Anscheinend gab es die Schutzanzüge der Spurensicherung nur in einer Einheitsgröße, und er wirkte mit hundertachtundfünfzig Zentimeter Körpergröße darin eher wie ein Kind, das sich den Malerkittel seines Vaters angezogen hat.
Die blauen Schutzhandschuhe die er trug und die über den Kopf gezogene Kapuze des Overalls sorgten dafür, dass nur noch ein rundlicher Ausschnitt des Gesichts zu sehen war.
Aber durch den ziemlich großzügig dimensionierten Schnauzer und eine markant runde Nickelbrille, war er trotzdem für jeden der ihn kannte, sofort und zweifelsfrei zu identifizieren.
»Sehr witzig, Bräuninger. Erstens heißt das worauf wir uns alle freuen Pension, und zweitens sind Sie da wohl näher dran als ich, richtig?«
»Ja, könnte hinkommen«, stimmte der so Korrigierte mit dem Anflug eines Grinsens zu.
»Bei mir sind es jedenfalls nur noch ein paar Monate.
Und ob Sie es glauben oder nicht, zu nachtschlafender Zeit die Tatorte von irgendwelchen Gewaltverbrechen zu besichtigen, wird mir am wenigsten fehlen. Da bin ich sicher. Dürfen wir reinkommen?«
»Klar, nur zu« nickte der schmächtige Kriminalist mit einer einladenden Handbewegung.
»Hier vorne haben die Mitarbeiter von der 112 schon ganze Arbeit geleistet.
Da können selbst Sie mit ihrer Schuhgröße 48 nicht mehr viel kaputt treten. Hinten brauchen die Kollegen noch ein paar Minuten, aber dann gehört der Laden Ihnen.«
Bräuninger setzte seinen Fuß auf den dicken Teppichboden, mit dem der Flur ausgelegt war, und registrierte das schmatzende Geräusch das entstand, als seine Schuhsohlen das Löschwasser aus der ehemals beigen Auslegeware verdrängten.
Vorsichtig machte er noch zwei Schritte in den Flur, um sich einen Überblick zu verschaffen.
»Wauhh….«, stieß er anerkennend hervor.
»Na das nenne ich mal renovierungsbedürftig.«
Geradeaus öffnete sich der Flur in einen großen Wohnbereich, der wohl von dem Brand am meisten betroffen war. Durch die Tür erkannte er das ausgebrannte Gerippe einer Sitzgruppe.
Der Ausschnitt der Wände, den er durch die Türöffnung sah, war schwarz und kahl.
Ein auf einem Stativ angebrachter Strahler erleuchtete die Szenerie notdürftig und von Zeit zu Zeit flammte das Blitzlicht einer Kamera auf.
Er konnte den Verursacher nicht sehen, wusste aber, dass es sich um einen Kollegen Feldmanns handelte, der alles, was sie am Tatort fanden, fotografisch festhielt.
An der rechten Seite des Flurs standen zwei Türen offen.
In dem Teil, den er vom hinteren Raum erkennen konnte, sah er den Umriss eines Kühlschranks und den Teil einer Arbeitsplatte.
An der Tür konnte er Brandspuren entdecken, aber die Möbel in der Küche schienen den Brand meist schadlos überstanden zu haben. Wahrscheinlich war die Tür genau wie die davor bei Ausbruch des Feuers geschlossen.
Auf der linken Seite des Flurs waren ebenfalls zwei Türen, die beide halb offen standen. An der Entfernteren erkannt Bräuninger einen Aufkleber der den Raum dahinter als »Bad« identifizierte.
An der Tür, die ihm am nächsten war, klebten eine weibliche und eine männliche Figur, was darauf schließen ließ, dass es sich um die Gästetoilette handelte.
Er ging mit einem weiten Schritt auf die Tür zu und öffnete sie vorsichtig.
Prüfend sah er in den Raum hinein und betätigte den Lichtschalter. Entgegen seiner Vermutung, dass die ganze Wohnung stromlos war, flammte die Deckenbeleuchtung auf und gab die Sicht auf ein, selbst für Bräuningers Geschmack, ziemlich lieblos eingerichtetes Gäste-WC frei.
Für ein paar Sekunden ließ er seinen Blick über die Einrichtung schweifen und trat dann ganz in den Raum. Er schloss die Tür hinter sich und betätigte die Verriegelung.
Folkerts, der seinem Chef vorsichtig in den Flur gefolgt war, sah ihm aufmerksam zu.
In seinen acht Wochen Mordkommission hatte er gelernt zu beobachten. Und er wusste, dass genau das von ihm erwartet wurde.
