Galileo
von Dieter Pueschel
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Baikonur, Kasachstan, 28.12.2005 03.45 Ortszeit
Juri Wassiljewitsch legte den Kopf in den Nacken und gönnte sich einen Blick in den kalten Nachthimmel.
Ihm war klar, dass dies für die nächsten Stunden seine letzte Gelegenheit auf eine Zigarette und einen Besuch an der frischen Luft sein würde.
In den fast zwanzig Jahren, die er jetzt als Raketentechniker auf dem größten Weltraumbahnhof der Welt im kasachischen Baikonur arbeitete, hatte er genügend Möglichkeit sich an die unregelmäßigen Arbeitszeiten zu gewöhnen.
Raketenstarts und ihre Vorbereitung ließen sich eben nur selten in einen normalen Achtstundentag quetschen.
Aber das hatte ihn nie gestört, im Gegenteil.
Er war durch und durch Techniker und arbeitete noch immer mit der gleichen Faszination und Ehrfurcht, die er empfunden hatte, als er zum ersten Mal die riesigen Montagehallen in Samara betrat.
In ihnen wurden die legendären Sojus-Raketen montiert.
Jene donnergrollenden Triebwerke, die der russischen Raumfahrttechnik so viel Achtung und Weltruhm eingebracht hatten.
In den ersten Nachkriegsjahren ab Oktober 1946 waren es etwa 600 deutsche Techniker, die mit ihrem Wissen den Grundstein für die Fabrik legten.
Sie stammten aus den ehemaligen Nazi-Rüstungsfabriken Askania, BMW und Junkers, und waren bei Kriegsende von den sowjetischen Besatzern gefangen genommen und nach Russland gebracht worden.
Das Potsdamer Abkommen vom August 1945 zwang sie für sieben Jahre in den russischen Ort Uprawlentscheski nahe Samara.
Ihre Kenntnisse aus Flugzeug- und Raketenbau und ihre Aufbauarbeit waren eine der wichtigsten deutschen Reparationsleistungen an die sowjetische Siegermacht.
Und sie ermöglichte ihr, den Anschluss an die bis dahin überlegene Technik des Westens zu finden.
Als Juri im Oktober 1982 als frisch gebackener Ingenieur zum ersten Mal die Fabrik betrat, war sie schon einer der wichtigsten Arbeitgeber der Stadt und das Herzstück und der Stolz der Raumfahrtnation Russland.
Und vom ersten Moment an hatte er gefühlt, dass diese Aufgabe seine Bestimmung war und ihn mit Ehrfurcht erfüllte.
Als Jahrgangsbester hatte er nach seinem Studium in Moskau in der ZSKB Progress, wie die Raketenfabrik offiziell hieß, eine Anstellung als Ingenieur bekommen.
Und damit die Möglichkeit, an der modernsten und gleichzeitig faszinierendsten Technik zu arbeiten, die es zu dieser Zeit gab.
Und mit seinen 21 Jahren war er jung, ehrgeizig und entschlossen genug um diese Chance zu nutzen.
Denn gerade jetzt brauchte die Sowjetunion ihre Raketentechnologie dringender als je zuvor. Deswegen stellte Moskau für den Rüstungswettlauf mit dem Westen fast unbegrenzte Mittel zur Verfügung.
Man selbst war vor drei Jahren in Afghanistan einmarschiert und nebenan in Teheran entwickelte sich die sogenannte islamische Revolution zu einem unkalkulierbaren Flächenbrand.
Aufgrund der zwischen den Supermächten gescheiterten SALT-2-Gesprächen, war im Westen der umstrittene Nato-Doppelbeschluss gefallen.
Und nach einem langweiligen Erdnussfarmer aus Georgia, polterte im Weißen Haus in Washington jetzt ein Kommunisten hassender Schauspieler aus Hollywood.
Das versprach goldene Zeiten für die Rüstungsindustrie.
Aber es war weniger sein Interesse für Weltpolitik als vielmehr seine jugendliche Begeisterung, die ihn antrieb.
