Die Waffe an der Tür verstummte.
Mit viel Mühe schloss Storm ihre Prothese an das Diagnosegerät an. Das Gerät arbeitete eine Weile und fuhr dann die Prothese ordnungsgemäß herunter, um sie neu zu starten. Storm verlor einen Teil ihres Kurzzeitgedächtnisses und vergaß einen Teil ihrer Gedanken. Lebenswichtige Organe arbeiteten nicht mehr. Es fühlte sich scheußlich an.
„Was ist nun?“, drängelte die Kommandantin vor der Tür.
„Gib Ruhe, ich komme ja!“, schimpfte Storm respektlos. Ihre rechte Körperseite fuhr wieder hoch, und ein Backup ihres Kurzzeitgedächtnisses wurde eingespielt. Storm überwand eine leichte Verwirrung, als die alten Gedanken auf ihre neuen trafen. Dann schien alles wieder einwandfrei zu funktionieren. Bis zum nächsten Mal, dachte sie. Mit Bedauern erhob sie sich und öffnete. Zaya hielt in ihrer Bewegung inne und ließ die Hand fallen, mit der sie wohl gerade erneut auf die Tür schlagen wollte. Mit ihren 1,73 m war Zaya nicht klein, aber doch deutlich kleiner als Storm. Zayas brauner Zopf lag geflochten über ihrer rechten Schulter und sie schaute mit ihren braunen Augen verärgert zu ihr auf. Storm war amüsiert.
„Komm jetzt mit!“, zischte die Kommandantin. „Die Alte will uns sehen. Vollzählig!“
Sie fragt gar nicht, was mit mir los war, überlegte Storm. Wahrscheinlich hat sie es aufgegeben, sich mit mir auseinanderzusetzen. Dabei hatte Zaya ihr das Leben gerettet. Storm war kurz davor gewesen zu vergessen, dass sie gerade einen kybernetischen Kollaps erlitt. Danach hätte es kein Zurück mehr gegeben. Dann hätte sie das Diagnosegerät nicht angeschlossen und wäre friedlich eingeschlummert. Für immer. Also war Zaya schuld, dass sie diesen Mist weiter mitmachen musste, den sie Leben nannten. Storm würde Zaya das spüren lassen. Sie würde ihr jede verdammte Minute zur Hölle machen, die sie mit ihr verbringen musste. Und sollte sie doch ihren Termin mit der Admiralin alleine wahrnehmen. Storm überlegte, wie sie sich aus dem Staub machen konnte, aber Zaya wich nicht von ihrer Seite, bis sie die Schwelle zu Charlenes Büro überschritten hatten.
Char erzählte etwas von einem neuen Planeten, den die Crew erkunden sollte, um ein Handelsabkommen abzuschließen und möglichst Ersatz für die dringend benötigten Wandlerkristalle zu finden. Dazu sollten sie eine Xenopsychologin mit an Bord nehmen und den Botschafter. Die Xenopsychologin war anwesend und erklärte, dass sie mit ihrem Team den Funkverkehr der neuen Welt analysiert und die Sprache der Eingeborenen entschlüsselt habe. Automatische Übersetzer seien verfügbar. Sie riet aber dringend, die fremde Kultur noch weiter zu erforschen.
Char gab zu bedenken, dass sie nicht ewig Zeit hätten und dringend die Kristalle brauchten. Die Standardzeit zur Vorbereitung eines Erstkontakts sei von der Sternenlichtvereinigung auf vier Wochen festgelegt worden. Aurora sei nun schon fünf Wochen an der Sache dran. Ob es denn Komplikationen gäbe?
Storm ging das alles ziemlich am Arsch vorbei.
*
Protokoll des Gesprächs mit Major Zaya Karan
Sternenzeit 3166.05.23.15.30, Coach Juli
Turnusmäßig meldete sich heute Major Zaya Karan zum Pflicht-Coaching. Karan ist Kommandantin des Erkundungskreuzers Mag-5 und berichtete in früheren Gesprächen von Autoritätsproblemen mit ihrer Crew. Heute erklärte sie, sie sei mit leichten Kopfschmerzen erwacht und empfinde die Gesamtsituation an Bord der MAGELLAN als belastend. Alle hätten schlechte Laune, nachdem die Schiffsführung die nächste Mission vorgestellt hatte. Die schlechte Stimmung der Besatzung kann nach dem Scheitern unseres letzten Auftrags nicht verwundern. Besonders die Erkundungskreuzer hatten ja hohe Verluste zu beklagen.
Major Karan gab ihrer Verwunderung Ausdruck, dass ihr das Kommando über die Mag-5 nicht entzogen wurde. Schließlich sei die Mag-5 das einzige noch einsatzfähige Erkundungsschiff, und die Kommandantin der Mag-2 sei viel erfahrener und habe gerade nichts zu tun, da die Mag-2 noch in der Reparaturwerft festhinge. Was läge also näher, als die Crews auszutauschen?