Sein Chef und auch die anderen Kollegen machten es ihm nicht immer leicht, das theoretische Wissen, das er mitbrachte, mit der praktischen Tätigkeit zur Deckung zu bringen.
Aber er hatte in den zwei Monaten zumindest gelernt, dass Bräuninger über einen riesigen Erfahrungsschatz verfügte und deshalb bei seinen Mitarbeitern hohen Respekt genoss.
Und wenn manche Handlungen und Überlegungen auch anfänglich manchmal etwas unkonventionell erschienen, war seine Erfolgsquote doch überdurchschnittlich.
Folkerts hatte den Ehrgeiz möglichst viel davon zu verstehen und zu verinnerlichen.
Und was die menschliche Seite seines Chefs anbelangte, versuchte er den Ratschlägen der Kollegen im Team zu folgen und möglichst wenig von den Launen des Hauptkommissars persönlich zu nehmen.
Er wusste mittlerweile, dass Bräuninger Sarkasmus und seine ständig üble Laune wahrscheinlich aus einer eigenen Unzufriedenheit her stammten, und hatte sich daran gewöhnt. Niemand hatte den Kriminalisten je lachen gesehen und jedem war klar, dass er die letzten Tage bis zu seiner Pensionierung zählte.
Nach einer Weile war die Spülung der Toilette zu hören und fünf Sekunden später trat der Mordermittler wieder auf den Flur.
Folkerts sah ihn erwartungsvoll an und hoffte auf eine Erklärung.
»Was haben Sie gemacht?« Fragte er, als er seine Neugierde nicht mehr zügeln konnte. Es schien, als hätte sein Chef die Anwesenheit des Assistenten mittlerweile völlig verdrängt.
»Schon mal gepinkelt?« Knurrte der Angesprochene, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
»Ja …. Ja klar …«, stotterte Folkerts ungläubig. »Aber an einem Tatort?«
Für Folkerts der frisch aus der theoretischen Ausbildung kam, war ein Tatort ein heiliger Ort. Hier hatte ein grausames Verbrechen stattgefunden und jeder einzelne Gegenstand war Zeuge dieser Straftat.
Hier wurde nach Fingerabdrücken, DNA und noch so kleinen Hinweisen gesucht, um die schrecklichste Untat aufzuklären, zu der ein Mensch fähig ist, um den Täter seiner verdienten Strafe zuzuführen.
Jede Verunreinigung oder Veränderung war natürlich so lange zu vermeiden, bis die Spurensicherung ihre Arbeit abgeschlossen hatte und kam vorher einer Entweihung gleich.
Die Einstellung seines Chefs schien allerdings wesentlich entspannter zu sein.
»Ja, ich weiß« schob er Folkerts Einwand beiseite.
»Hab ich meiner Blase ja auch erklärt. Aber bei dem vielen Regen und dem Löschwasser überall …. , da hat die Natur halt gesiegt.«
Ohne auf eine Antwort zu warten kehrte er seinem Assistenten wieder den Rücken zu und wandte sich an Feldmann.
Der war emsig beschäftigt kleine Markierungen zu verteilen, damit sein Kollege auch ja nicht vergas die entsprechenden Stellen zu fotografieren.
»Dann weih mich doch mal in deine Gedankengänge ein Feldmann und lass uns an den Erkenntnissen eurer Spurensuche teilhaben«.
Der Kriminaltechniker hielt kurz inne und sammelte seine Gedanken.
»Na ja, viel Berichtenswertes gibt es noch nicht.
Um ein Uhr vierzehn gab es den Alarm bei der Leitstelle.
Ein Passant hat Rauch und Flammen gesehen und einen Zimmerbrand gemeldet. Anschließend hat er Gott sei Dank die Bewohner aus den Betten geklingelt, so dass sich alle in Sicherheit bringen konnten.
Die Jungs von der 112 haben es ja nicht weit. Die haben dann wohl ihre C-Rohre in den vierten Stock geschleppt und ohne anzuklopfen die Tür eingetreten.
Der Truppführer sagte, der Brand wäre wahrscheinlich auch von alleine erloschen.
Es sah so aus, als ob jemand eilig ein paar Gardinen zusammen gerafft und angesteckt hätte. Aber halt nicht besonders professionell.
Dadurch, dass die Türen und Fenster geschlossen waren, ist dem Feuer wohl der Sauerstoff ausgegangen. Der Schwelbrand hat zwar die meiste Inneneinrichtung im Wohnzimmer zerstört, aber das war´s dann auch schon.
Читать дальше