BEKIM SEJRANOVIĆ
ROMAN
Aus dem Kroatischen von Klaus Detlef Olof
Kapitel I I 1. Ich sitze in der alten Hütte auf Großvaters „Ranch“. Im Tal ist die Nacht hereingebrochen und hat die waldumhüllten Berge verschluckt. Hier bin ich schon geraume Zeit, ich fühle keine Unruhe mehr. Ich fühle mich wie ein Mensch, der einmal eine Geschichte schreiben wollte, was ihm aber nicht gelang, weil die Geschichte die Kontrolle über die Wirklichkeit übernahm. Es war nicht mehr klar, was wirklich ist, die Geschichte oder das Leben. Und ob das Leben die Geschichte schreibt, oder ob es vielleicht umgekehrt ist. Ein Siebenschläfer rumort auf dem Dachboden ohne jede Rücksicht. Eines Nachts wurde ich wach und sah gerade noch seinen Schwanz, als er über die Kante der abgewetzten Couch sprang, auf der ich schlafe. Er verschwand in einem Loch in der Wand unter der Gardinenstange. Die Glühbirne an der Decke geht an und aus, vermutlich ein Wackelkontakt. Die Wände der Hütte sind voller Löcher vom abgefallenen Putz. Darunter sieht man die Bretter, aus denen die Hütte eigentlich gemacht ist. Die „Ranch“ ist ein Acker von siebeneinhalb dulum , den hatte Großvater gekauft, als er in Pension ging, um hier einen Pflaumengarten anzulegen. Ich erinnere mich an alles, aber das ist jetzt nicht wichtig. Weder Großvater noch Majka (so nannte ich Großmutter) gibt es noch, und auch meine Mutter, ihre Tochter, ist nicht mehr. Es gibt auch die „Ranch“ nicht mehr. Jetzt gibt es hier nur Gestrüpp und einen im Vergessen gefangenen Obstgarten. Das Anwesen gehört Tante Zika, die mich hier sein lässt, so lange ich will. Ich weiß nicht genau, wann ich hergekommen bin, aber der Sommer ging seinem Ende entgegen, und die Pflaumen vergammelten, weil niemand da war, der sie aufgesammelt hätte. Tagsüber surren die Wespen in Kampfformation und fressen sich an den überreifen saftigen „Ungarischen“ satt. Vögel in unterschiedlicher Größe und Farbe hüpfen krächzend in der ganzen Misere herum und picken mal die Früchte, mal sich gegenseitig. Auch irgendwelche fetten Heuschrecken kommen in Scharen, und diese lästigen winzigen Fliegen, die sich einem direkt ins Auge stürzen.
Kapitel II II 1. Ich sitze in der Hütte, zünde ein Streichholz an und zähle bis fünf. Die Flamme beleckt die Fingerspitzen, und der Schmerz ist da. Auf ihn kannst du dich verlassen. Ich erwarte den Ruf der Eule, der jede Nacht aus dem nahen hohlen Birnbaum kommt. Ich habe immer wieder versucht, mir selbst zu erzählen, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, aber es ist mir nicht gelungen. Die Geschichte änderte sich je nachdem, welche von meinen Stimmen sie erzählt. Die eine Stimme vergisst immer wieder einzelne Episoden, während sie bei einer anderen einen zentralen Platz einnehmen. Aber ich hatte in Großvaters Hütte auch zu viel Zeit zum Nachdenken. Ich fing an zu glauben, dass alles, was erst noch zu geschehen hatte, genau genommen schon geschehen war. Ich bildete mir ein, ich könnte, indem ich die Vergangenheit analysiere, die Zukunft vorhersehen.
