Johannes Borer
Über Bock und Stein nach Santiago
© 2015 Johannes Borer
Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.deLektorat: Silke Voß Konvertierung: Sabine Abels: www.e-book-erstellung.deISBN 978-3-7375-4055-1
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.deabrufbar.
Nur Pilgern ist schöner als Fliegen
Ich bin ein Pilger. Seit vielen Jahren unterwegs auf geraden und krummen Wegen, auf Autobahnen, Sackgassen und Holzwegen, Haupt- und Seitenstraßen, über den Wolken und in seichten Gewässern und manchmal auch auf dem Jakobsweg. Dort habe ich Menschen getroffen, die aus ganz verschiedenen Gründen unterwegs waren. Manche laufen den achthundert Kilometer langen Spanischen Jakobsweg aus religiösen oder spirituellen Gründen, manche konzentrieren sich auf die sportliche Seite, manche interessieren sich für die Geschichte und einige verbringen einen kostengünstigen Urlaub. Genauso vielseitig wie die Beweggründe der Pilger sind die verfügbaren Informationen zu diesem Pilgerweg. In unzähligen Büchern, Internetblogs und Videos werden Wegbeschreibungen, Erfahrungen und Tipps widergegeben. Es scheint, dass schon alles gesagt und geschrieben wurde. Humoristische Bücher über den Jakobsweg gibt es allerdings nur wenige. Deshalb habe ich versucht, meine Erzählungen mit Humor zu würzen und mit Cartoons zu illustrieren.
Gibt es eine Bibelstelle, die beschreibt, wie Jesus seinen Jüngern einen Witz erzählt? Oder ihnen einen Streich spielt? Ich kenne keine. Es scheint, als habe Humor in der Bibel nichts verloren. Deshalb möchte ich keine religiösen Gefühle verletzen und werde keine kirchlichen Rituale kommentieren. Ich verzichte auf blasphemische Wortspielereien und Zeichnungen.
Ich bin katholisch, war mal Ministrant und wollte Missionar werden. Ich entschied mich anders und wurde Cartoonist. Vor Jahren habe ich Hape Kerkelings Buch »Ich bin dann mal weg« gelesen und mir vorgenommen, diesen Weg auch mal zu gehen. Mit bald fünfundsechzig Jahren habe ich von Mitte April bis Ende Mai 2014 diese Reise endlich realisiert.
Mein persönlicher Reisebericht vom Spanischen Jakobsweg soll unterhalten, die Lust aufs Wandern wecken und vielleicht Erinnerungen wachrufen. Ich empfehle dieses Buch allen Jakobsweg-Interessierten, Menschen, die den Weg noch vor sich oder bereits eigene Pilgererfahrungen gesammelt haben, und allen Daheimgebliebenen, Neugierigen und Lesehungrigen, die sich für Reiseberichte interessieren. Genaue Wegbeschreibungen oder Besprechungen kultureller Sehenswürdigkeiten finden Sie in diesem Buch allerdings nicht, hierfür gibt es ausgezeichnete Reiseführer.
Vor einer Urlaubsreise in ein fernes Land habe ich immer am Tag vor der Abreise ein paar Sachen in den Koffer geworfen und fertig war die Packerei. Beim Pilgern zu Fuß und mit der Ausrüstung auf dem Rücken war alles etwas komplizierter. Eine ganze Menge neuer Kleidungsstücke und Krimskrams musste gekauft und vorher getestet werden. Den Rucksack, den mir meine Tochter Vanessa ausgeliehen hatte, habe ich dann auf einer mehrstündigen Wanderung ausprobiert. An dem Gewicht von dreizehn Kilogramm hatte eine sieben Kilo schwere Bibel von National Geographic einen nicht unerheblichen Anteil.
