So ging seine Arbeit eine perfekte Verbindung ein zwischen gezähmter Klassik und dem sich vorsichtig anbahnenden neuen Zeitgeist, den er durch seine vielbeachteten Arbeiten maßgeblich initiierte.
Er vereinigte diese unterschiedlichen Formvorstellungen verschiedener Epochen zu einem eigenen, unverwechselbaren Stil, der später in Europa zu seiner extrem puristischen Form weitergetrieben wurde. Den Anfang dieser neuen Schule, die man auf der anderen Seite des Atlantiks ‚Bauhaus‘ nannte, hatte er noch erlebt.
Er selbst bezeichnete den von ihm befürchteten Endpunkt dieser Entwicklung als ‚die optimale Anpassung von Material und Gestalt an die Bedürfnisse der Menschen - ohne sich dabei um ihre Seele zu kümmern‘.
Wohlbehütet wuchs John in diesem kultivierten, freigeistigen Elternhaus heran. Seine Mutter liebte ihn über die Maßen, verwöhnte ihn, wo sie nur konnte.
Der Vater hatte in ihm, nach den zwei früher geborenen Töchtern, endlich seinen lang erhofften Nachfolger für die Firma ausgemacht. Dem Junior wollte er ein guter Lehrmeister fürs Leben sein, und war es auch; zum guten Vater reichte oft nicht die Zeit.
Seine beiden Schwestern akzeptierten John, obwohl sie in ihm ständig auch den Konkurrenten im Ringen um die Gunst der Eltern sahen.
Anlass zu dieser Sichtweise gab es - die Rivalität war nicht nur eingebildet.
John durfte sich so einiges herausnehmen, was man den Mädchen nicht durchgehen ließ. Schließlich lebte man am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Noch waren die moderneren Normen nicht in den Köpfen angekommen. Im Lauf der Jahre änderte sich dieses Verhältnis aber zugunsten der jungen Damen.
Jedenfalls innerhalb der Familie.
Die aufgeklärte Denkweise der Eltern überwand die archaischen Vorgaben zur ‚Wertigkeit der Geschlechter‘. Das anfängliche Konkurrenzdenken unter den Geschwistern verschwand so nach und nach.
Eines schönen Tages forderte John, noch keine sechs, im unbesonnenen Leichtsinn der frühen Jugend sein Schicksal regelrecht heraus.
Wie Kinder das immer wieder mal tun, wenn sie mit ihrer geringen Lebenserfahrung und einer unbekümmerten Gedankenlosigkeit das Unheil geradezu anlocken.
Er hatte es an jenem denkwürdigen Tag mit seiner Dickköpfigkeit wieder einmal auf die Spitze getrieben. Und sich, wie auch sonst fast immer, durchgesetzt.
Seine Mama hatte ihm aus dem Macy‘s eine Neuheit mitgebracht, einen bunten Gummiball, der durch eine neuartige Mischung des Materials höher und weiter sprang, als alle Bälle, die bis dahin für Kinder zu haben waren.
John wollte mit diesem neuen ‚Wunderball‘ partout nicht nur im Haus spielen.
Das immerhin war verständlich.
Es war mitten im August, und in den Häusern der Stadt fühlte man sich in diesen Tagen wieder einmal wie in einem Backofen. Aber auch in dem großen schattigen Garten hinter dem Haus wollte John damit nicht spielen.
Nein, er musste damit unbedingt vorne auf die Straße mit dem um diese Zeit brodelnden Verkehr und den vielen Menschen hinaus.
‚Geteilte Freude ist doppelte Freude‘ - das mag für viele Gelegenheiten zutreffen; in diesem Fall aber war es ganz einfach sein Bedürfnis, mit dem neuen Ball, der bedeutend höher sprang, als all seine bisherigen, sich vor anderen Leuten in Szene zu setzen.
Dieser Drang zur Angeberei bei kleinen Kindern entspringt dem Wunsch, ihre ständig gespürte Unterlegenheit der Erwachsenenwelt gegenüber kompensieren zu wollen. Ganz egal wodurch. Und sei es nur mit einem schönen bunten Ball mit fantastischen neuen Eigenschaften, den sonst noch keiner in der Straße besaß.
Mrs. Freyman war alles andere als begeistert von Johns Idee, die Straße vor dem Haus als Spielplatz zu missbrauchen, auch wenn sich sein Ansinnen ja nur auf den Bürgersteig bezog. Wortreich versuchte sie, John von seinem Vorhaben abzubringen, das sie wegen des hohen Verkehrsaufkommens in der Pearl Street als hoch gefährlich einstufte.
