Verwundert stellte Arden fest, dass sein Körper ihm auf unverständliche Weise deutlich machte, dass ihm die Blondine gefiel. Ja, je länger er sie musterte, desto eindeutiger wurde es, dass sie ihm außerordentlich gefiel. Vom seidig glänzenden Haar über ihr bezauberndes Gesicht, der schlanken Figur mit den kleinen und doch vollen Brüsten bis hin zu ihrer zurückhaltenden Art, all das zusammen löste ein Ziehen in seinen Lenden aus und den Wunsch, sie besitzen zu wollen. Sie war keine von den naiven, jungen Gören, sondern erweckte den Eindruck einer keuschen, bescheidenen Frau. Schmerzlich fiel ihm ein, dass Bradford, wenn er anwesend wäre, sofort Jagd auf sie machen würde. Und eins war so sicher wie das Amen in der Kirche: Sein Bruder würde heute Abend noch auftauchen und dann wäre die Kleine nicht mehr sicher vor ihm.
Nach einem letzten intensiven Blick auf die junge Frau, der von ihr nicht unbemerkt blieb und ihr sogleich die Röte ins Gesicht steigen ließ, machte sich Arden auf den Weg zu seiner Kutsche.
Nach dem Tanz luden die Gentlemen Pearlene und Reeva auf ein Glas Punsch ein, das sie ein Stück abseits der Tanzfläche in Ruhe trinken konnten. Mittlerweile war das Zelt dicht bevölkert und die vier stellten sich an einen der hohen Tische, die reihum platziert waren. Während Pearlene an ihrem Getränk nippte, gesellte sich eine Freundin von Reeva zu ihnen, die ebenfalls von ihrem jungen Cousin begleitet wurde. Loraine Sparkle war ein hübsches, rothaariges Mädchen und ihre niedlichen Sommersprossen passten wunderbar zu ihrer aufgeweckten Art. Reeva stellte die beiden Pearlene vor und Loraine verwickelte sie sogleich in eine Unterhaltung.
»Ist der Ball nicht fantastisch? Es ist mein erster und dann auch noch gleich im Beaumont Park. O Himmel, ich bin so aufgeregt.«
Pearlene lächelte milde, denn man sah der jungen Frau die Aufgeregtheit an, da sie keine Sekunde stillstehen konnte.
»Das kann ich sehr gut verstehen, denn mir geht es ebenso. Ich war bisher nur ganz selten in London.«
Loraines Cousin meinte daraufhin zu Pearlene: »Haben Sie schon gehört, dass es später noch ein Feuerwerk über dem See geben soll?«
Doch bevor Pearlene antworten konnte, meldeten sich ihre Begleiter zu Wort.
»Ja, Shutterfield erwähnte es meinem Vater gegenüber.«
»Der Marquess hat, weiß Gott, keine Kosten gescheut, um den Abend in einen Erfolg zu verwandeln.«
Indessen die Herren sich weiterunterhielten und dabei um die Gunst der Damen wetteiferten, welche kichernd darauf eingingen, kam sich Pearlene daneben fehl am Platz vor. Sie kannte nur einige der Namen, die aufgezählt wurden, und war von den Prahlereien der jungen Männer wenig angetan, die sich in protziger Selbstdarstellung übten, mit dem Ansehen und Vermögen ihrer Familien. Pearlenes Aufmerksamkeit wanderte deswegen zu einem Gespräch von drei Frauen, die ganz in ihrer Nähe auf einem der unzähligen Diwane saßen und die Leute beobachteten. Die älteste der Damen, eine beleibte Matrone, beugte sich über ihre Nachbarin hinweg, die in der Mitte ihren Platz hatte, zu der Jüngeren am anderen Ende des Sofas.
»Countess Swanson, wie man hört, hegt Ihr doch regen Kontakt mit dem Magistrat Earl Desmond Berkley? Hat er etwas Neues erzählt, über den letzten Leichenfund?«
Die Countess Swanson wirkte verärgert und antwortete schnippisch: »Nicht ich hege Kontakt mit dem Magistrat Berkley, sondern mein Gemahl.«
Die Neugier der Matrone war allerdings dadurch nicht gestillt, weshalb sie nicht lockerließ. »Es heißt, Berkley würde bei Euch zu jeder Tageszeit ein- und ausgehen. Daher lag meine Vermutung nahe, dass Ihr uns etwas über die Mordfälle verraten könnt.«
Die andere Dame mischte sich nun ebenfalls ein. »Wie mir zugetragen wurde, wurde auch diese Tote mitten in der Wildnis gefunden, genau wie die anderen beiden Leichen. Ohne Kopf! Angeblich waren es alles Jungfrauen.«
Pearlene hörte die junge Countess in vertraulichem Ton sagen: »Zumindest waren sie dies, als man sie entführte, jedoch nicht mehr, als man sie tot auffand. Der Magistrat schwört, am liebsten würde er sein Amt abgeben und damit auch die Aufklärung der Morde einem anderen überlassen, so schrecklich seien die Opfer zugerichtet worden.«
Entsetzt schnappten die Älteren nach Luft und auch Pearlene erschrak über die Aussage, bei der man sich ausmalen konnte, was es zu bedeuten hatte.