Bisher bin ich immer ohne Stöcke gewandert. Zur Entlastung meines spinnigen Knies, wie ich es gern nenne, fand ich es sinnvoll, für meine Reise gefederte Trekkingstöcke zu kaufen und diese natürlich vorher zu testen. Nach langen Testläufen mit Wanderschuhen und diversen Sohlen habe ich mir eine Woche vor Abreise eine Sehnenscheidenentzündung eingefangen. Trotzdem wollte ich die Reise antreten. Würde ich die achthundert Kilometer zu Fuß schaffen oder sollte es eher eine Busreise durch Nordspanien werden? Alles war geplant und ich wollte es zumindest versuchen. Die sieben Minuten von zu Hause bis zum Bahnhof von Sion habe ich am ersten Tag jedenfalls locker geschafft.
Die Jakobsmuschel ist das Zeichen aller Jakobspilger. Meine Muschel habe ich gegen eine Spende von drei Euro im Pilgerbüro von Saint-Jean-Pied-de-Port bekommen. Als ich in Galicien den größten Teil des Weges hinter mir hatte, malte ich ein lachendes Gesicht darauf.
Der Lageplan des Spanischen Jakobswegs
Müder Start in Saint-Jean-Pied-de-Port
Morgens um neun Uhr hielt der Bus (wegen eines Bergsturzes fuhr kein Zug) im Pyrenäenstädtchen mit dem kuriosen französischen Namen: Heiliger Johannes mit dem Hafen am Fuß.
Auf der fast anderthalbstündigen Fahrt von Bayonne nach Saint-Jean-Pied-de-Port war ich ständig eingenickt und hatte von einem ruhigen Hotel irgendwo in den Bergen geträumt. Diese menschliche Schwäche hatte ich mir zugestanden, denn schließlich hatte ich bereits eine 16-stündige Busreise von Sion nach Bayonne hinter mir. Trotzdem führten mich die ersten Schritte direkt ins Pilgerbüro. Dort wurde ich vom holländischen Helfer Wim beraten, bekam meinen ersten Pilgerstempel und kaufte eine Jakobsmuschel. Ich beobachtete dabei ein deutsches Ehepaar, das sich überhaupt nicht einig war, wie es weitergehen sollte. In diesem Ort muss man sich nämlich erstmals entscheiden, welchen Weg nach Roncesvalles man nehmen will. Die anspruchsvollere »Route Napoléon« oder die etwas kürzere Originalroute mit deutlich weniger Höhenmetern, entlang der Passstraße.
Für mich, der ich mit einer Sehnenscheidenentzündung am rechten Fuß gestartet war und deswegen immer noch Pillen schluckte, war die Sache klar. Ich leide auch auf der einfachen Route genug und möchte mir in Santiago nicht auch noch das Märtyrerzertifikat abholen, sagte ich mir.
In einer Brasserie bestellte ich ein großes französisches Frühstück und machte mich für die ersten Pilgerkilometer bereit. An einem Nebentisch entdeckte ich das Paar (vielleicht war es gar kein Ehepaar). Sie waren sich immer noch nicht einig, welche Route sie nehmen sollten und stritten sich lautstark. Ihre Pilgerreise fing ja schon gut an! Er fühlte sich fit und schwärmte von der schönen Aussicht auf der »Route Napoléon« und sie war einfach nur müde und gereizt und wollte entlang der Passstraße nach Valcarlos.
Als ich später an diese Weggabelung kam, fragte ich mich, ob ich warten sollte, um zu sehen, für welche Variante sie sich schlussendlich entschieden hatten. Ich war zwar neugierig, aber viel zu müde und deshalb lief ich weiter. Wie würde es mit dem Paar wohl weitergehen? Die einfachste Lösung wäre gewesen, mal für einen oder zwei Tage getrennte Wege zu gehen. Vielleicht haben sie sich auch so verkracht, dass sie sich für einen konfliktärmeren Badeurlaub entschieden haben. Oder sie sind zu der Erkenntnis gekommen, dass es besser wäre, den ganzen Weg bis Santiago getrennt zu laufen. Im nächsten Jahr. Jedenfalls habe ich das Paar nie wieder gesehen.
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