1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Mit seinen 180 Zimmern, die sich auf zwölf Stockwerke verteilten, bot es alle Annehmlichkeiten, die der internationale Gast in dieser Preisklasse suchte.
Und mit seiner grauen Glas- und Betonfassade zählte es zu den Gebäuden, die man im Vorbeifahren sah, aber nach spätestens 20 Sekunden wieder vergessen hatte.
Eine angenehme Eigenschaft, in einem Land, in dem Unauffälligkeit und Gleichförmigkeit zur Staatsräson erhoben waren.
Flugkapitän Mohamed Faizal gehörte zur zweiten Kategorie der Gäste.
Er hatte sich zum späten Frühstück an einem Tisch am Rande des Raums niedergelassen. Etwas abseits der hauptsächlich genutzten Gänge und mit Überblick auf das morgendliche Geschehen.
Die dunkelgraue Uniformjacke hatte er über die Lehne des Stuhls neben sich gehängt und die Ärmel seines Uniformhemdes waren bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt.
Trotz der mehr als zwölfstündigen Arbeitsschicht, die er hinter sich hatte, wirkte er relativ frisch und ausgeruht.
Aber als Berufspilot und Angestellter der Malaysia-Airlines war er es gewohnt mit ständig wechselnden Arbeitszeiten zu leben und Zeitumstellungen zu ignorieren.
Offizieller Arbeitsbeginn war für ihn am Vorabend gegen 22 Uhr gewesen.
Dem Zeitpunkt seines Eintreffens am 4345 Kilometer entfernten Kuala Lumpur International Airport.
Nach der üblichen Sicherheitskontrolle hatte er die folgenden eineinhalb Stunden mit Flugplan, Wetterbriefing, Crewbesprechung und Smalltalk verbracht.
Bevor er gegen 23 Uhr 50 zusammen mit seinem Copiloten Hassan Abdul Nassar die Boing 777-200 ER betrat, die sie gemeinsam mit 228 zahlenden Gästen und ihrer Kabinencrew nach Peking befördern würde.
Als routinierter Pilot hatte er gelernt, diese entspannten Nachtflüge zu genießen.
Die Passagiere waren zu müde um sich über jede Kleinigkeit aufzuregen. Die Stewards und Stewardessen erledigte lautlos und mit einstudierter Routine ihren Job und im Cockpit konzentrierte man sich auf das Wesentliche und versuchte hin und wieder mal ein Auge zumachen.
Auch ihr heutiger Flug von Kuala Lumpur zum Peking International Airport war routiniert und ohne jede nennenswerte Aufregung verlaufen.
Problemloser und fast pünktlicher Start in einen sternklaren Nachthimmel, beste Wetterbedingungen und 6 Stunden und 2 Minuten später eine Bilderbuchlandung in einer Stadt, die selbst zu dieser frühen Morgenstunde leuchtete und pulsierte wie kaum eine andere.
Nach dem Auschecken der Passagiere eine kurze Post-Flight-Besprechung, Übergabe der Maschine und des Papierkrams an die Bodencrew und die Fahrt mit dem Airline-Shuttle ins Hotel.
Tägliche und hundertfach erlebte Abläufe.
Aber trotz seiner mittlerweile 53 Jahre und der Erfahrung von über 18.000 Flugstunden, fiel es ihm auch nach solchen Routineflügen oft schwer, abzuschalten und sich direkt zum Schlafen in das Hotelbett zu legen.
Er liebte die Fliegerei und war mit Leib und Seele Berufspilot. Und selbst bei einem ereignislosen Flug wie heute benötigte er nach der Landung oft einige Stunden, um das ausgeschüttete Adrenalin wieder abzubauen.
Dann zog er es meistens vor, den Arbeitstag mit einer kleinen Mahlzeit und einem Schlummertrunk zu beenden, und seine Erfahrung sagte ihm, dass es der Mehrheit seiner Kollegen nicht anders erging.
Der Grund dafür, dass er die letzten zwei Minuten so offensichtlich lust- und appetitlos in dem vor ihm stehenden Rührei herumgestochert hatte, war ein Artikel im Star. Der größten Tageszeitung Kuala Lumpurs, die er am vorhergehenden Abend auf seinem Weg durch die Abflughalle gekauft hatte.
Die Schlagzeile über drei in Malaysia verhaftete Oppositionspolitiker prangte auf der aufgeschlagenen Seite vor ihm. Und mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen und gerunzelter Stirn überflog er zum zweiten Mal den halbseitigen Bericht darunter.