Der Junge war jedoch absolut resistent gegenüber all ihren Argumenten, die sie mit verzweifelter Vehemenz vorbrachte.
Schlussendlich gab einer von den beiden nach. John war es auch dieses Mal nicht.
Die zwei neuen Hausmädchen der Freymans, beide Filipinas, waren von Soldaten der US-Armee in ihrem asiatischen Lebensraum während der Unterwerfung des Inselstaates quasi requiriert worden. Und danach kamen sie als ihre Ehefrauen in die USA. Als das Interesse an ihnen nachließ, hatten sie sich einfach wieder von ihnen scheiden lassen.
Die zwei Mädchen mit ihrem schwarzglänzenden Haar waren nicht sehr groß. Sie waren sehr hübsch; die Soldaten hatten, neben ihrer Verantwortungslosigkeit, unbestreitbar Geschmack bewiesen.
Das Benehmen der Mädchen war tadellos, ihre Kleidung immer sauber und ordentlich.
Seit sie bei den Freymans im Dienst standen, waren die Frauen aus Manila, Mayari Escarda und Saya Ramos, immer zuverlässig gewesen. Es gab keinerlei Anlass zur Klage.
In ihren Pässen standen noch die Namen ihrer vormaligen Ehemänner, Carter und Gillmore, aber sie wollten unbedingt wieder ihre früheren Mädchennamen tragen und damit auch angesprochen werden. Und bei den Freymans erfüllte man ihnen diesen Wunsch gerne.
Man konnte sich jedenfalls immer auf die beiden verlassen. Einer der Gründe für Eleonora Freyman, Johns Verlangen letztendlich nachzugeben. Sie schärfte den Mädchen aber noch einmal besonders ein, ihren Schützling nicht einen einzigen Moment aus den Augen zu lassen.
„Passt mir auf ihn auf, als wäre es euer eigenes Kind!“, beschwor sie noch einmal eindringlich ihre zwei Angestellten. Die beteuerten ergeben, die höchste Obacht bei der Aufsicht über den kleinen John walten zu lassen.
Ungeachtet dieser Versprechen hatte Mrs. Freyman kein gutes Gefühl, als sie das Trio die Treppe hinuntertollen sah. John war nicht gerade das, was man gemeinhin ein ‚stilles, ruhiges Kind‘ nennt.
Sie ging an eines der Fenster ihres Ankleidezimmers und öffnete es. Alle Fenster dieses Raumes gingen zur Straßenfront, und man konnte aus ihnen die Straße in beide Richtungen bis zu den nächsten Häuserblocks überblicken.
Nur durch das gerade im Saft stehende Blätterwerk der etwas höheren Bäume auf der Anpflanzung vor dem Haus war die Sicht stellenweise etwas eingeschränkt.
Die Pearl Street war eine sehr belebte Straße. Kutschen aller Art und Fuhrwerke für jeden Bedarf waren von früh bis spät auf der Straße unterwegs. Auf und ab, hin und her ging es. Angst aber machten Johns Mutter vor allem die neuen Motorfahrzeuge, die oft mit 20 Meilen in der Stunde, manchmal auch mit mehr, durch die Stadt rasten.
Voller Unruhe wartete sie, bis sie John mit den beiden Mädchen endlich auf dem Bürgersteig erblickte. Auch die breiten Trottoirs beiderseitig der Straße waren recht belebt.
Die Menschen hasteten aneinander vorbei. Nur wenige waren darunter, die Zeit und Muße hatten, einfach den Boulevard entlang zu schlendern.
Eleonora Freyman befürchtete, ihren Sohn mit den zwei Mädchen in dem Getümmel aus den Augen zu verlieren.
Sie nahm sich vor, jedenfalls so lange am Fenster stehen zu bleiben und aufmerksam Ausschau zu halten, bis die drei wieder ins Haus zurückkamen.
Mayari hielt John fest an der linken Hand. Der warf mit seiner rechten den Ball mit Schwung zu Boden, um ihn dann gleich wieder aufzufangen, wenn er nach einem mächtigen Satz in hohem Bogen zurückfiel.
Immer wieder das gleiche Spiel. Die enorme Sprungkraft dieser neuen Gummimischung faszinierte ihn mächtig.
Eine ganze Weile war er mit größter Begeisterung dabei, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass er mit seinen Würfen allerlei abstrakte ballistische Formeln in lebendige Schaubilder verwandelte.
Sie liefen die Front des Hauses ab, drehten am Ende um, und gingen dann wieder in die andere Richtung. Es war nicht gerade ein atemberaubendes Unternehmen. Dass sie öfter um andere Passanten herumkurven mussten, machte die Sache auch nicht spannender.
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