Juri Wassiljewitsch nutzte die folgenden fünf Jahren und arbeitete sich hartnäckig vom schlichten Hilfskonstrukteur auf der Karriereleiter nach oben.
Dabei war es seine rasche Auffassungsgabe und die Fähigkeit sich in komplexe technische Zusammenhänge hinein zu denken, die ihm half, Vorgesetzten und Kollegen zu beeindrucken.
Er verstand es oft schneller als andere, zum Kern der Problematik vorzudringen und Lösungsansätze zu entwickeln.
Und dank der sowjetischen Planwirtschaft und ihrer verbohrten Ideologie gab es mehr als genug Probleme, die auf Lösungen warteten.
Anfangs hatten ihm diese Ideen dabei geholfen, die Montagevorgänge in seiner Abteilung sicherer und effizienter zu gestalten.
Damit hatte er es geschaffte, die hohen Fehlerquoten zu senken und die komplizierten Montagen verlässlicher und in kürzeren Fristen zu bewältigen.
Und Planerfüllung war in diesen angespannten Zeiten oberste Priorität.
Später führten seine Vorschläge dann zu Vereinfachungen der Konstruktionen und halfen mit, den bei der ZSKB-Progress gebauten Sojustriebwerken ihre sprichwörtliche Robustheit und Zuverlässigkeit zu verleihen.
Jene Qualitäten, die sie bis heute zu den Arbeitspferden der russischen und internationalen Raumfahrt machten, und die weltweite Anerkennung und wichtige Devisen brachten.
In Samara war es auch, wo er Alina kennen lernte.
Als jüngster Nachwuchsingenieur war es eine seiner Hauptaufgaben dafür zu sorgen, dass immer die aktuellsten Stücklisten und Montagezeichnungen zur Verfügung standen.
Deshalb war er fast täglich in den Planungsbüros und dem großen Zeichensaal unterwegs, um die Unterlagen zu besorgen und auf dem neuesten Stand zu halten.
Dabei hatte sie eines Tages plötzlich vor ihm gestanden.
Er war mit großen und sorgfältig zusammengerollten Zeichnungen unter beiden Armen auf die Ausgangstür des riesigen Büros zugesteuert.
Und während er noch danach grübelte, wie er dermaßen bepackt die Tür öffnen würde, schwang sie plötzlich von alleine auf und sie stand vor ihm.
Als sie seine hilflose Miene bemerkte, trat sie einen Schritt zur Seite und hielt ihm mit einem Lächeln die Tür auf.
Später erzählte er oft augenzwinkernd, er hätte bei dem Blick in ihre lachenden Augen am liebsten gleich alle Zeichnungen fallen gelassen, um auf der Stelle niederzuknien und um ihre Hand anzuhalten. Und er war sich sicher, dass sie ja gesagt hätte.
Aber sie lachte ihn dann jedes Mal aus und behauptete als anständiges Mädchen hätte sie ihn natürlich sofort aus dem Büro gejagt und ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen.
Wie dem auch sei, in den folgenden Wochen schaffte er es auf jeden Fall, häufiger in ihrer Nähe zu sein und ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Ihre warmen, dunklen Augen und ihr kastanienbraunes Haar, das halblang über ihren Schultern wippte, lösten dieses seltsame Gefühl in ihm aus, dass sich im Bauch anfühlt wie zu viel Brausepulver und im Kopf so, wie genau richtet dosierter Wodka.
Und selbst wenn sich die Silhouette ihres Körpers unter der vorgegebenen Arbeitskleidung nur schemenhaft erahnen ließ, reichte das zusammen mit dem Wippen ihres Hinterns doch aus, ihn einige Male am Schreibtisch in angenehme Träume zu entführen.
Zum Ausgleich lag er dann nachts oft wach, schaute an die Decke seines spartanisch eingerichteten Zimmers, und versuchte vergeblich, die Gedanken von ihr abzulenken.
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