»Liebes, lass mir entweder die Chance mich zu erklären oder ich beende das Gespräch.«
Kleinlaut antwortete sie: »Ist ja gut. Entschuldige bitte. Ich habe gerade mit Magnus telefoniert und er hat es mir gesagt. Papa, was soll das?«
Wilhelm Engwald atmete tief durch. »Weißt du, Liebes, ich habe gespürt, wie wichtig er dir ist und dass du Angst hast, ihn zu verlieren. Als du mir erzählt hast, wie befangen ihr beide seid oder wart, ob der Gesamtsituation und im Speziellen wegen deiner Reise, hatte ich das Bedürfnis, ihn kennenzulernen, ihm das Gefühl zu geben, dass er hier nicht allein ist.«
Sie seufzte. »Das ist lieb von dir. Ich bin nur solche Alleingänge von dir nicht gewohnt und habe mich gefragt, was dich dazu bewogen hat.«
»Das weißt du ja jetzt. Sei unbesorgt. Ich werde ihn schon nicht aus der Spur bringen. Und jetzt erzähl! Wie ist es dir ergangen?«
»Hakim trägt es mit Fassung. Er ist wunderbar, wie immer. Ich glaube aber inzwischen, dass er auch ganz froh ist, dass wir reinen Tisch gemacht haben. Anfänglich schien er noch irritiert, aber ich schätze, es tut uns beiden gut, zu wissen, woran wir sind. Ich habe ihm von Magnus erzählt und meinen Gefühlen für ihn. Wir konnten beide loslassen.«
»Das ist gut. Weiß Magnus es?«
»Verklausuliert ja. Wirklich aussprechen werden wir uns wohl erst nach meiner Rückkehr. Aber das ist in Ordnung.«
»Schön. Also bist du mir auch nicht mehr böse?«
»Nein. Nur sag mir bitte demnächst vorher Bescheid, ja?«
»Versprochen.«
Erleichtert beendete Victoria das Telefonat. Alles lief wieder in die richtige Richtung. Für Hakims Kartellproblem hatte sie bereits eine Lösung im Hinterkopf, vielmehr einen Lösungsansatz, aber gleich beim Lunch würde sie ihm die Idee unterbreiten und gemeinsam könnten sie an der Ausgestaltung arbeiten.
Auf dem Weg zu seinem Büro lief ihr Hasan über den Weg.
»Hey, schön dich zu sehen«, begrüßte er sie, Küsschen links, rechts, links.
Sie herzte ihn. »Schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?«
»Hervorragend. Und wie ich sehe und höre, scheint es dir auch bestens zu gehen?«
»Prächtig. Du hast also schon mit Hakim gesprochen?«
»Habe ich. Er hat mich quasi abkommandiert, um dir zur Verfügung zu stehen. Im Moment ist er im Gespräch, aber er hat mich gebeten, dir auszurichten, dass er heute gern mit dir zu Abend essen und dann auf den Yas Marina Circuit möchte.«
»So, möchte er das ... Ich kann mir denken, warum.« Victoria freute sich. Die Formel-1-Rennstrecke in Abu Dhabi war berüchtigt für ihre hängenden Kurven und den heißen Asphalt. Auf dem Kurs machte der McLaren sicherlich einen Riesenspaß, dafür nahm sie auch gern die gute Stunde Anreise in Kauf, die ihnen von Dubai bis Abu Dhabi bevorstand. »Möchtest du mit mir zu Mittag essen?«, fragte Hasan.
»Gern. Bleiben wir hier oder wolltest du auswärts lunchen?«
»Ich bin für hierbleiben. Für morgen kann ich aber gern einen Tisch im At.Mosphere reservieren!?«
»Klingt prima. By the way, hast du dich in den Fall schon eingearbeitet oder soll ich dich beim Essen briefen?«
»Was denkst du von mir?« Im Gehen rempelte er sie freundschaftlich an.
»Hm. Wenn ich das auf frühere Begegnungen reduziere, denke ich, dass du nicht annäherungsweise weißt, worum es geht. Da du dir aber schon so oft eine Ohrlasche von Hakim abgeholt hast, kann es ja durchaus sein, auch wenn das irgendwie an ein Wunder grenzen würde, dass du mal ausnahmsweise deine Arbeit gemacht hast.«
»Du bist so weise ...«
Sie rempelte zurück. »Also?«
»Ich weiß, worum es geht. Erzähl mir beim Essen also lieber von Magnus. Arbeiten werden wir später noch genug.«
Um fünf verließ Magnus sein Büro und fuhr nach Hause. Der Tag war beinahe wie im Flug vergangen, das Telefonat mit Victoria hatte ihm den Vormittag versüßt und nun hatte er vor allem eins: Hunger. In einer Stunde würde er abgeholt werden. Ein bisschen kam er sich vor wie im Film. Aber da werden eigentlich die Frauen herumkutschiert. Bei dem Gedanken musste er lachen. Die Wohnungstür war gerade hinter ihm ins Schloss gefallen, als sein Handy klingelte. Tobias.
