1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Ringsum standen und funkelten Lichter in der tiefblauen, heißen Nacht, von denen man auf den ersten Blick nicht sagen konnte, ob sie dem Himmel oder der Erde angehörten. Vom Dachgarten aus sah man einen Abschnitt der zwanzig Kilometer langen Broadway-Schlucht, die ganz New York in zwei Teile spaltet: einen weißglühenden, klaffenden Schmelzofen, in dem farbige Feuer schwangen und auf dessen Boden mikroskopische Aschenteilchen entlang trieben: Menschen. Eine Seitenstraße in nächster Nähe blendete wie ein Strom flüssigen Bleis. Aus ferner gelegenen Querstraßen dampften lichte Silbernebel. Einzelne Wolkenkratzer erhoben sich gespenstisch weiß im Lichtscheine eines Platzes. Wiederum aber standen Gruppen von eng aneinander gedrängten Turmhäusern dunkel, schweigsam, wie riesige Grabsteine, die über die eingesunkenen verschwindenden Zwerghütten von zwölf und fünfzehn Etagen emporragten. In der Ferne am Himmel ein Dutzend Stockwerke mattblinkender Fensterscheiben, ohne daß das geringste von einem Haus zu sehen gewesen wäre. Da und dort vierzigstöckige Türme, auf denen matte Feuer lohten: die Dachgärten von Regis, Metropolitain, Waldorf Astoria, Republic. Rings am Horizont glommen schwüle Feuersbrünste: Hoboken, Jersey City, Brooklyn, Ost-New York. In der Spalte zwischen zwei dunklen Wolkenkratzern zuckte jede Minute ein doppelter Lichtstrahl auf, wie elektrische Funkennähte, die zwischen den Mauern übersprangen: die Hochbahn der sechsten Avenue.
Rings um das Hotel flimmerte das Feuerwerk der Nacht. Unaufhörlich schossen Lichtfontänen und farbige Strahlengarben aus den Straßen empor zum Himmel. Ein Blitz zerriß ein Turmhaus von unten bis oben und setzte einen riesigen Schuh in Brand. Ein Haus ging in Flammen auf und in den Flammen erschien ein roter Stier: Bull Durham Rauchtabak. Raketen jagten zur Höhe, explodierten und bildeten beschwörende Worte. Eine violette Sonne kreiste wie irrsinnig hoch oben in der Luft und spie Feuer über Manhattan, die bleichen Lichtkegel von Scheinwerfern tasteten nach dem Horizont und beleuchteten kalkweiße Häuserwüsten. Hoch oben am Himmel über dem blitzenden New York aber standen blaß, unscheinbar, elend, geschlagen, die Sterne und der Mond.
Von der Battery herauf kam ein Reklameluftschiff mit weichem Surren der Propeller und zwei großen Augen, eulenhaft. Und auf dem Bauch der Eule erschienen abwechselnd die Worte: Gesundheit! — Erfolg! — Suggestion! — Reichtum! — Pinestreet 14!
Drunten aber, sechsunddreißig Stockwerke tief unten, wogte ein Heer von Hüten um den Hotelblock, Reporter, Agenten, Broker, Neugierige — in der blendenden Lichtflut alle ohne Schatten — schwirrend vor Spannung, die Augen auf die Lichtgirlanden des Dachgartens gerichtet. Durch das fiebernde Stimmengewirr, das das Hotel umbrandete, drangen deutlich die Rufe der Broadway-Ratten, der Zeitungsausrufer, herauf: „Extra! Extra!“ Die „World“ hatte im letzten Moment ihren letzten und besten Triumph ausgespielt, mit dem sie alle anderen Journale überstach. Sie war allwissend und kannte das Projekt genau, das die Milliarden, die da droben schwitzten, vom Stapel ließen: eine submarine Postbeförderung! A. E. L. M.! America-Europe-Lightning-Mail! Genau wie heute die Briefe durch Luftdruck in unterirdischen Röhren von New York nach San Franzisko gepreßt wurden, sollten sie durch gewaltige Röhren, die wie Kabel gelegt werden würden, nach Europa geschossen werden. Über die Bermudas und Azoren! In drei Stunden! (Man sieht, die „World“ hatte Allans Reiseroute genau feststellen lassen.)
Selbst die ruhigsten Nerven hier oben konnten sich dem Eindruck der fiebernden Straße, des brodelnden und glitzernden New Yorks und der Hitze nicht entziehen. Alle wurden, je länger sie warteten, mehr oder weniger erregt und empfanden es wie eine Erlösung, als der blonde Hobby, der sich sehr wichtig gebärdete, die Versammlung eröffnete.
