Auf der Heimfahrt denke an Katrin. Sie hat gesagt, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der man, als Mann oder als Frau, eher Sex als Liebe bekommt und dass das eine Herausforderung wäre. Eine Herausforderung wozu? Sich zu fragen, was wirklich wichtig ist. Sich zu fragen, was wirklich von Bedeutung ist. Ich weiß, sie bezieht das nicht auf das Vorangesagte und schweige. Sie schweigt auch. Reden kann man mit vielen, schweigen nur mit wenigen.
Fünfter Tag. Samstag. Wieder mies geschlafen. Ich war Donald Duck auf einer Modenschau. Ich war Mannequin und musste die Kleider von Dagobert Duck auf dem Catwalk tragen, während Tick, Trick und Track Fotos schossen und Daisy mit Gustav Gans in der ersten Reihe wie im Kino wild rumknutschte. Und kaum komme ich nach hinten, schon werde ich von den Panzerknackern ausgezogen, Micky Maus zieht mir die neuen Kleider an, Daniel Düsentrieb korrigiert meinen Lidschatten, Goofy gibt mir einen Klaps auf den Hintern, während ich die ganze Zeit von Dagobert angemault werde, männlicher zu sein und dann wieder raus, wo ich zu der grauenhaften Szenerie vor mir lächeln muss. Und als ich mich auf dem Catwalk wieder umdrehe, sehe ich Klara, die Kuh, die mich mit der Stimme meiner Hausordnungs-Putzfrau fragt: „Wann werden Sie endlich den Mut haben, es ihr zu sagen?“
Sie geht ein letztes Mal zum Tauchen; man darf 20 Stunden vor dem Fliegen nicht tauchen, der Stickstoff im Blut muss abgebaut werden.
Das habe ich nun davon. Ich habe mir einen Sonnenbrand geholt, und zwar auf dem Kopf. Nein, ich habe seit 3 Jahren keinen Urlaub mehr in südlichen Ländern gemacht und ja, es war mir peinlich, die Glatze einzuschmieren. Ich betrachte gedanklich die Gozitaner und kann keinen entdecken, der mit Haarausfall zu kämpfen hat. Ist das die Ernährung oder sind das die Gene?
Heute werde ich die Sucht mit Sport bekämpfen. Das Hotel hat ein eigenes Fitnesscenter und darin werde ich mich austoben. Davor gehe ich zum Supermarkt, der allen Ernstes Jumbo-Mini-Market heißt, obwohl er gerade mal 5 Meter breit und 10 Meter lang ist. Aber er führt 3 Sorten Seife, die gekonnt übereinander gestapelt sind, was dem vordergründigen Widerspruch eine Erklärung abringt. Er hat auch auf 30 Quadratzentimeter Fläche ganze sechs Sorten Cornflakes, Minipackungen, von jeder genau zwei. Ein Wunder an Wirtschaftlichkeit; neugierig schaue ich nach, ob man hier die Tampons oder die Taschentücher einzeln kauft. Ganz ehrlich, für solche Läden wird es verzwickt, wenn ein Hersteller auf die Idee kommt, eine Übergrößenpackung herauszugeben, so in der Art von „25% mehr zum gleichen Preis“. Dann hat ein Stapel Überhang und die gesamte Ordnung bricht zusammen.
Ich kaufe Wasser und gehe ins Fitnesscenter. Welch eine Überraschung, es ist eng hier. Es ist gerade mal so groß wie mein Wohnzimmer. Das Fitnesscenter, das ich in Deutschland besuche, oder besser, wo ich eingeschrieben bin, ist so groß, dass ich auf dem Laufband meine Brille aufsetzen muss, um motiviert zu sein; hier sehe ich die Touristin mit den schönen leggingsgeformten Beinen auch ohne. Apropos Größe. Die Gozitaner sind in der allermeisten Fällen recht klein und leider machen sie die Betten für sich selber; ich rage 183 cm in den Himmel und meine Füße 5 cm aus dem Bett heraus, das aber hervorragend gepolstert ist.
Als ich wieder hochgehe und auf dem Balkon eine rauche, schmeckt die Zigarette nach Schweiß. Ich lasse mir ein Bad ein und als ich ins warme Wasser steige, ärgere ich mich nicht weiter darüber, dass mir die Knie auf einmal sehr nahe stehen. Was soll’s, ich weiß, ich hätte keine meiner fünf Freundinnen gekriegt, wenn ich fünf Zentimeter kleiner wäre. Na gut, ich hätte mindestens vier mehr kriegen können, wenn ich Nichtraucher wäre, aber ich bin’s nun mal nicht.
