Georgios Asterion, in Personalunion Herausgeber, Chefredakteur und Bote des ‚Hendersonville Chronicle‘, der gerade dabei war, in der Bar sein Frühstück einzunehmen, hörte ihm aufmerksam zu. Als er vernahm, dass noch immer Lebensgefahr für Mrs. Freyman bestand, beschloss er, so lange zu warten, bis der Sheriff wieder im Büro war.
Erst dann wollte er ihn für ein Interview aufsuchen.
Asterion, von manchen scherzhaft ‚El Greco‘ genannt, erst in zweiter Generation in den USA, war zwar durch und durch Journalist, der mit dem virtuosen Umgang der Sprache seines neuen Heimatlandes die Bürger von Hendersonville begeisterte, aber in erster Linie war er Mensch.
Carmen rannte inzwischen eiligst die Hauptstraße hinunter. So wie es ihr aufgetragen war. Kurz vor den Koppeln hielt sie an. Dort, wo Carl Simpson, etwas abseitig vom Zentrum, seine Werkstatt und seinen Laden hatte.
Die selbst gezimmerten Särge mit den schön geschnitzten Applikationen waren im Verkaufsraum ausgestellt. Einige der prächtigsten Exemplare konnte man auch schon von außen durch das große Schaufenster bewundern.
Simpson war ein geachteter Bürger der Stadt - zu tun haben wollte man mit ihm allerdings so wenig wie nur irgend möglich. Das hatte nichts mit ihm persönlich zu tun. Ganz im Gegenteil. Man konnte seinen Särgen ansehen, mit welcher Hingabe und Respekt vor den Toten er sie fertigte.
Aber sein eigenes, ebenso natürliches wie unausweichliches Ende wollte man dann doch lieber verdrängen und gefälligst nicht daran erinnert werden. Da war man froh, dass er sein düsteres Geschäft etwas außerhalb betrieb.
Carmen riss die Tür zum Laden auf und stürmte hinein. Ungeduldig wartete sie darauf, bis Simpson auf das Scheppern der Türglocke hin nach einer Weile aus seiner Werkstatt herauskam.
Mit Holzhammer und Stemmeisen noch in der Hand ging er einige Schritte auf sie zu und sah sie fragend an. Als Interessentin für eines seiner Werkstücke schätzte er Carmen nicht ein.
Noch ganz außer Atem platzte die nun heraus:
„Mister, schnell, bitte schnell, holen Sie die Missis ab, sie ist ganz tot, im Casa draußen bei Señor Freyman - ach so, lo siento, nein, nicht die Missis, der Master ist tot, richtig tot. Draußen, im großen Haus, am Fluss, ganz tot. Por diós, madre ayúdanos, er ist tot, para siempre.“
Mr. Simpson reagierte so gelassen und ruhig, wie es sein der Pietät verpflichteter Beruf so mit sich bringt:
„Beruhige dich, Mädchen, ganz ruhig. Also, wer ist tot, und wer soll wo abgeholt werden?“
„Der Master, Master Freyman ist tot, soll von seinem Haus abgeholt werden, sagt Paco, draußen am Fluss.“
Carmen hatte sich wieder etwas gefangen, atmete tief durch, war jetzt ein bisschen ruhiger geworden. Simpson mochte kaum glauben, was sie sagte.
„Mr. Freyman? Mr. John Freyman? Bist du ganz sicher?“
Carl Simpson hatte guten Grund für seine Nachfrage. John Freyman war gerade mal dreiunddreißig, sportlich und, soweit er wusste, bei allerbester Gesundheit.
Hatte er etwa einen Unfall mit dem Automobil gehabt? Zu schnell gefahren? Oder vielleicht einen Reitunfall? Das Genick gebrochen? John war ihm allerdings keineswegs als besonders unvorsichtig oder gar als Draufgänger bekannt. Ganz im Gegenteil.
Einmal hatte er John sogar auf offenem Gelände mit dem Pferd abgehängt.
Sie hatten sich zufällig draußen hinter den Weideplätzen beim Ausritt getroffen und ohne viele Worte, nur mit herausfordernden Blicken und beiderseitig zustimmendem Kopfnicken, ein kleines Rennen verabredet.
Am Tag zuvor hatte es stark geregnet, der Boden war tief. John hatte mehr als zwei Pferdelängen Rückstand gehabt am Ziel. Auf Simpsons schelmische Stichelei zu seinem kleinen Triumph hatte John nur gelacht und einen Satz gesagt, an dem er Johns generelle Vorsicht festmachen konnte: ‚Auf einem so schwierigen Boden werde ich lieber zweiter im Rennen als erster in deinem Sarg. Carl, da halte ich mich lieber zurück. Hals- und Beinbruch ist ein netter Spruch, an mir selbst will ich ihn nicht wahrmachen. Sorry, mein Lieber, aber mit mir wirst du so schnell kein Geschäft machen‘.