Mir lagen alle Daten über Major Karan vor, deshalb wusste ich, dass sie die besten Zeugnisse und exzellente Referenzen von der Flottenakademie mitbrachte. Sie zeichnete sich durch überragende Intelligenz, charakterliche Stärke und körperliche Fitness aus. Ich fragte Major Karan, ob sie Ideen habe, warum sie das Vertrauen der Schiffsführung genieße. Sie antwortete wörtlich: „Ach, keine Ahnung, die glauben doch alle, ich sei zu jung für den Job!“
Auf meine Frage, worin sich das äußere, erklärte sie, dass sich das bei den meisten Mitgliedern ihrer Crew nicht offen äußere, umso mehr allerdings bei Leutnant Eden Sturm, auch genannt Storm, deren Verachtung sie ununterbrochen spüre.
Ich säte bei ihr den Gedanken, dass Storm ihre Verachtung ja vielleicht nicht nur gegen Major Karan, sondern gegen alle Menschen und insbesondere gegen sich selbst richte.
Karan griff meine Anregung auf und überlegte, ob Leutnant Sturm vielleicht deshalb ihre Kriegsverletzung so offen zur Schau trug. Moderne Prothesen konnten schließlich sehr echt wirken, sodass man sie kaum als künstlich wahrnahm. Storm habe aber eine Prothese aus unlackiertem Edelstahl gewählt, womit sie aussah wie ein halber Roboter. Sie trug auch keine Perücke und ließ die gelb gefärbten Haare auf ihrer biologischen Seite abstehen wie Stacheln eines Igels. Aber tat sie das aus Selbsthass, oder war es vielmehr ein verdeckter Hilferuf? Oder eine Anklage, dass man sie mit ihrer Kriegsverletzung alleine ließ?
Da Karan mich fragend ansah, gab ich die Frage an sie zurück: „Was meinen Sie? Haben Sie mit Leutnant Sturm schon einmal darüber gesprochen?“
„Das würde ich niemals wagen“, begehrte sie empört auf. „Storm reagiert absolut allergisch auf jede Art von Psychogedöns und würde hochgehen wie eine Granate!“
Ich nahm zur Kenntnis, dass meine Dienste unter den Besatzungen nicht allzu sehr geschätzt und als Psychogedöns abgetan wurden. Dies war aber keine große Überraschung für mich, da die Leute ja nicht freiwillig zum Coaching kamen, sondern weil es auf ihrem Dienstplan stand.
„Ich möchte eigentlich nur eins wissen“, fuhr Karan fort. „Warum wurde Storm ausgerechnet auf meinen Kreuzer versetzt?“
Ich kannte die Antwort, war aber leider nicht autorisiert, Major Karan über die Hintergründe von Leutnant Sturms Versetzung aufzuklären.
„Und warum wird sie niemals suspendiert, bei all den Dienstverstößen, die sie sich ununterbrochen leistet?“
Die Antwort darauf durfte ich ihr ebenfalls nicht geben. „Man traut Ihnen wohl noch am ehesten zu, mit dieser schwierigen Situation umzugehen“, sagte ich deshalb, um dem Ganzen wenigstens einen positiven Beigeschmack zu verleihen.
3 Erstkontakt
Gael Klein betrachtete die Mag-5, die mit ausgefahrenem Landeschacht ruhig vor ihr im Hangar stand. Wartungspersonal führte letzte Arbeiten aus. Auf ihrem Rumpf prangte der Name CLIFF ALLISTER MCLANE, und darunter stand in kleineren Buchstaben Mag-5. Daneben befand sich die LYDIA VAN DYKE, auch als Mag-2 bekannt. Sie war immer noch nicht einsatzfähig.
Während die Mutterschiffe nach berühmten Entdeckern benannt waren, hatte man den Erkundungskreuzern die Namen von Kriegshelden gegeben. Manche Besatzungen machten daraus eine große Sache, aber der jüngeren Generation, die den Krieg nicht mehr selbst erlebt hatte, ging das ziemlich ab. Für sie war die Bezeichnung Mag-5 genauso gut wie MCLANE, obwohl jener berühmte Namensgeber sogar einmal die Erde gerettet haben sollte. Am Ende hatte es ja nichts gebracht. Die Erde war durch die lange andauernde Kriegswirtschaft immer unbewohnbarer geworden und musste nach vergeblichen Rettungsversuchen aufgegeben werden. Nun drehte sie immer noch ihre einsam gewordene Bahn um die Sonne, und nur wenige Zurückgelassene fristeten dort ihr karges Leben. Ein besseres Symbol für die Sinnlosigkeit des Krieges konnte man sich kaum vorstellen. Aber die Menschheit hatte den Krieg ja nicht gewollt, er war ihr aufgezwungen worden.
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