Eines Tages bekam der Mönch dann den geheimen Auftrag von seinem Prior im Namen des Großinquisitors Robert Bellarmin. Er war daraufhin nahezu in Verzückung geraten. Konnte er sich doch fortan als Beauftragter der Inquisition fühlen. Als Bote Gottes - als Racheengel.
*
Nur wenige Tage nachdem Heiner in Hamburg aufgetaucht war, reiste der Mönch nach Braunschweig. Juan Salomon erzählte er, dass er nach Lübeck müsse, dort einen todkranken Onkel habe, ihn pflegen würde und schließlich wieder zurückkommen würde. Sein Sohn sei schon vorausgereist. Knurrend gewährte Juan Salomon seinem Schreiber seine Bitte. Der Mönch hatte zwar nicht die Absicht, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren, aber er wollte sich diese Option auch nicht ohne Not verbauen.
Der Mönch war mit nur leichtem Gepäck unterwegs. Er hatte eine knielange wollene Hose, ein oben geschnürtes Kutscherhemd und darüber eine Jacke an. Sein langer schwarzer Kapuzenmantel war in einem Beutel verstaut. Er schloss sich mal dieser und mal jener Reisegruppe an und erreichte schließlich die freie Reichsstadt und Hansestadt Braunschweig. Nach kurzem Aufenthalt und einigen unauffälligen Erkundungen verließ er die Stadt wieder. Südlich von Braunschweig, im Schöppenstedter Turm, eigentlich einer Schankwirtschaft, hatte er vorläufig Unterschlupf gefunden.
Der Zufall hatte es gewollt, dass er den geschwätzigen Pfarrer Jakob im Schöppenstedter Turm kennenlernte. Von diesem zu viel trinkenden Pfarrer erfuhr er so einiges. So auch, dass es offenbar nicht weit von der Schänke ein Gut in Lucklum gab, und einen Grafen, der irgendwie einen Groll auf den höheren Adel, die Städter und überhaupt auf alles hatte.
Pfarrer Jakob hatte den Grafen nicht lange überzeugen müssen. So ein Gast würde ein bisschen Abwechslung bringen und mit etwas Glück vielleicht so manche Neuigkeit über den Kriegsverlauf.
Der Graf spürte einen erstaunlichen Appetit, trotz der zügellosen Völlerei zu Ehren des Gastes am vorigen Abend. Einen Grund zum Saufen fand er ohnehin immer, auch wenn die Gicht anfing, ihn zu plagen. Noch erstaunlicher war, dass er sich offenbar Zeit nahm, mit seinem Gast zu sprechen – quälte ihn doch die von der Gräfin brutal erpressten Informationen. Er hatte einen Bastard unter seinem Dach genährt. Intuitiv glaubte er, den Mönch für seine Rache an Heinrich Schlachmann, am besten an seiner ganzen Familie, einspannen zu können.
Der Mönch überlegte seinerseits, wie er den Grafen in seine Pläne einbauen konnte.
So saßen sich also zwei Männer in der verwaisten Halle gegenüber, die sich gegenseitig von Nutzen sein könnten. Noch aber beäugten sie sich. Es roch nach Essen und nach Bier. Der Graf war schon wieder bei der Mumme angekommen, während der Dominikanermönch nur so tat, als ob er mithielte. Da der Mönch hatte verlauten lassen, mit dem Grafen etwas besprechen zu wollen, musste er den ersten Zug machen. Er tat es geschickt und bald wussten sie, dass ein gemeinsamer Feind zu bekämpfen, am besten zu töten war.
Der Mönch war es, nachdem er dem Grafen lange zugehört hatte, sich die Gegebenheiten in der Stadt Braunschweig hatte schildern lassen, der einen teuflischen Plan entwickelte. Er hatte natürlich nicht versäumt zu erwähnen, dass er im geheimen Auftrag der spanischen Inquisition unterwegs war. Der Graf, der sich nunmehr als Mitwisser einer geheimen Mission, wer weiß, was noch alles dahinter steckt, fühlte, stimmte erregt zu – ohne Wenn und Aber.
Schon am nächsten Tag fing er an, die verabredeten Vorbereitungen zu treffen.
„Michael sollte mithelfen. Die Waschküche muss hergerichtet werden“, schimpfte Heinrich so ins Blaue hinein und wuchtete die Schlachtbank aus schwerer Eiche auf den Hof. „Lass gut sein, Heini. Er wird sich mit Camann verquatscht haben.“
„Genau so ist es“, rief Michael und sprang mit einem Satz auf die Schlachtbank. Keiner hatte ihn gehört oder kommen sehen.