Leise, dass es Pearlene fast nicht hörte, gestand die mittlere Dame auf der Bank: »Nicht einmal mein Mann wollte mir genauer erzählen, was er im Herrenclub aufgeschnappt hat, aber er meinte, es wären genügend Beweise an den nackten Körpern, die darauf hindeuteten, dass man die Jungfrauen vor ihre Enthauptung defloriert und ganz fürchterliche Dinge mit ihnen angestellt hätte.«
Die ältere Matrone nickte unheilvoll. »Ja, man munkelt so einiges. Glaubt der Magistrat, dass diese Morde mit den Funden der Kinderleichen zusammenhängen? Jenen wurden doch auch die Köpfe abgeschlagen.«
Countess Swanson schüttelte ihr Haupt. »Es sieht nicht danach aus, denn das ist das Einzige, was die Fälle gemein haben. Während die Opfer der Jungfrauenmorde immer Töchter aus gutem Hause sind, stammen die Kinder, deren Überreste man fand, aus der untersten Gesellschaftsschicht. Und vor allen Dingen …«
Nun musste Pearlene sich anstrengen, um die Countess zu verstehen, da sie immer leiser wurde.
»… waren unter diesen Opfern auch Jungen. Zum Teil sollen sogar Totgeburten und Ungeborene dabei gewesen sein. Die älteren Kinder hatte man angeblich noch vor ihrem Tode gequält.«
Pearlene wurde schlecht, als sie von den Grausamkeiten hörte, und stellte ihr Glas auf dem Tisch ab, denn vor Schreck wäre es ihr fast aus den Händen geglitten.
Von solchen entsetzlichen Vorgängen hatte sie noch nie gehört. Bestimmt hatten ihre Eltern sie absichtlich im Ungewissen darüber gelassen, was derzeit in London passierte, und darauf bestanden, dass sie nichts davon erfuhr. Jetzt verstand sie auch die eindringlichen Warnungen ihrer Tante und des Onkels, die sie Reeva und ihr noch in der Kutsche eingeschärft hatten, nie allein und immer in ihrer Sichtweite auf dem Fest zu bleiben. Den ganzen Abend hatten sie sich daran gehalten und selbst in diesem Moment unterhielten sich ihre älteren Verwandten in Rufweite, was ihr nun eine beruhigende Sicherheit verlieh.
»Ja«, nickte die Matrone. »Das stimmt, sogar die Fundorte der Leichen sind unterschiedlich. Die Kinder werden immer in einem Londoner Gewässer gefunden.«
Die mittlere Dame fächerte sich Luft zu. »Schrecklich, schrecklich. Man traut sich gar nicht mehr, seine Kinder aus dem Haus zu lassen.«
»Wohl wahr!«, gab ihr die Matrone Recht.
Countess Swanson nickte. »Das Schlimme ist, solange sie die beiden Mörder nicht gefasst haben, rechnen die Wachtmeister mit weiteren Leichen. Man vermutet, dass der Jungfrauenmörder alle paar Wochen nach einem neuen Opfer sucht.«
Pearlene schluckte bei dem Gedanken, dass der Mörder noch immer auf freiem Fuß war und demnächst womöglich ein weiteres Mädchen auf bestialische Weise sterben würde.
Die mittlere Dame gab zu bedenken: »Aber man fand die letzte Tote doch erst vor zwei Wochen, gewiss wird er so schnell nicht wieder zuschlagen.«
Die Countess kräuselte ihre Stirn. »Man fand sie vor zwei Wochen, aber ermordet wurde sie schon geraume Zeit zuvor.«
Je mehr Pearlene hörte, desto enger zog sich ihr Magen zusammen. Sie beschloss, die älteren Damen besser nicht mehr zu belauschen, als die Matrone plötzlich aufgeregt gluckste: »Na, da sind sie ja, wie erwartet. Die gefürchteten Lebemänner Londons. Ich danke dem Himmel, dass meine beiden Töchter schon längst unter der Haube sind und meine Enkeltöchter noch nicht im heiratsfähigen Alter. Wenn ich sie nicht wegen des wahnsinnigen Mörders einsperren würde, dann gewiss wegen ihnen. Allen voran wegen Bradford Lyndon.«
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