Kapitel III III 1. Vorm Morgengrauen werde ich plötzlich wach, nass vor Schweiß. Im ersten Moment begreife ich nicht, wo ich bin, mein Herz im Brustkorb hämmert feindlich. Die Reste des Traums tanzen noch ausgelassen in Großvaters Hütte, ich stehe rasch auf, ziehe den Vorhang weg, um etwas Helligkeit ins Zimmer zu lassen. Durchs Fenster dringt bleiches Licht, es reicht nicht aus, um die Schrecken des Traums zu verscheuchen. Der Traum: Ich bin ein böser Geist. Mich jagen drei gute Geister. Wir fliegen wie Kometen durch ein großes Gebäude, das mich an meine Grundschule erinnert, „Nationalheld Zaim Mušanović“. Sie jagen mich, wie wütende Jäger die Beute jagen, die ihnen schon viele Male um ein Haar entkommen ist. Ich weiß, wenn sie mich fangen, ist alles vorbei. Während wir wütend durch die langen Korridore fliegen, die Treppen rauf und runter, durch die bekannten Schulräume, drohen sie und sagen mir, was mich alles erwartet, wenn sie mich zu fassen kriegen, aber ich schneide nur Grimassen und beschimpfte sie mit allem, was mir einfällt. Einer folgt mir wie ein Pfeil zum geschlossenen Fenster; ich drehe abrupt ab und er knallt gegen die Scheibe. Ich öffne das Fenster, stoße den guten Geist hinaus, dann schließe ich es wieder und zische wie ein Geschoss durch die Aula, wo wir einmal neben dem Tito-Bild Ehrenwache gehalten haben. Die anderen beiden guten Geister krümmen sich vor Schmerz und Wut. Sie schreien und heulen, fluchen, speien Gift und Galle. Ich heiße sie alles Mögliche, aber ich spüre Angst in mir aufsteigen, Panik, die meinen immateriellen Körper überkommt, und plötzlich weiß ich, dass ihre Drohungen nicht leer sind, dass sie sich früher oder später bewahrheiten werden. Solche Wachträume suchen mich gewöhnlich heim, wenn ich aufhöre, Haschisch zu rauchen. An die zehn Jahre habe ich jeden Tag geraucht, mit kurzen Unterbrechungen. Manchmal habe ich aufgehört, weil ich keinen Nachschub kriegen konnte, und manchmal, um einen klaren Kopf zu kriegen. In den letzten Jahren habe ich, wann immer ich mit dem Rauchen aufgehört habe, nachts geschwitzt. Dieser Schweiß ist klebrig und hat einen süßsäuerlichen Geruch. Du träumst nicht, wenn du rauchst. Wenn du aufhörst, kommen die Träume zurück.
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Kapitel XIV
Kapitel XV
Kapitel XVI
Kapitel XVII
Kapitel XVIII
Kapitel XIX
Kapitel XX
Kapitel XXI
Kapitel XXII
Kapitel XXIII
Kapitel XXIV
Kapitel XXV
Kapitel XXVI
Kapitel XXVII
Kapitel XXVIII
Kapitel XXIX
Kapitel XXX
Kapitel XXXI
Kapitel XXXII
Kapitel XXXIII
Kapitel XXXIV
Kapitel XXXV
Kapitel XXXVI
Kapitel XXXVII
Kapitel XXXVIII
Kapitel XXXIX
Kapitel XL
Kapitel XLI
Kapitel XLII
Kapitel XLIII
Kapitel XLIV
Kapitel XLV
Kapitel XLVI
Kapitel XLVII
Kapitel XLVIII
Kapitel XLIX
Kapitel L
Kapitel LI
Kapitel LII
Kapitel LIII
Epilog
Anmerkungen
Ich sitze in der alten Hütte auf Großvaters „Ranch“. Im Tal ist die Nacht hereingebrochen und hat die waldumhüllten Berge verschluckt. Hier bin ich schon geraume Zeit, ich fühle keine Unruhe mehr. Ich fühle mich wie ein Mensch, der einmal eine Geschichte schreiben wollte, was ihm aber nicht gelang, weil die Geschichte die Kontrolle über die Wirklichkeit übernahm. Es war nicht mehr klar, was wirklich ist, die Geschichte oder das Leben. Und ob das Leben die Geschichte schreibt, oder ob es vielleicht umgekehrt ist.
Ein Siebenschläfer rumort auf dem Dachboden ohne jede Rücksicht. Eines Nachts wurde ich wach und sah gerade noch seinen Schwanz, als er über die Kante der abgewetzten Couch sprang, auf der ich schlafe. Er verschwand in einem Loch in der Wand unter der Gardinenstange.
Die Glühbirne an der Decke geht an und aus, vermutlich ein Wackelkontakt. Die Wände der Hütte sind voller Löcher vom abgefallenen Putz. Darunter sieht man die Bretter, aus denen die Hütte eigentlich gemacht ist.
Die „Ranch“ ist ein Acker von siebeneinhalb dulum , den hatte Großvater gekauft, als er in Pension ging, um hier einen Pflaumengarten anzulegen. Ich erinnere mich an alles, aber das ist jetzt nicht wichtig. Weder Großvater noch Majka (so nannte ich Großmutter) gibt es noch, und auch meine Mutter, ihre Tochter, ist nicht mehr. Es gibt auch die „Ranch“ nicht mehr. Jetzt gibt es hier nur Gestrüpp und einen im Vergessen gefangenen Obstgarten. Das Anwesen gehört Tante Zika, die mich hier sein lässt, so lange ich will.
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