Aktuell betrat ein Mann das Café und bewegte sich zielstrebig auf die WCs zu. Mit dem hatte es Gott, oder wer auch immer dafür die Verantwortung trug, nicht gut gemeint. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut und war bemühte, nicht aufzufallen, was völlig unmöglich war, denn allein seine Erscheinung mutete wie aus einer anderen Zeit an. Das Auffälligste am ihm war ein altertümlicher Hut, ein Stetson, wie sie als Amerikanerin wusste, den er tief ins Gesicht gezogen trug und auch nicht abzusetzen gedachte, als er am Nachbartisch platz nahm, ohne Notiz von ihr zu nehmen. Zum Glück. Sie wollte nicht reden.
Ein merkwürdiger Kauz. Irgendetwas stimmte mit seinem Gesicht nicht. Deshalb wahrscheinlich der Hut. Er blickte auf, um die Bestellung bei der genervten Bedienung aufzugeben, und sie sah Blutergüsse und Schwellungen. Wie ein Preisboxer wirkte der Mann nicht, auch die besten Jahre lagen schon hinter ihm. Aber als er sprach, fiel ihr die angenehme Stimme auf, auch wenn er leicht gereizt klang.
»Was darf`s sein?« Die grellrot gefärbte Servierkraft trug ihre Nase ziemlich weit oben, als sie mich das fragte.
»Eine Tasse Kaffee und ein Stück Apfelkuchen mit Sahne, bitte.«
»Also, ein Schümli und ein Apfelschlangerl mit Obers. Na, Sie könn`s noch vertragen«, und ging von dannen, die blöde Kuh. Sie entsprach so gar nicht meinem Typus Frau. Obwohl, ich war selbst kein Frauenschwarm. Bei diesem Gedanken legte sich ein leichtes Grinsen über mein lädiertes Gesicht. Die Kellnerin, die daheim einen Namen wie Chantalle, Mandy oder Jaqueline tragen würde, hieß Solveig und stellte den Pott Kaffee und meinen geliebten Apfelkuchen mit Sahne auf den Tisch, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
»Bitt`schö. Haben`s auch Geld dabei?«
Es stand ergo noch böser um mich, wie befürchtet. Ich war gewappnet: Triumphierend wedelte mein letzter Hunderter Barvermögen unter ihrer Nase und meine Schlagfertigkeit holte zum Finale aus.
»Ach, und Schätzchen, keine Sorge, dich könnte ich auch bezahlen!« Die Gesichtsfarbe ihrer Haarpracht angepasst, knallte sie mir das Wechselgeld von 91,55€ auf den Tisch und verschwand schnaubend. Schlürfend genoss ich den dampfenden Kaffee, verfeinerte ihn mit Sahne vom Teller. Der Kuchen war ausgezeichnet.
»Wo ist der Dämlack ?« Ein Schrank von einem Mann stürmte das Café, fegte die Stühle in seinem Weg an die Seite, wie Streichhölzer. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, die Sicht auf ihn versperrte meine Hutkrempe. Eine weibliche Reibeisenstimme vom Nachbartisch stellte unmissverständlich klar, sollte er Hand an mich legen, würde Mr. Gipskopf sich tot auf dem Boden liegend wiederfinden.
»War`n Missverständnis«, murmelte der Koloss handzahm und trat den Rückzug an. Was wurde hier gespielt?
»Vielen Dank, aber das hätte ich locker allein geschafft«, behauptete ich, dann voller Wehmut: »Für mich hat sich noch nie jemand eingesetzt!«
»Doch, ich soeben. Das würde ich auch wieder tun, seien Sie gewiss!«, erwiderte die Dame vom Nebentisch mit einem leichten Akzent, während sie in ihrem Latte Macchiato herumrührte und den Löffel abschleckte. »Es sei denn, Sie erweisen sich als Arschloch.«
Nun wollte ich sehen, wer da eine starke Etikette vertrat. Als ich den Kopf hob, dachte ich zu träumen; eine zierliche Frau, wie ein Engel, mit langen kastanienbraunen Haaren, die sie zu einem strengen Dutt trug, in konservativen Schwarz gekleidet. So ein Persönchen hatte den Neandertaler in seine Schranken verwiesen? Ein schiefes Lachen huschte über mein geschundenes Gesicht. Kopfschütteln. Doch das Schießeisen, das sich hart in meine Eier schob, rückte mein Weltbild wieder zurecht. Natürlich hatte ich keine Angst, sie hatte die gleichen Augen wie meine schöne Unbekannte. Kitty? Ein alter Sack saß einer traumhaften Frau gegenüber, die mit ihrem Schießeisen genau auf seine Kronjuwelen zielte. Meine Aufmerksamkeit war ihr zu 100 Prozent gewiss, so viel stand fest.
