1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 Ab dem Moment finde ich sein Gered’ als Geplapper. Sechzehn Jahr’ alt und ein eigenes Mädel!
An diesem Tag hat Joseph Moritz nicht mehr weiter geschrieben. Zu tief scheint der Ärger gesessen zu sein, dass dieser junge, unstandesgemäße, ‚allerliebste’ Bursche, der sich erlaubte, mit ihm gleich alt zu sein, sich ein eigenes Mädel leistete. Der Hans hat ihn aber noch ein paar Tage später weiter beschäftigt. Ebenso die Margarethe, Tochter der einen, der jüngeren, Weißnäherin.
Ich weilte heute wieder beim Schneider. Der Hans zeigte mir einige wunderhübsche französische Modezeichnungen. Wunderhübsch. Eines davon wollte er mir unbedingt einreden. Es war genauso gestaltet, wie es mein Vater ‚Mäschchen und Rüschchen’ genannt hätte.
Um mich vollends zu überzeugen, rief er aus: „Die Margarethe hat auch gesagt: das wär’ was für den Herrn Grafen!“
Das war nun sicherlich nicht das Argument, mit dem Joseph Moritz unbedingt überzeugt werden wollte. Aus seiner niedergeschriebenen Antwort aber ist die plötzliche Kälte förmlich herauszuhören.
„Die Margarethe, so?“, antwortete ich.
Ich überlegte, was ich mit diesem Urteil wohl anfangen könne, da sprach er weiter: „Darf sie hereinkommen, dem Herren Grafen ihre Aufwartung machen?“
„Wer?“, fragte ich verwundert.
„Die Margarethe. Sie muß es dem Herren Grafen selber sagen.“
„Was denn?“
„Das mit diesem französischen Modell. Ich habe die Worte nicht. Darf sie, Herr Graf?“
Der Hans blickte mich so lieb an. Dabei sah ich zum ersten mal, daß er aus der Nähe besehen mit seinen wunderschönen, kugelrunden braunen Augen ganz leicht schielte; aber nur, wenn unsere Gesichter einander ganz nahe waren. Und das waren sie jetzt, wie wir über die Zeichnungen gebeugt waren. Er flehte mich an, als ob ich ihm was Liebes tun möchte. Ich tat es also.
„Soll sie kommen“, sagte ich jovial, „wenn ihr und ihm so viel daran liegt!“
Der Hans rief sie herein. Sie war so schnell da, als ob sie schon hinter der Türe gelauert hätte. Sicher hat sie hinter der Tür gelauert nach Weiberart. Sie blieb unter der Türe stehen, machte einen Knicks und blickte den Hans verlegen an.
„Nun komm sie schon her“, ermunterte ich sie.
Sie kam näher und stellte sich mit gesenkten Augen rechts neben den Tisch, auf den der Hans und ich über den Zeichnungen hingelümmelt lehnten.
Ich schob ihr die besagte Zeichnung hin und fragte sie: „Sie meint also, Mamsell Margarethe, daß mir das besonders gut stünde?“
Als ich ihren Namen nannte, errötete sie; ihr Gesicht hatte jetzt das Aussehen eines, nein gleich zweier rotbäckiger Äpfel. Wie sie überhaupt fast nur aus Kugeln zu bestehen schien. Ihre Schultern, rund, wie Teile von Kugeln; ihre Brüste, rund, Vollkugeln; ihre Hüften, rund, wie große Kugelhälften. Alles weitere verdeckte der weite Rock, ließ aber ebenfalls allerhand Kugeliges darunter vermuten. Ich trat einen Schritt zurück, um sie ganz zu sehen. Sie hatte sich mittlerweile über die Zeichnung gebeugt, sodaß der lange Rock hinten etwas hochkam; und ich hätte es mir doch denken können: unter dem Rock lugten Kugelwaden hervor.
Aber wir hatten ja die Zeichnung noch nicht begutachtet.
„Also?“, ermunterte ich die Margarethe.
„Ja“, begann sie zögernd, „Herr Graf“, wieder zögerte sie, „der Herr Graf hätt’ halt genau die Gestalt für sowas; die Grazie; den Adel; die Lustigkeit; die Gesichtsfarb’, alles, was man halt braucht, um sowas exzellent tragen zu können.“
Nett, wie sie das gesagt hatte.
„Findet sie, Mamsell?“, fragte ich, als ob ich es noch einmal hören wollte; oder als wollte ich noch mehr solcher Schmeicheleien hören. Oh, ich war eitel in dem Augenblicke, sehr eitel, Gott möge mir verzeihen.
Joseph Moritz benützte sein Tagebuch wirklich als Beichtstuhl. Und er genoss die Befreiungen, die ihm diese schriftliche Beichte schuf.