Carmen riss ihn aus seiner Erinnerung.
Der zweifelnden Nachfrage hatte sie entnommen, dass der Bestatter eventuell nicht so ganz ernst zu nehmen schien, was sie ihm gerade vorher berichtet hatte.
„Der Sheriff schickt mich, sagt Paco; der Sheriff sagt, Master Freyman ist tot. Der Sheriff hat es selber gesagt.“
„Wer bist du eigentlich? Wie heißt du denn?“, hakte Simpson ungeachtet ihrer Beteuerung noch einmal nach.
„Ich bin die Frau von Paco, wir sind Angestellte des Master Freyman und jetzt auch seiner neuen Esposa, der Missis. Der Sheriff hat gesagt, wir sollen ihnen Bescheid geben, dass der Master se murió.“
„Und wo ist der Sheriff jetzt?“
„Er ist im Haus des Doktors - bei der Missis. Die Missis ist auch krank; muy krank.“
„Gut, sag dem Sheriff, ich komme gleich vorbei.“
„Gracias, muchas gracias, danke Mr. Bestatter, ich sage es Paco, der sagt es dem Sheriff.“
Simpson hatte immer einen Sarg in Durchschnittsgröße auf seinem Bestattungswagen liegen, für den Fall der Fälle. Also könnte er losfahren, beim Doc vorbeischauen und sich vergewissern, dass dies alles auch kein makabrer Scherz oder nur ein bloßes Gerücht war.
Wenn doch, dann hätte er keinen großen Weg umsonst gemacht. Und wenn die Geschichte wahr sein sollte, dann konnte er gleich weiterfahren, hinaus zum Anwesen der Freymans. In den Sarg auf dem Wagen müsste John jedenfalls passen, fürs erste. Soviel Augenmaß für seine potenziellen Fahrgäste bekommt man als Bestatter mit der Zeit.
Und später könnte er seinen Angehörigen das teuerste Exemplar verkaufen, das er auf Lager hatte, oder für weiteres Aufgeld extra einen anfertigen. Die Freymans würden sich bestimmt nicht knausrig zeigen.
Dann könnte er jetzt, entgegen Johns damaliger Worte, doch schon jetzt sein Geschäft machen mit ihm. Früher als dieser gedacht hatte. Viel früher.
Während der pedantische Bestatter sich noch Gedanken darüber machte, ob sich seine Fuhre lohnen könnte oder nicht, rang Doktor Smirnow nach wie vor um das noch so junge Leben der verletzten Sandra Freyman.
Der Sheriff stand neben ihm, bereit, dem Arzt mit jeglicher Art von Handreichung behilflich zu sein.
Er wirkte etwas nervös, wollte etwas hinter sich bringen.
„Igor, kann ich dein Telefon benutzen, oder brauchst du mich hier noch unbedingt?“
„Die Gräfin, nicht wahr?“ Smirnow sah ihm ins Gesicht. „Bin froh, dass ich das nicht tun muss. Ich glaube aber, du solltest es ihr besser persönlich sagen, meinst du nicht auch? Geh‘ lieber rüber zu ihr ins Hotel.“
Der Sheriff nickte nur ein paarmal nachdenklich, während er die Lippen zusammenpresste. Er sollte Mrs. Freyman ins Gesicht sagen, dass ihr Sohn tot sei?
„Ich glaube nicht, dass ich es kann, Igor. Ich kann es nicht. Nur einen Tag nach der Hochzeit eine solche Nachricht überbringen? Mensch Igor, ich kann das einfach nicht. Ich ruf sie lieber an.“
„Dann mach nur zu Greg, hier kannst du mir ohnehin nicht mehr helfen. Du weiß ja, wo das Telefon steht.“
Der Sheriff hatte nun die bittere Pflicht, Johns Mutter und ihren beiden Töchtern im nahegelegenen Grand Hotel die Nachricht über den Tod ihres Sohnes zu überbringen.
Vergessen war in diesem Moment völlig, was zwischen ihm und Mrs. Freyman, der Gräfin, vor schon längerer Zeit in New York vorgefallen war.
Einer fremden Person den Tod eines Angehörigen von Angesicht zu Angesicht nahezubringen, das hatte er in New York oft genug gemacht. Das gehörte schließlich zu seinen Aufgaben. Es war jedes Mal unangenehm genug.
Aber die jetzige Situation, sein vertrauliches Verhältnis zu den Hinterbliebenen, machte es ihm völlig unmöglich.
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