mich ungläubig an. »Was hast du vor? Sie unter Drogen setzen?«
»Christina, das Essen ist fertig«, unterbrach uns Noah und wies auf die blinkende Tischlampe. »Ich gehe es holen. Habt ihr das Geld passend?«
»Schaffst du das? Drei Teller?«, fragte ich.
»Falls nicht, gebe ich dir Bescheid.« Noah nahm unser Geld entgegen.
»Ich denke, wenn wir sie erst mal davon überzeugt haben, dass sie von einem dunklen Wesen heimgesucht wird, dann ist die Einladung ein Kinderspiel«, wandte ich mich wieder an Jo. Dabei sah ich zum Tresen, um mich davon zu überzeugen, dass Noah auch wirklich mit den drei Tellern klarkam. Wieder traf mein Blick den von X. Er wirkte verwirrt und leicht verärgert. Ich musste ein Grinsen unterdrücken. Es schien ihm tatsächlich etwas auszumachen, dass Noah und nicht ich gekommen war, um das Essen abzuholen. Ich fühlte mich großartig und lächelte ihm kurz zu, damit er nicht dachte, ich sei sauer auf ihn.
»Wenn du das nächste Mal lieber alleine herkommen willst, lass es uns wissen«, sagte Jo, der meinem Blick gefolgt sein musste, beleidigt. »Wir wollen deinem Glück schließlich nicht im Wege stehen. Vielleicht geht Mr Schönling ja auch gleich mit dir Dämonen jagen, dann brauchst du dich nicht weiter mit uns abzugeben.«
Etwas machte „Klick“ in meinem Inneren und ich fuhr zu Jo herum. »Weißt du was, Jo, ich habe die Nase voll von deinem Gemaule. Wenn du etwas zu beanstanden hast, dann sprich nicht im Plural. Steh zu dem, was du sagst. Niemand hat vor, dich durch irgendwen zu ersetzen oder außen vor zu lassen, also komm über deinen Minderwertigkeitskomplex hinweg, der nervt nämlich. Wir sind nicht nur ein Team, wir sind Freunde! Und ja, das sagt die Richtige, aber ich versuche zumindest, an mir zu arbeiten.«
>Hart, aber herzlich< , bemerkte die Wächterin, > ich werde dich bei der nächsten Kleiderwahl daran erinnern.<
Jo starrte mich mit offenem Mund an.
»Was habe ich versäumt?«, erkundigte sich Noah vorsichtig, der mit einem voll beladenen Tablett zu uns getreten war.
Jo holte tief Luft und sagte ungewöhnlich ruhig: »Christina hat mir den Kopf gewaschen und wenn in ihrem Ausbruch nicht auch die Worte “Freunde“ und “Team“ vorgekommen wären, würde ich jetzt aufstehen und gehen.«
Ich spürte, wie ich rot wurde, hatte aber trotzdem nicht vor, auch nur ein Wort zurückzunehmen.
Noah stellte das Tablett auf den Tisch und setzte sich zu uns. »Ich weiß nicht, wer, was gesagt hat, und es ist mir auch ziemlich egal, aber ich weiß, dass wir unseren Gegnern in die Hände spielen, wenn wir uneins sind. Ich habe mich noch nie so getrennt von euch gefühlt, wie in diesem Moment. Das habe ich schon gespürt, als ich zum Tisch zurückkam.«
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