„Ja“, antwortete das Mädel einfach, anstatt fortzufahren, wie ich es so gerne gehört hätte.
„Jetzt müßt’ ich’s mir ja eigentlich machen lassen“, sagte ich, wobei ich ihr tief in die Augen blickte, „wenn eine so schöne Mamsell mich so überredet, da kann selbst unsereiner nicht widerstehen!“
‚Selbst unsereiner’ - man höre, wie der eitle Geck selbst dort, wo er sich kokett gibt, den Standesunterschied unfein herausarbeitet.
Die Margarethe füllte ihre soeben erst etwas erblaßten Wangen wieder mit Blut, sodaß wieder die zwei Äpfel dastanden. Sie sah mir erst ins Gesicht, erschrak, schlug die Augen nieder, schlug sie wieder auf, sah den Hans gleichsam hilfesuchend an, nickte plötzlich eifrig und sprach eilig: „Der Hans mahnt mich zurecht. Ich muß wieder an die Arbeit!“
Sie machte einen schnellen Knicks und rannte zur Türe hinaus. Ich mußte lachen und schlug den Hans auf die Schulter.
„Bei der brauchst du keine Angst zu haben, die ist dir sicher!“
Der Hans aber antwortete leise: „Ich bin trotzdem froh, daß der Herr Graf nicht weiter charmiert hat - man weiß nie bei einem so jungen Mädel...“
„So“, antwortete ich gedehnt, „er meint also, daß ich ihm bei der Margarethe könnt’ gefährlich werden?“
„Wenn der Herr Graf wollt’...“
„Wenn ich wollt’, ja. Aber sei er beruhigt, ich will ja gar nicht!“
Dann deutete ich auf die Zeichnung: „Und das da will ich auch nicht. In Wien braucht das Jahre, bis sich sowas durchsetzt. Und wenn man der erste ist, kommt man leicht in einen Ruf in unseren Kreisen. Aber das weiß er ja nicht. Braucht er auch nicht zu wissen.“
Wieder der Standesunterschied, auf den der Joseph Moritz deutlichen Wert legt. Es fällt allerdings auf, dass er die Betonung des Standesunterschiedes erst ab dem Zeitpunkt beginnt, als die Margarethe auftaucht. Solang er mit dem Hans allein verkehrt ist, war von diesem Unterschied keine Rede. Da waren sie einfach ‚Männer unter sich’.
Der „Störfaktor“ Margarethe wich aber bald neuen Komplikationen.
Eine Woche habe ich den Hans nicht gesehen gehabt. Heute aber war ich wieder dort, da hat er mich ganz schön erschreckt.
„Herr Graf“, begann er zögernd, „ich muß Ihm was sagen, was Ihm vielleicht einen Zorn auf mich macht.“
„Aber Hans“, lachte ich, weil ich ja noch nicht wußte, was da daher kommen sollte, „hat leicht die Margarethe wieder was ausgesucht für mich?“
Er aber blieb ernst: „Nein, Herr Graf. Es ist nur, vor zwei, drei Tagen waren zwei Herren bei meinem Herrn Vater. Ich wurde hinausgeschickt. Aber ich habe dennoch gehört, wie sie ihn gefragt haben, was für hohe Kundschaft bei uns verkehre. Und weil doch die einzige hohe Kundschaft, die unser Haus betritt, der Herr Graf sind, habe ich mir gedacht, ich muß es dem Herrn Grafen sagen.“
Ich mag wohl blaß geworden sein. Ich habe auch nicht gleich etwas gesagt.
Der Hans wurde sehr unruhig und ängstlich: „Ist das bös’, Herr Graf?“
„Der Sedlnitzky!“, mag ich wohl vor mich hingeflüstert haben.
Der Hans schlug die Hand vor seinen Mund. Und über der vorgehaltenen Hand schielte er mich leicht an mit seinen wunderschönen, kugelrunden Augen.
So habe ich also erfahren, so mußte ich es also erfahren, daß der Graf Sedlnitzky einen Verdacht geschöpft hat.
Der Graf Sedlnitzky - wir werden ihn noch näher beschreiben – ließ sehr schnell arbeiten.
Habe heute einen fürchterlichen Disput mit meinem Herrn Vater gehabt. Er kam wie immer an diesem Tag früher von Seiner Kaiserlichen Hoheit heim.
Es muss ein Montag gewesen sein, denn nur am Montag kam Vater Dietrichstein früher aus seinem Dienst. Und diesen Dienst versah er bei Seiner Kaiserlichen Hoheit, die der Herzog von Reichstadt damals ja noch war, als legitimer Thronfolger Napoleons mit dem Namen Napoleon II.
Читать дальше