Michael sah seine Mutter, die gedankenverloren Geschirr wegräumte, Mumme brachte, hin und her ging. Er dachte an die Worte Don Alfonsos. Nein, seine Mutter war glücklich mit ihrem Mann und uns Kindern. Gut, heute das hat sie doch wohl etwas mitgenommen. Siedend heiß kam es Michael in den Sinn: Das Wort Hexe war es. Ihre Mutter ist in Spanien, letztlich durch die Inquisition gestorben und es stimmt schon – Don Miguel kam in Celle durch die peinliche Befragung ums Leben. Ihm wurde klar, warum auch Don Alfonso nicht mehr so recht in Gang kam.
Anna war rührend besorgt um ihre Mutter. Sie spürte wohl, dass etwas nicht stimmte. Mein Schwesterherz, dachte Michael. Sie ist wirklich ein bisschen wie Mutter. Onkel Johann verlangte nach einem Schnaps. Er würde heute noch mehr davon trinken. Beim eigentlichen Schlachten war er nie dabei. Er kann kein Blut sehen, neckte ihn immer Bruder Hinrich. Obwohl er ja Landsknecht war. Johann sagte nie etwas dazu. Verschwand einfach und abends zum Schlachtfest war er wieder da.
Michael saß in der Runde, die ihn Gott sei Dank für einen Moment ausschloss, und konnte so seinen Gedanken weiter nachhängen. Sarah und Anna waren schon beim Aufräumen.
„Mutter, Vater, allesamt. Ich gehe ins Bett. Lasst Euch das Leben nicht durch diesen Kerl versauern. Er hat wohl einfach zu viel getrunken.“
Alle wussten, dass es nicht so war, auch Michael . Warum nur hat er so vehement den häuslichen Frieden gestört?, fragte sich Michael, als er die Stiege zu seiner Kammer hochging. Erst taucht plötzlich unser Halbbruder Heiner auf und jetzt das.
„Heini, kommst du?“, hörte er seine Mutter rufen.
*
Der Graf hat gesagt, das heißt, der Pfaffe hat es mir ausgerichtet, dass er mich praktisch als Meister einstellt. Dreifacher Lohn, Kost und Logis. Zwei Gesellen soll ich bekommen. Was sollte mich hier auch noch halten? Anna will ja unbedingt diesen Karl.
Otto verharrte noch einen Moment in der Diele. In der Küche war das Gespräch langsam wieder in Gang gekommen. Nicht mehr so munter, aber immerhin. Sie werden jetzt eine Weile über mich reden. Das wird reichen.
In der Diele stand die eisenbeschlagene Truhe. Otto hob den schweren Deckel an und sah auch schon das Buch des Handelshauses Don Miguel oben aufliegen. Was für ein Glück, dachte Otto. Er nahm das Buch an sich und verließ zielstrebig das Haus quer über den Hof in Richtung Werkstatt. Hoffentlich hat der Meister nicht abgeschlossen, aber notfalls muss ich eben Gewalt anwenden. So ein Schloss dürfte ja für einen Schmied kein Problem sein. Die Tür war, wie eigentlich immer, offen. Schlachmann muss an einem Gewehr arbeiten. Karl und Anna haben darüber gesprochen.
Otto musste im Raum herumtasten. Die Werkstatt war klein. Er wusste aber, dass rechts oder links neben der Tür ein Schrank oder Ähnliches war. Wenn der Meister die Tür offen hatte, konnte man gegenüber die Werkbank sehen. Da er nie eine Arbeit auf der Arbeitsplatte liegen ließ, verstaute er sie wohl im Schrank oder in einer Truhe. Das Vorhängeschloss war offen.
Welch ein Leichtsinn, schoss es Otto durch den Kopf. Es kam ihm nicht mal ansatzweise in den Kopf, dass Heinrich Schlachmann einfach Vertrauen in die Seinen hatte.
Otto fühlte die Umrisse einer Büchse. Da war sie, die Jagdbüchse, von der Karl und Anna gesprochen hatten. Der Graf wird mich belohnen. Er wollte ja eigentlich nur das Buch.
Das Handelsbuch war oft Gesprächsthema, wenn gemeinsam gegessen wurde. Da alle so ein Gewese darum machten, hatte Otto dem Grafen davon erzählt.
Hoffentlich hält Marga Wort und lässt mich rein. Sie ist zwar eine Hure, aber wir haben uns ja immer verstanden. Vor dem Morgengrauen komme ich jedenfalls nicht durchs Tor. Dann ein Stück zu Fuß hinaus und die Fuhrknechte des Grafen erwarten mich. So ist es geplant. Und so wird es kommen. Adieu, Meister Schlachmann und Adieu Anna.