Ich lenke mich ab und denke wieder an Katrin. Ich habe sie gefragt, wie sie es aushalte. Sie hat mir die Geschichte von den Namensvettern erzählt. Es gab einen Namensvettern-Club in Deutschland bis weit in die 90er hinein. Sie haben Namen wie Rudolf Hess, Heinrich Himmler und sogar Adolf Hitler. Sie sind alle sehr alt. Und sie alle hatten zig Jahre mit demselben Problem zu kämpfen. Ich würde nicht mit einem solchen Namen nach Frankreich in Urlaub fahren. Und die Frauen erst. Welche Frau hat die Stärke, ihrer Familie zu sagen, sie werde eine Himmler, Frau von Heinrich Himmler? Aber dieser Club war sich darin einig, dass der Name den Menschen nicht macht. Es geht um Stolz im positivsten Sinn, es geht um die Achtung vor sich selbst. Ich habe sie verstanden und leider liebt sie mich deswegen noch mehr.
Als Hannah am Mittag wiederkommt, sagt sie mir, dass sie mit mir zum Strand gehen wird. Eine wunderbare Nachricht, wäre da nicht... Was mache ich jetzt?
Meine Hände zittern, als ich sie eincreme, ich wünsche mir eine Kippe, aber ich habe sie daheim gelassen, was Teil des Plans ist, denn ich fingiere Bauchschmerzen. Sie geht ins Wasser, ich höre einer Deutschen zu, die ihrer Freundin erzählt, dass sie dies und jenes an ihrem Freund nicht versteht. Die Wellen plätschern an den Felsstrand, das Meer auf Gozo beruhigt ungemein, ich könnte einen halben Tag lang in den ebenen Wasserhorizont schauen, einfach nur schauen und die Ruhe einatmen.
So weit kommt es nicht, wir gehen bereits nach zwei Stunden, weil Wind aufkommt, der Weg, dicht am Wasser, ist nass, ich beobachte ihren wunderschönen Rücken, rutsche aus und falle ins Wasser. Ich lasse die Sachen los und kämpfe um mein Leben. Eine Welle braust über mich hinweg und erstickt einen Hilfeschrei. Sie ruft mir zu, dass ich doch zum Ufer schwimmen soll, eine weitere Welle erstickt jedoch meine Antwort. Sie sieht meine hilflosen Versuche, springt ins Wasser und zieht mich an der Hand zum Ufer. Ich huste ein paar Mal das Salzwasser aus meiner Lunge, ich wische mich ab und sie fragt mich, warum ich denn mit ihr nach Gozo gefahren sei, wenn nicht schwimmen könne. „Weil ich wollte, dass du glücklich bist“, antworte ich. Sie zieht mich zu sich, sie küsst mich auf den Mund und ich weiß schlagartig, womit ich meine Nikotinsucht bekämpfen kann.
Wir küssen uns. Am Ende sind er drei Küsse und die Zigarette schmeckt nach ihr. Am Abend gehen wir essen und ich erzähle begeistert von ihren wundervollen Küssen. Sie schweigt. Beim Spaghetti Gozitana sagt sie mir, dass das vorhin nur spontan war, dass ich doch wisse, wie es um ihre Gefühle stehe und dass es ihr leid täte. Ich drehe an den Spaghetti und sage, dass sich solche Dinge ändern könnten. Sie sagt, dass wir uns jetzt fünf Monate kennen und sie wisse, dass sie sich nicht in mich verlieben werde. Ich drehe an den Spaghetti und sage, „Sag niemals nie!“ Sie sieht mich mit ihren wunderschönen brillantschwarzen Augen an und sagt einfach nur sanft meinen Namen. Ich höre auf, an den Spaghetti zu drehen, sehe mir den Riesen-Batzen an und frage mich, wie ich das alles schlucken soll.
Sie ist ins Bett, ich sitze an der Bar und rede mit der Bedienung. Ich war selber mal Nachtportier, wir Hotelpersonal verstehen uns. Wenn man auf Malta mit Erwachsenen reden will, ist es ratsam, einen Christen zu fingieren; die sind hier sehr gläubig. Ich muss mich nicht verstellen, ich glaube auch. Gott ist groß und heute hat er mir mit seiner gesamten Machtfülle die Fresse eingeschlagen. Als ich auf den Balkon gehe, schmeckt die Zigarette nach gar nichts.
Ich habe Katrin vor zwei Wochen gesagt, dass es nun genug sei, sie solle sich in jemanden verlieben, der sie auch liebt. Da hat sie mit einem Spruch über den Kommunismus geantwortet: Es ist leicht für den Kommunismus zu sterben, aber schwer, ihn zu leben. Es ist leicht, sich nach einer Abfuhr abzuwenden, es ist schwer, die Liebe, so wie sie eigentlich gemeint ist, zu leben. Obschon sie Recht hatte, widersprach ich; so einfach ist das Abwenden auch nicht.
Sechster Tag. Ich habe wundervoll geschlafen, ich träumte, ich war Hägar und wir zogen mit dem Drachenboot aus, um Deutschland auszurauben. An den Rudern Lucky Luke, die Daltons, die Peanuts, das Dorf von Asterix und Obelix und halb Entenhausen. Ich gehe zur Reling, breite meine Arme aus und schreie so laut ich kann: „Ich bin der König! Der König der Versager!“
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