»Moin, Sportsfreund. Wollte nur mal hören, wie es dir geht. Alles klar bei dir?«
»Moin. Ja, eigentlich schon. Bin aber gerade quasi auf dem Sprung.«
»Victoria?«
»Ihr Vater.«
»Wow. Das geht ja fix. Hältst du um ihre Hand an?« Tobias kicherte wie ein Schulmädchen.
»Nein, er hat mich zum Abendessen eingeladen. Der Fahrer kommt um sechs und ich muss noch duschen.« So, Tobias, jetzt denk nach.
»Moment. Vater? Abendessen? Fahrer? In was für eine Welt tauchst du denn gerade ab?«
»So richtig geheuer ist mir das auch noch nicht ... Ich habe ziemlich komische 48 Stunden hinter mir, das glaub mal ...«
Magnus fasste die Ereignisse der letzten zwei Tage so gut es ging zusammen und hoffte, nichts Wichtiges vergessen zu haben. Tobias war verstummt.
»Bist du noch da?«
»Ja. So gerade eben noch. Du willst mir jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass du die Victoria Berg datest, sie unsere hochverehrte Frau Bundeskanzlerin für dich warten lässt, ihr Vater dich zum Abendessen einlädt und du hast sie noch nicht mal geküsst?«
»Doch.«
»Mann, Mann, Mann ... Was ist aus dir geworden?«
»Was meinst du eigentlich mit die Victoria Berg?«
»Hast du die etwa nicht gegoogelt bis jetzt? Mensch, Magnus ...«
»Nein, warum sollte ich?«
»Nach allem was ich über sie weiß, ist sie übelst reich, also wirklich übelst. Allein die Firma hat eine Bilanzsumme über einer Milliarde. Außerdem wird gemunkelt, dass sie sich aus einer Steueraffäre rausgekauft, mit ihrem Doktorvater geschlafen und ein Verhältnis mit Scheich Hakim bin Mohammed Al Hazim hat.«
»Hm. Das mit der Steueraffäre ist mir neu, traue ich ihr aber prinzipiell erst mal nicht zu. Was vor meiner Zeit war, soll mir egal sein und das mit Hakim hat sich erledigt.«
»Sicher?«
»Ich vertraue ihr.«
»Hast du bei Ilona auch. Ich würde sie an deiner Stelle gleich darauf ansprechen und sehen wie sie reagiert.«
»Ich bin allein mit ihrem Vater verabredet. Sie ist in Dubai, bei Hakim. Hab ich das nicht erwähnt?«
»Sag mal Magnus, hörst du dir eigentlich selber zu? Bist du so naiv oder tust du nur so?«
»Tobias, was soll das?«
»Klar, die ist wahrscheinlich ›beruflich‹ in Dubai. Und ihr Vater will dich ›nur mal kennenlernen‹. Du bist so unbedarft ...«
»Unbedarft genug zu glauben, du wärst mein Freund. Tobias, für mich ist das Gespräch an dieser Stelle beendet. Ruf an, wenn du wieder normal bist.« Ohne seine Reaktion abzuwarten, legte Magnus auf, warf das Handy auf die Kommode und ging ins Bad.
Es tat weh. Er hielt Tobias für seinen besten Freund und hatte eigentlich erwartet, dass er ihm den Rücken stärkte. Das Gegenteil war passiert. Ihm lief das warme Wasser wohlig über den Kopf und die breiten Schultern, als ihm bewusst wurde, dass sich sein Leben verändert hatte. Anders, als erwartet, aber er konnte deutlich die Zäsur erkennen. Fragte sich nur, ob Tobias am Ende des Tages noch Teil davon bliebe oder nicht.
Sechs Minuten vor sechs. Magnus kam aus dem Fünfzig-Parteien-Haus und sah sich um. Niemand da, zumindest niemand, der offensichtlich auf ihn wartete. Ein paar Teenager lungerten herum, schubsten einander durch die Gegend und nahmen keine Notiz von ihm, auch wenn Magnus in seinem Auftreten völlig deplatziert wirkte. Moritz hatte ihn gestern hier abgesetzt und versucht, ihn zu motivieren. Während seiner Studienzeit hatte er wohl eine finanzielle Krise erlebt, als er unabhängig vom Namen »von Eschberg« durch die Welt ging und er musste in ähnlichen Verhältnissen gewohnt haben. Was ihm aber nicht aus dem Kopf wollte, war die Tatsache, dass beide zur ungefähr gleichen Zeit mit dem Studium fertig gewesen waren und er selbst immer noch beziehungsweise erneut so lebte. Als sie sich verabschiedeten, schloss Moritz mit den Worten: »Magnus und Victoria. Der Große und die Siegerin. Den Mutigen gehört die Welt!«
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