„Du bist ein Krieger“, flüsterte Johann vor sich hin und wusch weiter seine Molle aus.
Alle mussten mithelfen, wenn Schlachttag war. Johann allerdings verflüchtigte sich wie jedes Jahr, wenn es ans Eingemachte ging. „Schlachten ist nicht mein Ding“, sagte er dann nur und hinkte davon. Abends, wenn er zum Schlachtfest wieder auftauchte, spendierte er dann Heinrich einen Braunschweiger Taler. Davon ließ er sich von nichts und niemandem abbringen. Inzwischen nahmen das alle als gottgegeben hin. Genauso, wie er ja jeden Monat seinen Taler übergab, obwohl er das nicht brauchte - er wollte es so. Alle wussten oder ahnten, dass er aus dem Krieg einen Schatz, oder sollte man besser sagen, eine Beute, mitgebracht hatte. Jedenfalls war er unabhängig - Michael verstand das nur zu gut.
„Ich ziehe mich nur um, dann helfe ich Vater“, und schon war Michael in der Diele verschwunden.
Während er sich umzog, dachte er noch mal an das Gespräch mit Camann zurück . Allein sein Arbeitszimmer, wie er es nannte. Die Höhle eines Gelehrten. Überall waren Bücher. Bücher und nochmals Bücher und wie immer hatten wir einen Diskurs über die aktuelle Politik.
Bei so vielen Händen waren die Vorbereitungen bald beendet. Alle sahen dann aber zu, ins Bett zu kommen. Der eigentliche Schlachttag war arbeitsreich und lang. Zuweilen auch lustig. Michael malte sich den Tag, im gemütlichen warmen Bett liegend, aus. Er hatte seit seiner Kindheit beim Schlachten mitgeholfen. Hausschlachter Lampe sagte immer, er könne ihn gut als Gehilfen brauchen. Nun, er stellte sich tatsächlich geschickt an. Packte einfach zu.
Anfangen würde der Tag morgens um vier Uhr. Rein in die Klamotten und dann hinaus in die Kälte. Michael zog sein Federbett unweigerlich etwas höher. Es ging dann zum Bauern Mühlberg, gleich vor dem Gliesmaroder Turm. Man nahm immer den Ackerwagen, denn immerhin musste das Schwein samt Behälter transportiert werden. Knecht Alwin hatte in der Regel schon eingespannt. Seit einigen Jahren fütterten sie keine Schweine mehr selbst. Die Büchsenschmiede ließ dazu keine Zeit mehr übrig.
Bei Bauer Mühlberg angekommen ging es immer gleich in den Stall. „Das da. Mit dem schwarzen Kreis. Das ist Eures“, knurrte der Bauer dann jedes Mal. Ihm war es wohl auch immer zu früh. Das Schwein war mit einem verkohlten Stück Holz gekennzeichnet. Es wurde erst auf die Waage gestellt und dann quiekend in den Behälter bugsiert. Der kam schließlich auf den Ackerwagen.
Wenn Michael sich hätte sehen können, eingekuschelt in seinem Deckbett, hätte er einen jungen Mann mit einem ziemlich glücklichen Gesichtsausdruck gesehen. Ein Gesicht, das strahlte und Augen, die leuchteten.
Michael ging alles im Geiste durch. Das Handeln um den Preis, pro Kilo Lebendgewicht. Obwohl der ja schon vorher festgemacht wurde, aber das war das Ritual. Manch ein Bauer gab dem Schwein vorher noch ordentlich zu saufen, wegen des Gewichtes, aber Bauer Mühlberg war so etwas nicht zuzutrauen - wahrscheinlich. Dann wurde eingeschlagen und darauf musste der erste Schnaps des Tages getrunken werden. Und dann noch einen, denn auf einem Bein konnte man ja nicht stehen. Es war immerhin noch vor Sonnenaufgang.
Im Meinhardshof angekommen, ging es dann darum, dem Schwein erst mal einen Strick um einen Hinterlauf zu legen. Das war in der Regel Michaels Aufgabe. Das war nicht ungefährlich, je nachdem wie aufgeregt das Schwein war. Heinrich Schlachmann wollte das auch nicht unbedingt und er wollte erst recht nicht dabei sein, wenn Schlachter Lampe die Pike ansetzte und dem Schwein einen vor den Kopf gab, dass es umfiel. Dann hieß es schnell sein. Das Messer in die Kehle und mit zwei Mann rauf aufs Schwein und zu Boden gedrückt. Bis es aufhörte zu zappeln. Die zarte Anna war es, die immer die Molle hielt, in die das Blut floss. Sie musste es auch mit der Hand rühren, damit es keine Gerinnung gab. Später würde man es für die Rotwurst brauchen.
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