Sie berichtete mir vom Verlust ihrer geliebten Schwester, dabei kullerten der harten Lady Tränen der Trauer über das makellose Gesicht. Im Roman käme jetzt mein Einsatz, doch ich trug nur selten Taschentücher mit mir herum. Sollte ich ihr erzählen, dass ich möglicherweise ihre Schwester gepimpert hatte? Ich hörte lieber weiter geduldig zu. Zu meiner Beruhigung wanderte ihre Knarre in die geräumige Marken-Handtasche. Meine Eier hätten ihr auf der Stelle huldigen können. Sie setzte sich um, links neben mich, lehnte sich an meine Schulter. Sie erzählte mir, ihre Schwester habe sie in der fraglichen Nacht noch angerufen und berichtet, dass sie endlich den Mann gefunden habe, der sie so mochte, wie sie war.
»Was habe ich mich gefreut für meine Schwester! Sie müssen wissen, seit ihrer Scheidung überkam sie nach und nach die Einsamkeit. In der Nacht klang sie glücklich, wie ewig nicht mehr. Sie hat zwei Kinder ... Ach, entschuldigen Sie bitte, ich heule Ihnen die Ohren voll und habe mich noch nicht vorgestellt, wie unhöflich von mir. Mein Name ist Audrette Miller.«
»Audrette? Was für ein hübscher Name. Ausgefallen. Ich bin Amos Cappelmeyer aus Thüringen, aus der verträumten Gemeinde Floh-Seligental.«
»Hocherfreut, Herr Cappelmeyer aus Floh -was?«
»Floh-Seligental. Keine Sorge, das kennt kaum jemand. Sind Sie eine echte Amerikanerin? Ich meine nur, Sie sprechen hervorragend Deutsch.« Ihr Schmunzeln ließ mir das Herz aufgehen.
»In der Tat besitze ich die amerikanische Staatsbürgerschaft. Liegt daran, dass ich im Alter von elf Jahren mit meinem Vater in die Staaten gegangen bin. Meine Schwester blieb bei unserer Mutter.«
»Interessant. Dürfte ich nach dem Namen Ihrer werten Schwester fragen?«
»Meine Schwester hieß Hellen, Hellen van Dijk. Wieso?«
Der Tränenfluss war nicht mehr zu bremsen, wie ein alter Köter heulte ich das Lokal zusammen. Schließlich hatte sie doch noch einen echten Namen bekommen.
Das Schießeisen bohrte sich zum zweiten Mal unerbittlich in meine Eier. Jetzt war ich geliefert.
»Was soll der Bullshit?« Ihr Blick wurde eiskalt, hasserfüllt.
»Oh nein, das ist ein Missverständnis! Hören Sie ...« Es gab nur den einen Ausweg, nämlich ihr alles anzuvertrauen. Ich begann mit den Ereignissen im Verlag. Dass ich ein drittklassiger Autor war, einen packenden Roman innerhalb von sieben Tagen abzuliefern hätte und dafür eine stattliche Summe einstreichen konnte. Im Falle meines Scheiterns, verlöre ich mein Haus im Grünen. Sie legte nachdenklich den Zeigefinger an ihre Nasenspitze.
»Was ist das für ein Quatsch? Warum dein Haus? Verstehe ich nicht.«
»Was weiß ich. War mir egal, habe nur die verdammten Euros gesehen.«
»Na schön. Aber soll das ein Zufall sein? Von einem solchen Vertrag habe ich noch nie gehört. Ist was Besonderes an deinem Haus, Cappelmeyer?«
»Nein, ganz und gar nicht. Es ist alt. Ich habe ein nettes Grundstück, die Luft ist sauber, mehr nicht.«
»Klingt aufregend«, grinste Audrette. »Schön blöd, in einer Woche einen kompletten Roman schreiben zu wollen.«
»Finde ich nicht. Na ja, also ...«, stotterte ich betreten. »Der schon wieder.« Der Hüne kreuzte erneut auf, mit hochrotem Schädel, hatte sich wohl am Kiosk um die Ecke Mut angetrunken.
»Der nervt.« Audrette spannt den Hahn ihrer Knarre. Sie war es leid, von dem hirntoten Mammut unhöflich von der Seite angequatscht zu werden, und richtete den Lauf auf seinen rasierten Schädel.
»Sehen Sie nicht, dass hier zwei kultivierte Erwachsene ernsthafte Gespräche führen?« Mit gewichtiger Stimme forderte sie den Neandertaler auf, lieber seine Alte anständig zu vögeln, dann würde die auch keine alten Säcke derart herablassend behandeln.
Bravo. Meine Meinung. - Bis auf den Teil mit den alten Säcken ...
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