»Klar, ich bin hier.«
»Sollte Ihnen noch etwas einfallen ist hier meine Karte.« Ich nahm die billige, weiße Visitenkarte entgegen und ließ sie auf das Tischchen fallen, weil ich sie eh nicht brauchen würde. Dann setzte ich den Wodka an, trank bis zur Neige. Sogleich bestellte ich eine weitere Flasche und befasste mich mit der Frage, wer in der Lage war, auf diese abartige Weise zu morden? Ich begriff den Sinn dieser Tat nicht. Mein Zerwürfnis mit der Welt hatte einen entscheidenden Wendepunkt erreicht. Im Hier und Jetzt zählte nur die Betäubung.
Irgendwann fiel ich volltrunken um. Im Geiste erschien mir die schöne Unbekannte, verabschiedete sich mit zarten Worten:
»Amos Cappelmeyer, vergiss mich nicht, bitte!« Dann Stille, nichts als Stille, die mir Frieden brachte.
Verkatert wachte ich am frühen Nachmittag, auf der Bettkante sitzend auf, was sehr eigenartig war, und fuhr zusammen. Mit verklebtem Mund und aufgedunsener Zunge entschlüpfte es mir:
»Du meine Güte, haben Sie mich ärschreckt ! Aber verdammt, was suchen Sie in meinem Zimmer?«
»Wir haben noch einige Fragen an Sie. Dazu müssten Sie mich allerdings aufs Revier begleiten«, entgegnete der höfliche Polizist neutral.
»Kommt nicht in Frage. Bin doch nicht wahnsinnig.« Ich hatte eine reine Weste, war nur noch zu alkoholisiert, um überhaupt etwas zu sagen, geschweige zu schreiben.
»Sie weigern sich also?« Mühsam zwang ich meine Stimmbänder, mir zu gehorchen, und formulierte folgenden Ausspruch:
»Ich will nicht unhöflich sein, doch ich gehe nirgends hin. Ich habe mir gestern die Kante gegeben, nachdem die Bolizei mir unterbreitet hatte, wer die Tote war. Ein chinesisches Sprichwort besagt: »Das Leben meistert man lächelnd oder überhaupt nicht«, und jetzt verzieh dich aus meinem Zimmer, du Lutscher !«
Seine Höflichkeit fand ein jähes Ende. Ich hätte gewarnt sein müssen.
Seine Faust prallte ungebremst in meine Visage, Blut spritzte. Ich sank zu Boden. Bevor ich Gelegenheit bekam, die Auslegeware voll zu bluten, zerrte der Befehlsempfänger mich auf die Bettkante. Mir dröhnte der Schädel. Auch das Anbrüllen meiner Person von Angesicht zu Angesicht brachte keine Lösung. Ich durfte nur seinen üblen Atem riechen. Irgendwas mit Zwiebeln und Knoblauch, was für ein Gestank. Mir wurde noch elender. Überheblichkeit, verbunden mit einer Portion Frechheit, sollte den Tag rasch enden lassen, indem ich mit der Hand vor meinem Riechorgan herumwedelte.
Meine Liebste war bereits gestorben, warum nicht ihr folgen! Mein ausgestreckter Mittelfinger rief bei dem Kiberer das Rote im Auge hervor. Sein Gesicht verzog sich zu einer aggressiven Fratze. Eingeschüchtert war ich keinesfalls, bis erneut eine Faust Kontakt zu meinem linken Auge aufnahm. Mein Ich verabschiedete sich in die Dunkelheit ... Knock-out in der zweiten Runde, dabei sackte ich zu Boden. Der Polizist hatte ein neues Hobby gefunden, nämlich meine Fresse zu polieren. Mittlerweile war ihm der Teppich egal. Später verließ er den Raum, mit einem Gruß von Alfred.
Hä? Hatte ich richtig gehört? Wer zum Geier war dieser ominöse Alfred?
Konnte nicht einmal etwas halbwegs glatt laufen in meinem Leben?
Dann versank ich im Land der Finsternis.
Wie lange war ich weg gewesen?
