Danach wurde es still und selbst gute Freunde begannen, sich von Susanne zu distanzieren. Die Katze war zu einem pechschwarzen Löwen mit gelben Augen geworden, der nach allen Händen biss, die ihm gereicht wurden. Susannes Mutter musste zusehen, wie sich ihre Tochter einem Wahn ergab.
Susanne versuchte, Roland gewaltsam am Leben zu halten. Dafür stoppte sie ihre innere Uhr und machte ihre gemeinsame Wohnung zu einer Art Voodoo-Schrein. Sie trug seine Sachen, saugte das Aroma in den Fasern auf wie Weihrauch und stellte ihr Dasein in den Dienst eines versessenen Götzendiensts. Der Ring mit dem winzigen Brillanten, den er ihr geschenkt hatte, machte sie zu ihrem heiligsten Relikt. Ihre Mutter und eine gute Psychiaterin brachten Susanne schließlich ab vom Dornenweg. Sie lernte, über ihre Ängste zu sprechen, und nahm der Bestie so die Nahrung. Sie schrumpfe, bis sie eines Tages in ihrem Käfig verkümmerte wie eine abgestorbene Nabelschnur.
Mit ihren Freunden kehrte auch Farbe in ihr Leben zurück. Der graue Himmel färbte sich blau. Susanne flog aus ihrem vereinsamten Nest mit geheilten Flügen. Auf langen Flügen teilte sie sich ihre Kraft ein. Susannes erster Halt war ihr Elternhaus. Dort konnten beide Frauen ihre Trauer teilen.
Das alles hatte sie hierhergeführt.
Das alles hatte sie durchgemacht, um noch einmal diese Magie zu spüren. Ohne dass Tränen kamen, die den Zauber wegspülten.
Susanne war an den Ort zurückgekehrt, an dem sie und Roland sich verlobt hatten. Ihre Mutter hatte ihr von dieser Idee abgeraten, aber Susanne hatte sich durchgesetzt. Sie lehnte sich gegen den morschen Holzzaun und atmete die laue Mailuft ein. Sie spürte Rolands Anwesenheit, spürte ihn in der warmen Brise, die ihr um die Nase strich.
Hier hätten sie Hochzeit gefeiert. Sie hätten den Bierlikör serviert, den es nur hier gab. Inmitten einer beschaulichen ländlichen Idylle. Susanne stand vor einer Kirche, wie nur Altbayern sie besaß. Das Feuerwerk wäre der Höhepunkt der Feier gewesen.
Bunte Blumen, die in der schwarzen Sternenwiese wuchsen und nur für den Augenblick blühten.
Plötzlich hörte Susanne ein Zischen wie von einem überhitzten Motor und das Bild, das sie sich von Rolands Autounfall gezeichnet hatte, verdrängte die ruhige Stille und drohte, sie zu erdrücken. Doch dann begannen sie zu wachsen. Blumen aus Licht auf schwarzem Hintergrund.
Jemand veranstaltete über ihrem Kopf ein Feuerwerk. Heiße Funken aus Metallstaub zerstoben in der Nacht.
Susanne weinte. So hatte sie es sich vorgestellt. Es sich für Roland gewünscht. Ein zauberhafter Moment für die Ewigkeit.
»Ich werde dich niemals alleine lassen«, flüsterte ihr Roland ins Ohr.
»Ich bin bei dir.«
Kaputter Abfluss
-1-
Am Montag hat es angefangen.
Die Spüle war bis zum Rand voll mit dreckigem Geschirr. Mit Nudeln und Käse verkrustete Teller und Töpfe der letzten sieben Tage.
Bügeln, Putzen, Saugen, Wischen. Jeden Tag nehme ich etwas anderes in Angriff. Zum Abwasch war ich diese Woche noch nicht gekommen. Normalerweise bemühe ich mich, nicht im Müll und Dreck zu versinken, aber manchmal bleiben Dinge eben auch mal liegen.
Wie bis Montag halt das Geschirr.
Noch bis vor einem Jahr hat mir meine Frau diese Arbeit abgenommen. Sie war schon immer für den Haushalt zuständig gewesen, ich dafür, dass etwas auf den Tisch kommt. Das hat sich auch mit meiner Rente nicht geändert. Ich habe dann eben danach geschaut, das Haus in Schuss zu halten und den Garten zu machen. Jetzt muss ich mich um alles kümmern.
Ich habe die Spüle mit Wasser volllaufen lassen, damit der Käse quillt und die Reste aufweichen, als mir plötzlich ein Geruch aufgefallen ist.
Irgendetwas hat nach faulen Eiern gerochen. Nach Schwefel.
Zuerst habe ich gedacht, dass ich vielleicht doch etwas zu lange mit dem Abwasch gewartet habe. Ich hätte gedacht, dass die Reste einfach schon begonnen hatten, zu faulen. Aber das war es nicht. Ich habe die ganze Woche nichts mit Ei gegessen.