Leise murmelnd und sichtlich erregt strich er sich mit der Linken über das kahlrasierte Haupt.
Er war weder ein politisch noch ein religiös engagierter Mensch, aber er gehörte zur informierten und gebildeten Mittelschicht seines Landes.
Und die verfolgte die gesellschaftliche Entwicklung in dem 30 Millionen Einwohnerstaat mit seinen vielen und teilweise bis aufs Blut verfeindeten Religionsgruppen und zunehmenden Rebellenangriffen mit wachsender Besorgnis.
Die Spannungen in seinem Heimatland entluden sich in immer kürzeren Abständen in Gewalt. Und wie leider meist in solchen Situationen waren die Entscheidungsträger längst mehr mit Machterhalt und Selbstbereicherung beschäftigt, als mit den notwendigen politischen oder sozialen Reformen.
Eine brisante Mischung, die die Jugend seines Landes auf die Straße brachte und die früher oder später zu Pflastersteinen und Molotowcocktails auf der einen und zu Tränengas und Massenverhaftungen auf der anderen Seite führen würde.
Und die viele die es sich leisten konnten dazu trieb resignierend das Land zu verlassen und ruhigere Orte für sich und ihre Familien zu suchen.
Erst am letzten Wochenende war er mit einem jungen Copiloten geflogen, der ihm von Stellenangeboten und Umzugsplänen nach Europa erzählt hatte.
Der ihm vorgerechnet hatte wie viel Zeit und Geld er selbst in die Ausbildung zum Berufspiloten investiert hatte, und der nicht bereit war, dass alles für eine Regierung zu riskieren die ihrerseits nichts für ihr Volk unternahm.
Und Faizal wusste, dass viele der jüngeren und erstklassig ausgebildeten Menschen in seinem Land ähnliche Pläne hatten.
Warum auch nicht?
Und vor zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren hätte er mit Sicherheit genauso gedacht. Und möglicherweise auch sein Glück in Europa oder Nordamerika gesucht.
Aber heute?
Mit zwei mittlerweile erwachsenen Kindern, die längst ihr eigenes Leben führten.
Ein Leben zu dem er den Kontakt verloren hatte und in dem er, wenn überhaupt, nur als Randfigur vorkam.
Mit einer Ehe, die in Wirklichkeit nur noch auf dem Papier existierte und sich seit Jahren anfühlte wie eine lästige Pflichtveranstaltung.
Mit einem Freundes- und Bekanntenkreis, der den Namen schon längst nicht mehr verdiente und mit ständig wechselnden Beziehungen die maximal kurzzeitige Befriedigung aber nie langfristige Perspektive boten.
Zum letzten verlässlichen Anker in seinem Leben war für ihn die Fliegerei geworden.
Sein Job als Berufspilot, für den er so viel geopfert hatte und der es ihm ermöglichte, mit modernsten Maschinen kreuz und quer über den Globus zu fliegen und dieser immer verrückteren Welt unter sich ein paar Stunden zu entfliehen.
Und die Qualifikation zum Ausbildungspiloten, für die er lange und hart gearbeitet hatte. Er liebte es, mit jungen Menschen zu arbeiten und sein Wissen und seine Erfahrung weiter zu geben.
Und im Gegenzug dafür die Begeisterung zu teilen, die sie mitbrachten. Die er in ihren Augen sehen und die er so wohltuend nachvollziehen konnte.
Das war das Eigentliche, was ihn davon abhielt auch für sich nach einer anderen Orientierung und neuen Perspektiven zu suchen.
Es war nicht so, dass er selbst nie darüber nachgedacht hatte eine sich bietende Chance zu ergreifen und vieles hinter sich zu lassen.
Ballast abzuwerfen und etwas Neues zu probieren.
Meist hatte er solche Gedanken, wenn er zu Hause an seinem Simulator saß. Vor dem Flugcomputer, in den er viel Geld investiert hatte und der es ihm ermöglichte, auf Routen zu fliegen, die er als Pilot der Malaysia-Airlines nie erreichen würde.
Weil sie im Flugplan seiner Gesellschaft einfach nicht vorkamen.
Und mit dessen Hilfe er auf Flughäfen landete, die er im richtigen Pilotenleben nie zu sehen bekommen würde.
Entweder weil seine Airline sie nicht anflog, oder weil sie für große Passagiermaschinen nicht geeignet und nicht zugelassen waren.
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