Johannes Tilly
+++ Neue Nachricht +++
Liebe übers Internet
Dieses eBook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Johannes Tilly +++ Neue Nachricht +++ Liebe übers Internet Dieses eBook wurde erstellt bei
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
Impressum
1.
Christian Söndermann fährt seinen Laptop hoch...Yahoo zeigt ihm zuerst Klatsch und Nachrichten des Tages. Am Klatsch weckt nur das Doppelleben einer einst erfolgreichen amerikanischen Athletin als Prostituierte sein Interesse. Bei den politischen Nachrichten geht es wie immer um den Euro. Kann man nur verdrängen! Doch hier: Berlusconi will wieder kandidieren. Christian schüttelt den Kopf. Aber der > mehr...Button < ist diese Meldung nicht wert.
Er überfliegt sein mail-Postfach. Amazon und ein Yachtausrüster werben mit Sonderangeboten. Interessiert im Moment nicht. Kreditkartenabrechnung stimmt, zumindest grob. Er hat keine Lust, sich die auf den Cent genaue Abrechnung herunterzuladen.
Aber hier: facebook meldet eine Nachricht von Veronika. Kennt er nicht. Doch er klickt sie an. Facebook öffnet eine Maske, er drückt den mittleren Nachrichtenbutton, rechts neben dem Schriftzug facebook. Er liest:
Du hast ein interessantes Profil. Darf ich dich auf meiner Seite als Freund vernetzen ?
Liebe Grüße
Veronika
Links von diesen kurzen Zeilen erkennt er im Minibild eine schwarzhaarige Frau.
Er klickt es an und das Foto öffnet die Seite von Veronika Langhäuser. Eine schwarzhaarige Frau, mindestens 50, Durchschnitt.
Er klickt ihr Profilbild an und es eröffnet sich zum bildschirmfüllenden Foto. Ja, die großen Ohrringe sind schön und der Ansatz ihrer Brüste ist im Dekollete zu sehen. Sexy. Trotzdem nicht sein Beuteschema, denkt er. Aber eine weitere Interessentin an seinen Reiseberichten und Fotos von seinem Segeltörn durchs Mittelmeer.
Von Gibraltar aus einmal rund. Ein Lebenstraum, den er sich jetzt als Rentner erfüllt. Eine Reise durch die Vergangenheit. Durch 5000 Jahre menschliche Kultur. Durch das Binnenmeer des Römischen Imperiums.
Seine kleine Segelyacht Nirwana - Yacht ist bei einem 32 Fuß-Boot hoch gegriffen – liegt seit Oktober im Hafen von Bastia auf Korsika in einer Marina an Land aufgebockt. Die nächste Segelsaison beginnt im Mai des nächsten Jahres mit Arbeit. Das Unterwasserschiff benötigt einen neuen Antifoulinganstrich. Zwei schweißtreibende Tage.
Christian wischt die Gedanken zur Seite. Ja, als Leserin seines Profils ist diese Veronika ihm willkommen und er formuliert schnell eine Antwort auf ihrer Nachrichtenseite.
Hallo Veronika,
schön, dass mein Profil oder besser meine Reiseberichte dir gefallen, und gerne nehme ich dich als facebook-Freundin auf meine Seite. Ich selbst bin ein Streuner und nicht das, was die meisten Frauen suchen.
LG Christian
Er drückt den Antworten-Knopf und die Nachricht ist weg.
Jetzt noch schnell auf der Startseite überfliegen, was seine rund 300 facebook-Freunde so hinterlassen haben. Die meisten kopieren hier irgendwelche Bilder oder Nachrichten von anderen Seiten. Interessant sind höchstens die Kommentare dazu. Mancher ist ganz originell, viele wichtigtuerisch.
Doch hier ein neues Foto einer ehemaligen Mitarbeiterin. Er drückt den > Gefällt mir-Button <. . Soll sie sich freuen. Dieser Knopf müsste eigentlich heißen: > Habe es gesehen, habe es zur Kenntnis genommen <.
Der Feedback > Gefallen < ist typisch amerikanisch, denkt Christian, schließt seine facebook-Seite und fährt den Laptop herunter.
2.
