Jörg Geisbüsch
Die Farben im Paradies
Roman
1. Kapitel
in dem die Welt noch immer so ist, wie sie ist – nur ein wenig anders
2. Kapitel
in dem das Gestern, das Heute und das Morgen ein wenig durcheinandergeraten
3. Kapitel
in dem Regen fällt, der nicht fallen sollte, es aber trotzdem tut
4. Kapitel
in dem es Frühstück gibt, einen Spaziergang und eine unheilvolle Versammlung
5. Kapitel
in dem manche Menschen das bekommen, was sie sich schon immer erhofft hatten oder auch nicht
6. Kapitel
in dem es viele Träume gibt – manch wirre, manch banale aber umso gefährlichere
7. Kapitel
in dem es um Abschiednehmen geht
8. Kapitel
in dem sich Elisa offenbart, dass die Welt gar nicht so klein ist
9. Kapitel
in dem Zeitgenossen und Welten aufeinanderprallen
10. Kapitel
in dem manches anders ist, manches aber auch wie eh und je
11. Kapitel
in dem es um Helden geht – manche wären es gerne, manche waren es, manche werden es, aber niemand scheint sie mehr haben zu wollen
12. Kapitel
in dem Menschen auch nur Menschen sind und ein Versprechen auch nur ein Versprechen ist
13. Kapitel
in dem noch jemand die Bühne betritt – der aber kein Er und keine Sie ist
14. Kapitel
in dem diejenigen Männer zu Wort kommen, die sich wirklich auskennen und die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fest im Blick haben
15. Kapitel
in dem die Frage aller Fragen beantwortet wird
16. Kapitel
in dem Elisa den ihr zugedachten Platz einnimmt
17. Kapitel
in dem die großen Steine ins Rollen geraten
18. Kapitel
in dem es um die Wurst geht oder den Braten – wie man es nimmt
19. Kapitel
in dem herauskommt, was so alles im Kochtopf landet
20. Kapitel
in dem es hoch hergeht – sowohl am Boden als auch in der Höhe
21. Kapitel
in dem die Menschen in eine neue Zukunft geführt werden oder auch nicht
22. Kapitel
in dem alles ein Ende hat oder einen Anfang oder wie auch immer
Texte: © 2020 Copyright by Jörg Geisbüsch
Cover: © 2020 Copyright by Jörg Geisbüsch
Verlag:
Jörg Geisbüsch
Obertorstr. 18
56729 Monreal
jkg@am-olle.de
„Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.“
Erich Kästner, Die Entwicklung der Menschheit
1. Kapitel
in dem die Welt noch immer so ist, wie sie ist – nur ein wenig anders
Man hatte die Hässlichkeit aus der Welt verbannt. Diese hier war schön. So jedenfalls empfand es Elisa, als sie auf die kleine Waldlichtung hinaustrat. Eine warme Brise umschmeichelte ihre Wangen, obschon die Schatten der Bäume merklich länger wurden. Die Sonne stand bereits tief am Himmel.
Die junge Frau atmete tief durch und sog die warme Frühlingsluft ein. Ach, war sie froh, hier nun eine kleine Weile für sich zu sein. Müde schlenderte sie über die Lichtung hin zu dem großen Apfelbaum, der zu dieser Zeit unzählige, wunderschöne Blüten trug.
Dort, zu seinen Füßen, ließ sich Elisa ins Gras fallen, schloss ihre Augen und horchte in die Welt um sie herum hinein, wie sie es so oft tat. Sie lauschte dem leisen Plätschern des kleinen Baches, der nicht weit von hier entsprang. Sie hörte das Summen der Insekten, die um all die Blütenpracht herumschwirrten. Sie tauchte ein in die Lieder der Vögel, die in den Wipfeln der Bäume saßen und ihre Weisen zum Besten gaben. Frieden umgab sie.
Elisa öffnete ihre Augen und schaute blinzelnd in den Abendhimmel. Sie seufzte. Ihre Glieder waren steif von einem langen, arbeitsreichen Tag auf den Feldern des Dorfes. Von früh an waren sie alle auf den Beinen gewesen. Während die einen das große Fest am Abend vorbereiteten, waren die anderen auf die Felder hinausgegangen und hatten Kartoffeln gepflanzt. Alle – Alt und Jung – waren zu dieser Zeit des Jahres auf den Beinen und packten mit an. Jetzt galt es, die Felder zu bestellen. Erst Getreide, dann Kartoffeln.