Ich erwachte und ein Geräusch ertönte, das ich nicht zuordnen konnte. Krampfhaft versuchte ich, mich zu konzentrieren. Was war das nur? Gnädigerweise legten meine Gehirnzellen schließlich die Lösung parat:
Das Zimmertelefon schrillte bis zum Erbrechen. Unter brutalen Schmerzen, mit letzter Kraft hievte ich mich so weit hoch, dass ich nach dem Hörer langen konnte:
»Wer stört?«
»Herr Cappelmeyer? Frau Seeling, vom Verlagshaus Kniebrecht in München«, flötete eine weibliche Stimme. »Wir wollten uns erkundigen, wie Sie vorankommen mit Ihrem Werk. Es bleibt schließlich nicht mehr viel Zeit übrig. Können Sie uns eventuell schon etwas dazu berichten?« Ganz mieses Timing, schrie ich innerlich gequält, antwortete jedoch gewohnt optimistisch, direkt raus:
»Frau Seller, Schätzchen, pass mal gut auf: Mein Abgabetermin ist in fünf Tagen, wenn ich nicht irre? Also, warum nerven Sie derweil nicht einen anderen Autor, Sie Nymphe? Und rufen Sie bloß nicht wieder an!«
»Ich darf ja wohl sehr bitten! - Weder heiße ich Seller noch bin ich Ihr Schätzchen, Sie schmieriger alter Sack! Was bilden Sie sich ein?«
Jetzt hatte sie sich bestimmt ins Höschen gemacht, ihre überdrehte, schrille Stimme verriet sie. Aber, ob es mir nun gefiel, oder nicht, war es ein Weckruf, endlich mit meiner Arbeit loszulegen. Nur worüber schreiben? Noch immer hatte ich kein Thema gefunden. Ideen waren bei mir auf der Flucht, oder sollte ich sagen, es hing ein Fluch über mir.
Wie auch immer, ich brauchte eine Dusche. Im Spiegel erkannte ich mich selbst nicht mehr. Das Wasser hämmerte auf meine mit Blutergüssen übersäte Haut. Am übelsten war mein linkes Auge zugerichtet. Damit konnte ich kaum etwas sehen, nur durch einen schmalen Schlitz und auch nur verschwommen.
Der Schweißgeruch war abgewaschen, das Blut der vergangenen Stunden den Abfluss hinuntergespült. Nur zwei jämmerliche Sätze frische Wäsche füllten meine Reisetasche? Ich streifte mir die Sachen über, ein quietschbuntes Hawaiihemd und eine Kaufhallen-Niethose, der Hut durfte auf keinen Fall fehlen. Jetzt sah ich endgültig wie ein verwegener Gangster aus, fehlte nur noch ein adäquates Schießeisen im Hosenbund. Heute lastete die alte Jacke unendlich schwer auf meinen Schultern, was ich mir durch die Prügelmale erklärte.
Ich verließ das Zimmer, mein Bedarf an Dresche war gedeckt. Den Hut tief ins Gesicht gezogen, suchte ich die Flucht aus dem Hotel. Doch kurz vor dem Ausgang wurde ich aufgehalten.
»Herr Cappelmeyer, nicht so hurtig! Hier ist eine Nachricht für Sie.« Im Eingang überreichte der Concierge mir einen schmierigen Zettel, der unbedarft in die Innentasche der Jacke wanderte.
»Danke«, murmelte ich zwischen geschlossenen Lippen.
Die Sonne brachte alles an Licht hervor, sodass ich für einen Moment nur wenig von meiner Welt zu sehen in der Lage war. Vergeblich probierte ich, die Hutkrempe noch tiefer zu ziehen. Ich hatte einen Plan: Einfach geradeauslaufend, suchte ich die nächstbeste Konditorei, ein Konzept, das in jeder Stadt früher oder später zum Erfolg führte. Mich dürstete nach einer gepflegten Tasse Bohnenkaffee. Die Menschen, die mir entgegenkamen, rümpften die Nase und schlugen weite Bögen um mich. Mir war eh nicht nach Reden, besonders nicht, nach den letzten Stunden.
Den ohne Wurzeln wird der Wind davontragen. (Unbekannt)
Die Frau im Café trug Trauer und haderte mit sich selbst, dabei starrte sie in ihren Latte Macchiato mit Sojamilch. Sie saß zurückgezogen in der hintersten Ecke bei den Toiletten, was nicht bedeutete, dass sie nicht mitbekam, was um sie herum vorging.
Beobachten gehörte zu ihrer Natur.
Da war diese junge Kellnerin, die Zoff mit ihrem Macker hatte, einem äußerst unangenehmen Typ, der aus seinen Eifersüchteleien keinen Hehl machte. Sie fragte sich, wie verkommen die Welt war. Als Vorgesetzte hätte sie den Störenfried längst nach draußen befördert.
Sie rührte noch einmal in ihrem allenfalls lauwarmen Getränk. Wie hatte sie hier landen können?
Eine rhetorische Frage, auf die sie die Antwort nur zu gut kannte. Sie war nach Wien gereist, um Abschied von ihrer großen Schwester zu nehmen. Die Geschwister hatten sich nicht sonderlich nahe gestanden, nicht wie es Schwestern sollten. Zwar telefonierten sie regelmäßig, aber die Distanz war einfach zu groß. Die Frauen lebten in verschiedenen Zeitzonen. Aber sie erschien als Letzte in der Anruferliste der Verstorbenen, der Grund, warum sie jetzt in Österreich war und nicht zu Hause oder wenigstens in einer pulsierenden Metropole wie Berlin oder Hamburg. Sie musste Hellen die letzte Ehre erweisen.
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