Veronika Langhäuser sitzt am Schreibtisch und bereitet sich auf ihren Geschichtsunterricht an der Ernst Barlach Realschule in Miesenhain vor. Seit 30 Jahren ist sie jetzt Lehrerin, davon 25 an dieser Schule. Geschichte und Deutsch hat sie studiert, der Kunstgeschichte gilt ihre Leidenschaft.
Wenn sie im Unterricht mal ihren Schülern davon erzählen will, schauen ihr ahnungslose, gelangweilte Gesichter entgegen.
Geschichte ist schon eine Zumutung, aber die Ästhetik des romanischen Kaiserdoms in Speyer, es nervt..., wie die Schüler heute sagen. Veronika weiß das. Sie übertreibt es auch nicht. Manchmal überkommt es sie einfach. Noch ist sie begeisterungsfähig, neugierig auf alles Schöne und Interessante in dieser Welt. Warum sollte sie damals Lehrerin geworden sein, wenn sie diese Begeisterung nicht weitergeben darf?
Sie verscheucht diese Gedanken und konzentriert sich wieder auf ihr eigentliches Tun. Das Wachsen des Römischen Weltreiches heißt die Unterrichtseinheit für die nächsten 12 Unterrichtsstunden der 7.4. Das sind sechs Wochen Geschichtsunterricht bei 12 bis 14jährigen pubertierenden Jungen und Mädchen. Wenn sie die Kriege von Hannibal bis Teuteburger Wald in den Mittelpunkt des Unterrichts rückt, hat sie wenigstens die Jungen etwas motiviert. Wichtig, sagt der Lehrplan, ist, dass die Schüler die Romanisierung erkennen, den Kulturtransfer, den die Römer über das ganze
Mittelmeergebiet gebracht haben, auch hier nach Deutschland.
Stunde für Stunde entsteht als Konzept in ihrer Vorbereitung.
Früher schrieb sie das immer mit der Hand auf unzählige Notizblöcke, jedes Jahr neu, weil man Unterricht nie „eins zu eins“ übernehmen kann.
Heute tippt sie ihre Konzepte in den Computer. Ihr Laptop ist ihr wichtigstes Arbeitsinstrument geworden. Es spuckt Bilder und Texte aus, ist Notizbuch, ihr Mädchen für alles und kann mit einem Tastendruck das Schulleben beenden und sie zur Privatperson machen.
Sie überfliegt ihre emails und freut sich über die Grüße einer Freundin aus Hannover, mit der sie im letzten Jahr in den Sommerferien eine Türkeireise unternommen hatte. Von Istanbul nach Izmir mit Ausflügen nach Pergamon, Ephesos, Hierapolis und viele andere Kulturdenkmäler aus hellenistischer und römischer Zeit. Monika und sie hatten gemeinsam den Wandel von ägyptischer, über altgriechische, hellenistische zur römischen Architektur und Bildhauerkunst bewundert und zu begreifen gelernt.
Veronika sieht das > f < von facebook und drückt wie gedankenverloren auf den Button.
Die Startseite springt auf. Oh, sie hat eine Nachricht:
Ach ja, dieser Segeltyp, hat geantwortet:
...Streuner...nicht, was Frauen sich wünschen .
„Hab ich auch noch nicht gelesen“, konstatiert sie. Fast ohne nachzudenken, formuliert sie eine Antwort.
Ja, lieber Christian,
Streuner zu sein, find ich toll, neugierig auf diese Welt mit all ihren Facetten. Da führst du ein wunderbares Leben, um das ich dich beneide.
Liebe Grüße
Veronika
Schon ist die Antwort weg, nicht mehr zurückholbar!
Veronika liest sie jetzt noch mal genau durch. Einen Streuner beneiden?
Nein, sie hat natürlich an den Segler gedacht mit seinen Reiseberichten von der spanischen Süd- und Ostküste, sie hatte seine Fotos von Malaga und Tarragona im Hinterkopf, als sie so schrieb. Diese wunderschönen Fotos von der alten römischen Provinzhauptstadt Tarraco, wie die Römer Tarragona nannten.
Sie vergrößert sein Profilbild.
Ein älterer Mann mit Baseballmütze schaut ihr lachend entgegen. Nicht unsympathisch. Irgendwie anders als ihre Kollegen an der Schule.
Читать дальше