Drei Monate waren ins Land gegangen. Der Winter stellte sich langsam darauf ein zu gehen, um dem Frühling das Feld zu überlassen. Michael und seine gesamte Familie näherte sich ebenfalls einem Wendepunkt – unaufhaltsam.
*
Der Mönch lehnte immer noch am Stamm der Heinrichslinde vor dem Dom. Vorsichtig trat er einen Schritt nach vorne. Er wollte Bewegungsfreiheit haben. Dann hob er ganz langsam die Armbrust. Endlich kann ich meinen Auftrag erfüllen. Gleich morgen schreibe ich an den Großinquisitor. Ich werde niemanden schonen. Der Racheengel wird euch alle vernichten.
Noch ein paar Schritte, Don Alfonso, dann fährst du zur Hölle.
Plötzlich blieb Alfonso abrupt stehen. Er schob etwas aufgeregt wirkend seinen Umhang hoch und nestelte an seinem Gürtel herum. Er hatte wohl etwas Wichtiges bei der Witwe vergessen. Er machte kehrt und ging schnellen Schrittes zurück.
Die sonst so fahle Gesichtshaut des Mönchs rötete sich. Er brauchte lange, um sich zu fassen und zu verstehen, dass seine Absicht, Alfonso zu töten, fürs Erste vertan war. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Rückzug anzutreten. Der Graf hatte Wort gehalten. Die Wachen öffneten ohne viel Umstände das Tor.
Das Jahr 1629 fängt ja gut an. Auf der anderen Seite ist es ein Vorteil, dass wir jetzt, Anfang März, die erste Gildeversammlung des Jahres haben. Da braucht es wenigstens keine außerordentliche. Die Nachricht, die ich da überbringen muss, ist allerdings alles andere als gut. Ach was, ich pfeif auf die Nachricht, um die prächtige Büchse ist es schade. Die ganze Arbeit, die drin steckt. Hmmh, ich werde wohl eine neue machen müssen, brummte Heinrich Schlachmann vor sich hin. Die Gilde will ja nun mal dem Herzog eine Büchse schenken. Naja, ist schon richtig. Vielleicht ermuntert das ja den Herzog und seine Sippe, mehr Aufträge zu erteilen.
Heinrich hatte keinen Blick für die Martinikirche, auch dem Rathaus der Altstadt schenkte er keine Aufmerksamkeit. Allein der Marienbrunnen kam ihm kurz in den Blick. Er war immer noch mit verharschtem Schnee bedeckt.
„Verdammter Winter“, murmelte Heinrich und betrat das altehrwürdige Gewandhaus durch die üppig gearbeitete schmiedeeiserne Tür am Ostgiebel und ging die paar Stufen hinab in das dort untergebrachte Wirtshaus.
Gleich dahinter hatte die Schmiedegilde, zu der auch die Büchsenschmiede gehörten, ihren Versammlungsraum. Eigentlich diente das Gewandhaus den Tuchhändlern als Lagerhaus. Auch einige Verkaufsläden waren an der Längsseite des Gebäudes untergebracht. Der Ostgiebel war vor ungefähr vier Jahrzehnten von einem gewissen Baumeister Lampe mit einer Schaufassade versehen worden, ganz im Renaissancestil.
All das war Heinrich im Moment völlig egal. Und doch fiel sein Blick zuerst auf die Löwen-Aquamanile der Braunschweiger Schmiedegilde, als er den Raum betrat. Ein aus Bronze gegossener, stilisierter Löwe, der immerhin schon mindestens sechzig Jahre alt war. Ein Gießlöwe, früher sogar mal ein Gebrauchsgerät.
„Auch unsere Altvorderen haben schon meisterliche Stücke hergestellt, nicht wahr, Meister Brennecke?“, begrüßte er ein Gildemitglied. Nicht wissend, was Heinrich gemeint hatte, nickte der und ermahnte die Umstehenden, sich zu setzen. Man wollte anfangen.
Heinrich als amtierender Gildemeister eröffnete also die Versammlung. Natürlich stand so allerlei auf der Tagesordnung. Man würde das vergangene Jahr besprechen, über die schleppenden Geschäfte reden, obwohl es eigentlich ganz gut ging und zum Schluss würde man die politische Lage erörtern und einige Humpen Mumme zu sich nehmen.
„Meister der angesehenen Gilde der Schmiede und Büchsenmacher“, eröffnete Heinrich nach vorgeschriebenem Ritual die Versammlung. „Ich muss heute einen Tagungsordnungspunkt hinzufügen. Ach was“, unterbrach Heinrich sich selbst.
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