Nie!
Und jetzt scheucht ihn meine Mutter, die in dieser Kleinstadt fast jedermann kennt, über die Straße, indem sie mit der flachen Hand aufs Außenblech ihrer Tür schlägt und dabei hopp-hopp ruft.
Ich könnte sterben vor Scham!
Erst außerhalb der Stadt tauche ich langsam wieder aus dem Fußraum auf. Wir fahren zur Schneiderin nach Wolfern. Ich soll mir dort einen männlichen Strickpulli anmessen lassen, meint meine Mutter. Kein Widerspruch von mir. Schlimmer als das Stadterlebnis kann es eigentlich gar nicht mehr kommen.
Das Häuschen der Schneiderin liegt in einer kleinen Siedlung. Die Buben von der Straße versammeln sich um den Healy , während meine Mutter im Rückspiegel ihre Lippen neu anmalt. Die Tür halb geöffnet, schwirren die Kinder um unser Auto wie die Bienen um den Honigtopf.
... wie schnell geht er? ... ist das Leder? ... hat das Auto gar kein Dach? ... warum hat die Frau so rote Lippen? ... bist du ein Autostopper?
Die Schneiderin hat uns offensichtlich schon bemerkt und tritt vor die Tür. Dann verschwinden wir drei im Haus.
Beim Abmessen bin ich kooperativ. Meine Mutter hat das Kommando.
... Steh gerade, ... Bauch rein, Brust raus, ... lass die Schultern fallen.
Ich lasse alles mit mir machen. Sogar die Farbe der Wolle ist mir egal. Ich fühle mich zwischen all den Wollknäueln geschützt und endlich von der Außenwelt etwas abgeschirmt.
Weil es schon früh dunkel wird, will mich meine Mutter diesmal ausnahmsweise bis nach Hause fahren.
Das hat noch gefehlt!
In mir läuten alle Alarmglocken. Vielleicht ist es dann schon dämmrig, wenn sie mich vor unserer Haustür absetzt. Ich mag nicht unter Mamas Augen aus dem Healy steigen. Allein schon bei dem Gedanken daran muss ich schlucken.
Die Fahrt von Wolfern zurück nach Steyr ist eisig kalt. Meine Finger sind so steif, dass ich mir schwer tue, die Mütze noch weiter über die Ohren zu ziehen. Nach einer halben Stunde Fahrt bin ich komplett durchgefroren, obwohl die Heizung voll aufgedreht ist. Es wird aber nur im Fußraum warm. Der Fahrtwind pfeift so laut um unsere Ohren, dass kein Gespräch möglich ist. Das ist auch gut so, denn meine Mutter setzt beim Fahren ihren ganzen Körper ein. Sie zerrt am Schaltknüppel, dass es nur so kracht und wenn sie plötzlich bremst, wirft es uns beide nach vorn. Ihren Kamelhaarmantel hat sie bis zum Kinn hochgezogen und stopft nach jedem Schaltmanöver mit ausladender Bewegung ihr flatterndes Halstuch in den hochgeschlossenen Kragen. Einmal macht sie am Straßenrand abrupt halt und nimmt bei laufendem Motor einen kräftigen Schluck aus dem Flachmann, den ich ihr aus dem offenen Handschuhfach reiche.
Kurz vor unserem Dorf erwischt uns dann ein Wolkenbruch.
Wie sich schnell herausstellt, hat meine Mutter noch nie das Verdeck des Healy selber zugemacht. So stehen wir neben dem Wagen und hoffen, dass jemand kommt.
Es kommt aber niemand.
Nach ein paar Minuten hört der Regen schlagartig auf. Wir sind beide klatschnass. Das Gesicht meiner Mutter glänzt wie aus Bronze. Wir fahren die paar Kilometer zu unserem Dorf. Mit klappernden Zähnen steige ich zwanzig Meter vor unserem Haus aus. Offensichtlich wollte sich meine Mutter auch jede Peinlichkeit ersparen. Sie nimmt noch einmal einen kräftigen Schluck aus dem Flachmann und fährt dann mit quietschenden Reifen zurück in ihren Dunklhof.
Ich fühle mich ausgelaugt. Ich werde aus der einen Welt ausgespuckt und in die andere hineingeschleudert. Welche ist die meine, frage ich mich, während ich die zwanzig Meter bis zu unserem Gartentor zurücklege. Da rieche ich schon das Würstelgulasch.
Meine Welt?
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