Ich habe also an dem bekackten Atlantis aus Geschirr gerochen. Ich hab‘ einen ordentlichen Zug genommen und plötzlich hat es so in der Nase gebrannt, als hätte mir jemand die Nasenhaare abgefackelt.
Der Geruch ist vom Wasser gekommen. Kruzifix! Ich hab‘ den Stöpsel gezogen und das Wasser abgelassen. Das Geschirr hab‘ ich mit einem Stahlschwamm abgekratzt und dann abgetrocknet (Meine Frau hätte mir den Hals umgedreht, hätte sie gesehen, dass ich ihre teuren Töpfe mit dem Stahlschwamm bearbeite). Und am Ende habe ich sogar noch die scheiß Spüle geputzt.
Vom Geruch, der aus dem Abfluss gekommen ist, ist mir schlecht geworden.
Ich hab‘ den Stöpsel wieder reingemacht, das Wasser aufgedreht und die Spüle nochmal randvoll gemacht.
Dieses Mal hätte mich der Gestank fast auf die Bretter geschickt. Das Wasser hat nach Kloake gerochen!
Noch am selben Tag habe ich Fritz angerufen. Fritz hat eine Klempnerfirma und muss seine Arschkerbe schon lange nicht mehr selbst entblößen. Obwohl er seinen Arsch nun die meiste Zeit an einem Schreibtisch parkt, hat er’s, was Sanitäranlagen angeht, immer noch drauf.
Fritz ist eine Stunde später gekommen und hat sich meine Spüle angesehen.
»Riecht, als wäre eine Ratte in deine Rohre gekrochen und verreckt!«, hat er gesagt. »Aber Scherz beiseite. Das kann es nicht sein. Höchstwahrscheinlich stimmt irgendetwas mit deinem Brunnen nicht. Vielleicht hat ein Bauer in der Nähe zu viel geodelt und die ganze Jauche ist dann ins Grundwasser gesickert. Oder es ist der Boden unter deinem Fundament. Wenn sich dort bestimmte Bakterien angesiedelt haben, kann es zu so einem Geruch kommen.«
»Und was mache ich jetzt dagegen, du Schlaumeier?«, habe ich gefragt.
Fritz hat mir den Vogel gezeigt und dann gesagt: »Ich lass‘ dir für die Woche mal einen Spezialfilter da. Wenn es damit besser wird, gut. Hoffen wir, dass der Geruch von selbst verschwindet. Besser, als das ganze Fundament aufzugraben oder deinen Brunnen trocken zu legen. Gefährlich ist der Geruch per se nicht. Trinken würde ich das Wasser bis auf weiteres nicht. Außer, wenn du’s vorher abkochst.«
»Und was ist, wenn der Geruch nicht verschwindet?«, habe ich gefragt. »Dann schaust du dir am besten mal deinen Brunnen an. Ich kann dir Stäbchen dalassen, mit denen du die Wasserqualität prüfen kannst. Aber mein Test gerade eben hat nichts ergeben. Dein Wasser ist hart, aber schadet einem nicht.«
»Genau wie mein Selbstgebrannter!«, habe ich da geantwortet. Ein flacher Witz. Aber eine so steile Vorlage habe ich mir nicht entgehen lassen können. Auch, wenn der Witz dann nicht abgehoben ist.
»Wie du meinst!«, hat Fritz gesagt. »Soll ich dir die Stäbchen dalassen?«
»Jetzt probier‘ ich erst den Filter aus!«, habe ich geantwortet. Den normalen Filter hat Fritz abmontiert und in der Spüle liegen lassen. Er ist von weißem Kalk verkrustet. Hat sich Lisbeth eigentlich auch um das Entkalken der Filter gekümmert? Der Filter, jedenfalls, hat auch nach faulen Eiern gestunken. Der neue Filter war so ein Teil aus Plastik – eine blaue-weiße Kapsel, die mit irgendeinem Pulver gefüllt war.
»Aktivkohle«, hat Fritz gemeint, als ich ihn gefragt hab‘. »Filtert alle Schadstoffe aus dem Wasser. Kriegst du in der Apotheke auch als Tablette. Hilft beim Entgiften. Meine Frau fährt voll darauf ab. Da macht es ihr auch nichts aus, dass man danach Briketts scheißt.«
»Aha!«, habe ich gesagt und ihm postwendend den Vogel gezeigt.
Am Schluss hatte er noch eine Frage: »Sag‘ mal. Stinkt nur dieser Hahn oder riecht dein restliches Wasser auch so?«
Das hatte ich überprüft, als ich auf Fritz gewartet habe. Ich habe alle Hähne im Haus aufgedreht, das Klo gespült und die Waschmaschine auf 30°C ohne Inhalt laufen lassen.
Читать дальше