Was daraus erwuchs, war es, wovon sie ein ganzes Jahr lang satt werden mussten. Jede Hand wurde gebraucht, um die Saat auszubringen. Waren sie fleißig, so wurde es ein gutes Jahr. Waren sie es nicht, so konnte das die gesamte Ernte des Jahres gefährden. Denn jene sahen alles. So sagte man.
War Elisas Alltag auch sehr streng und straff organisiert, so gab es aber doch einige wenige Freiheiten. Das heißt, Elisa nahm sich diese Freiheiten heraus. Dieser Ort hier war eine davon. Elisa hatte die Lichtung vor Jahren durch Zufall entdeckt, als sie als kleines, neugieriges Mädchen mit ihrem besten Freund unbekümmert durch Wald und Flur strolchte. Ihre Eltern hatten es ihnen zwar verboten, sich zu weit in den Wald vorzuwagen, aber schon damals war Elisa ein wenig anders als die anderen gewesen.
Sie liebte es, sich einfach davonzustehlen und die Welt zu erkunden. Neues zu entdecken. Sicher hatte auch sie Angst vor dem, was die Alten erzählten. Vor dem, was da draußen lauern konnte. Aber ihre Neugier war immer stärker gewesen und hatte sie angetrieben. Und so hatte sie eines Tages diesen Ort hier entdeckt. Seitdem kam sie regelmäßig zu der Lichtung. Früher mit ihrem besten Freund Janos. Heute, um allein zu sein.
Hier war sie vollkommen für sich, denn sonst traute sich niemand hierher. Dieser Ort lag ihnen allen zu nahe an der Grenze. Die anderen suchten lieber den Schutz des Dorfes, der Gemeinschaft. Aber Elisa hatte von dieser Gemeinschaft hin und wieder die Nase voll. Und gerade heute sehnte sie sich noch nach etwas Einsamkeit, denn am Abend wurde das Genaro – das große Fest gefeiert. Da würden dann auch wieder alle zugegen sein. Alle Bewohner ihrer kleinen Welt.
Nein, für den Moment lag die junge Frau lieber hier im Gras. Die Augen geschlossen. Entspannt. Zufrieden. Geborgen.
Doch da! Etwas knackte im Unterholz. Der Eichelhäher schlug Alarm. Urplötzlich wurde es still, unheimlich. Was war da los? Das war kein Tier, so viel war Elisa sofort klar. Angst beschlich sie. War ihr doch jemand gefolgt? Unwahrscheinlich. Alle anderen waren schon vor ihr nach Hause aufgebrochen. Was dann?
War es einer der Irratio? Einer jener Geister, die hinter der Grenze herrschten? Elisa fröstelte. So musste es ja einmal kommen. Wie oft hatten sie ihre Mutter und ihr Onkel nicht davor gewarnt, hierhin zu gehen. So nah dem verbotenen Wald – dem Reich der Irratio. Elisa hatte das immer abgetan. Aber nun überkam sie dieses Schaudern.
Ängstlich kauerte sich die junge Frau ins Gras und wartete. Wieder knackte es. Jemand kam. Elisa konnte seine Anwesenheit deutlich spüren. Alle Muskeln ihres Körpers waren zum Bersten gespannt. Gebannt richtete sie ihren Blick auf die gegenüberliegende Seite der Lichtung.
Äste knackten, Blätter raschelten. Dann schließlich, nach einer schieren Ewigkeit, bahnte sich eine Gestalt den Weg durch die Hecken. Ein, zwei, drei Schritte und sie trat auf die Lichtung hinaus. Elisa hielt die Luft an, damit nur ja kein Laut über ihre Lippen drang. Sie schaute ihn an.
Der, der dort stand, war ein Mann. Womöglich. Jemand, den Elisa jedoch noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Dabei kannte sie alle Männer ihrer Welt. Die junge Frau war irritiert. Auch davon, dass der dort zwar aussah wie ein Mann, aber doch auch wieder so ganz und gar nicht.
Sie betrachtete ihn eingehend und mit wachsender Neugier. Er trug seltsame Kleider. Sie schienen weder aus Leinen noch aus Wolle zu sein – wie Elisas eigene Kleidung. Der da hatte etwas Blaues an. Eine Art enges Kleid, das vom Hals bis zu den Füßen reichte. So etwas hatte die junge Frau noch nie gesehen. Und dann hatte dieser blaue Mann da noch so ein seltsames, metallisches Ding auf seiner Nase. Und Haare, Haare hatte er auch keine mehr.
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