Hobby schwenkte ein Telegramm und sagte, daß C. H. Lloyd bedaure, durch sein Leiden abgehalten zu sein, die Herrschaften persönlich zu begrüßen. Er habe ihn beauftragt, ihnen Herrn Mac Allan, den langjährigen Mitarbeiter der Edison-Works-Limited und Erfinder des Diamantstahls Allanit, vorzustellen.
„Hier sitzt er!“ Hobby deutete auf Allan, der neben Maud in einem Korbstuhl saß, in Hemdärmeln wie alle andern.
Herr Allan habe ihnen etwas zu sagen. Er wolle ihnen ein Projekt vorschlagen, das, wie sie wüßten, C. H. Lloyd selbst das größte und kühnste aller Zeiten genannt habe. Herr Allan besäße Genie genug, das Projekt zu bewältigen, für die Ausführung aber brauche er ihr Geld. (Zu Allan:) „Go on, Mac!“
Allan stand auf.
Aber Hobby machte ihm ein Zeichen, noch einen Moment zu warten, und schloß, indem er einen Blick in das Telegramm warf: Er habe vergessen ... für den Fall, daß die Versammlung auf Mac Allans Projekt eingehe, beteilige sich C. H. Lloyd mit fünfundzwanzig Millionen Dollar. (Zu Allan:) „Now, my boy!“
Allan trat an Hobbys Stelle. Die Stille wurde schwül und drückend. Die Straße drunten fieberte wirrer und lauter. Alle Augen richteten sich auf ihn: das war also er, der behauptete, etwas Ungewöhnliches zu sagen zu haben! (Mauds Lippen standen vor Spannung und Angst weit offen!) Allan drückte seinem Auditorium durch nichts seine Wertschätzung aus. Er ließ den Blick ruhig durch die Versammlung wandern, und niemand hätte ihm die große Erregung angemerkt, von der er im Innern geschüttelt wurde. Es war keine Kleinigkeit, diesen Leuten den Kopf in den Rachen zu stecken, und sodann: er war alles, nur kein Redner. Es war das erstemal, daß er vor einer größeren und distinguierten Versammlung sprach. Aber seine Stimme klang ruhig und klar, als er begann.
Allan sagte zunächst, daß er, nachdem C. H. Lloyd die Erwartungen so hoch gespannt habe, befürchte, die Versammlung zu enttäuschen. Sein Projekt verdiene kaum größer genannt zu werden als der Panamakanal oder Sir Rodgers Palk-Street-Bridge, die Ceylon mit Vorderindien verbindet. Es sei, recht besehen, sogar einfach.
Hierauf zog Allan ein Stück Kreide aus der weiten Hosentasche und warf zwei Linien auf die Tafel, die hinter ihm stand. Das sei Amerika und das sei Europa! Er verpflichte sich, im Zeitraum von fünfzehn Jahren einen submarinen Tunnel zu bauen, der die beiden Kontinente verbinde, und Züge in vierundzwanzig Stunden von Amerika nach Europa zu rennen! Das sei sein Projekt.
In diesem Augenblick flammte das Licht der Photographen auf, die ihr Schnellfeuer eröffneten, und Allan machte eine kurze Pause. Von der Straße herauf kam wirres Geschrei: sie wußten, daß die Schlacht da droben begonnen hatte.
Es schien zunächst, als ob Allans Projekt, das eine Epoche in der Geschichte zweier Kontinente bedeutete und selbst für diese vorgeschrittene Zeit nicht alltäglich war, nicht den geringsten Eindruck auf die Zuhörerschaft gemacht habe. Manche waren sogar enttäuscht. Es schien ihnen, als hätten sie dann und wann schon gehört von diesem Projekt, es lag in der Luft wie viele Projekte. Und doch hätte es niemand noch vor fünfzig — wie sagst du? — vor zwanzig Jahren aussprechen können, ohne daß man darüber gelächelt hätte. Es gab hier Leute, die, während sie die Uhr aufzogen, mehr verdienten, als die Mehrzahl der Menschen in einem Monat, es gab hier Leute, die keine Miene verzogen, wenn die ganze Erde morgen wie eine Bombe explodierte, aber es gab hier keinen einzigen, der erlaubte, daß man ihn langweilte . Und davor hatten sie sich alle am meisten gefürchtet, denn, bei Gott, C. H. Lloyd konnte auch einmal versagen! Es wäre ja möglich gewesen, daß dieser Bursche irgendeine alte Sache auskramte, etwa, daß er die Wüste Sahara bewässern und fruchtbar machen wolle, oder sonst etwas. Sein Projekt war wenigstens nicht langweilig. Das war schon sehr viel. Besonders die Einsamen und Schweiger atmeten erleichtert auf.
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